Mircea Eliade

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Eliade, Mircea,
geb. 9. März 1907 Bukarest,
gest. 22. April 1986 Chicago.

Eliade stammte aus einer rumänischen Offiziers- und Beamtenfamilie. Nach dem Ende des Schulbesuchs nahm er das Studium der Religionswissenschaft in Bukarest auf und wurde im Alter von einundzwanzig Jahren zum Dr. phil. promoviert. Als Stipendiat setzte er seine Arbeit an der Universität von Kalkutta fort. In Indien kam er nicht nur mit dem zeitgenössischen Hinduismus und Buddhismus sowie den älteren spirituellen Traditionen des Landes in Kontakt, er machte auch wichtige persönliche Glaubenserfahrungen. 1931/32 lebte er in den Ashrams von Almora, Hard-war und Rishikesh. Diesem Aufenthalt bei den Lehrern des Himalaja ist das erste und vielleicht bedeutendste Werk Eliades zu verdanken: das 1936 auf französisch erschienene Buch Yoga. Es zeugt von der Bedeutung, die die esoterischen Disziplinen und darin erhalten gebliebenen archaischen religiösen Formen für Eliade gewonnen hatten. Er vertrat die Anschauung, daß »Indien … sich mit einer nie mehr erreichten Strenge um die Analyse der verschiedenen Bedingtheiten der menschlichen Existenz bemüht« und gegenüber dem Abendland das Wissen bewahrt habe, daß die Wahrheit außerhalb der Geschichte liege.

Mircea Eliade, 1933

Eliades Kritik am »historizistischen Nihilismus« führte ihn zur intensiven Beschäftigung mit den mythischen Vorstellungen der traditionalen Gesellschaften. Anders als viele Religionswissenschaftler, sah er im Mythos nicht einfach eine primitive und unzulängliche, sondern eine komplexe und gegenüber der Rationalität selbständige Form der Weltwahrnehmung. Mythen waren für Eliade »heilige Geschichten«, die den Ursprung aller Dinge – des Kosmos, der Vegetation, der Menschen des eigenen Volkes, der Sexualität, der Werkzeuge, der Religion selbst – erklärten. Alle mythischen Ereignisse fanden illo tempore statt, in einem Goldenen Zeitalter, bevor die Geschichte begann und diese Epoche zerstörte. In ihren Kulten versuchten die frühen Völker die Geschichte rückgängig zu machen und die »Perfektion der Anfänge« durch Wiederholung des damals Geschehenen zurückzugewinnen. Die Tatsache, daß das historische Bewußtsein im eigentlichen Sinne, die »Geschichte … eine judäo-christliche Schöpfung« darstellt, hat dazu geführt, daß Eliade Judentum und Christentum mit einer gewissen Distanz gegenüberstand. Die im Glauben Israels angelegte »Desakralisierung der Natur, die Entwertung der kultischen Handlung, kurz die heftige und totale Zurückweisung der kosmischen Religiosität« schienen ihm mitverantwortlich für den religiösen Verfall der westlichen Gesellschaft in der Neuzeit. Das hinderte ihn andererseits nicht, dem Christentum, soweit es ein »kosmisches Christentum« im Sinne der östlichen Orthodoxie war, einen besonders hohen Stellenwert zuzubilligen.

Wenn Eliade trotz der offenbaren Säkularisation an der Ansicht festhielt, daß das »Heilige« eine ontologische Größe sei, die nicht verschwinden könne, dann hing das einerseits mit der Auffassung zusammen, daß die »Hierophanien« verschleiert aufträten; andererseits hoffte Eliade, zuzumindest in den dreißiger Jahren, auf eine Art kultureller Regeneration Europas, die auch die Religion erfassen würde. In dieser Anschauung lag seine fortdauernde intellektuelle Nähe zur gesamteuropäischen Konservativen Revolution begründet. Nachdem Eliade 1933 einen Ruf an die Universität Bukarest erhalten hatte, gründete er mit Freunden, die den verschiedensten politischen Lagern angehörten, die Gruppe (und später die Zeitschrift) Criterion, die dem Dialog zwischen den Weltanschauungen verpflichtet war. In der folgenden Zeit wurde Eliade zu einem der profiliertesten Sprecher, in mancher Hinsicht zum »Idol der jungen Generation« (➞ E. M. Cioran) Rumäniens. Seine Sympathie für die Eiserne Garde stand dem nicht im Wege, sondern trug zu seiner Attraktivität noch bei. Was Eliade an diesem rumänischen Faschismus fasziniert hat, war etwas spezifisch »Unfaschistisches«: die eigenartige Mischung aus Aktivismus und christlicher Mystik, die ihr Gründer Codreanu zur Grundlage der Ideologie der »Legionäre« gemacht hatte. Eliade sah in dem Messianismus und der Bereitschaft ihrer Mitglieder und Führer zur Aufopferung eine mögliche Basis für die Wiederbelebung der abendländischen Spiritualität. Aus ähnlichen Gründen wie im Fall der Eisernen Garde interessierte Eliade sich auch für die Arbeiten der »Traditionalisten« um René Guénon und Julius Evola. Evolas Schriften hatte Eliade schon 1927 während einer Italienreise kennengelernt, seiner Revolte gegen die moderne Welt widmete er 1935 eine ebenso ausführliche wie wohlwollende Besprechung in der Zeitschrift Vremea. 1937 kam es in Bukarest zu einer ersten persönlichen Begegnung, die sich nach dem Krieg, 1949, wiederholen sollte. Die Distanz blieb allerdings unüberbrückbar, obwohl Eliade und Evola einen intensiven Briefwechsel aufrechterhielten. Die unterschiedliche Einstellung zur Bedeutung des Okkultismus und später zu Fragen der politischen Praxis spielten eine wichtige Rolle für die Differenzen zwischen den beiden. Eliade ging jedenfalls seit dem Ende der dreißiger Jahre auf Distanz zur Legionärsbewegung in Rumänien und entzog sich dem politischen Geschehen. Ende 1938 wurde er im Zusammenhang mit der Inhaftierung seines akademischen Lehrers Ionescu kurze Zeit in ein Lager der rumänischen Geheimpolizei verbracht, aber bald darauf wieder freigelassen.

»... der Glaube an höchste Wesen ist überall im Niedergang (wenn er nicht völlig verschwunden ist), und den Ehrenplatz nehmen niedrigere Formen des religiösen Erlebens ein: Totemismus, Manismus, Animismus usw. Der »primitive« Mensch – ebenso wie der zivilisierte – verehrt dämonische, orgiastische Mächte, spektakuläre Göttergestalten von übersteigertem Pathos. Der Mensch entsinnt sich Gottes nur dann, wenn er zur Einsicht gelangt, daß keine dieser heiligen Mächte ihm helfen kann.«

Mircea Eliade

Die verworrene Situation in seinem Land erlaubte es Eliade trotzdem, 1940 als Kulturattaché der rumänischen Botschaft nach London zu wechseln. Kurz darauf wechselte er als Diplomat nach Lissabon, wo er auch das Kriegsende erlebte. Angesichts der Besetzung seines Landes durch die Rote Armee zog er es vor, nicht zurückzukehren, sondern nach Paris ins Exil zu gehen. Die folgenden Jahre widmete Eliade – neben der Fortsetzung seines erzählerischen Werkes, das er 1933 mit dem Buch Das Mädchen Maitreyi begonnen hatte – religionsgeschichtlichen Studien, intensivierte den Kontakt zu C. G. Jung, Gershom Scholem und anderen bedeutenden Gelehrten und hielt an zahlreichen Hochschulen Gastvorlesungen. In dieser Zeit entstanden viele seiner wichtigsten Bücher, die er im allgemeinen in französischer Sprache abfaßte: Die Religionen und das Heilige (1949), Schamanismus und archaische Ekstasetechnik (1951), Bilder und Sinnbilder (1952), Der Mythos der ewigen Wiederkehr (1953), Schmiede und Alchemisten (1956). Im Jahr 1956 erhielt Eliade einen Lehrstuhl für Religionswissenschaft an der Universität von Chicago und übersiedelte in die Vereinigten Staaten.

Politisch übte Eliade in der Nachkriegszeit Zurückhaltung. Die Zeitschrift Antaios, die er 1960 zusammen mit Ernst Jünger gründete, diente ausdrücklich nicht dem Zweck politischer Diskussion, eher der geistigen Vorbereitung eines »neuen Humanismus«, dessen Grundeinsicht nach Eliades Auffassung lauten sollte: »Mensch sein, oder, besser: werden, heißt religiös sein.« Die weitere Entwicklung der Industriegesellschaft beobachtete Eliade mit großer Skepsis. Er glaubte, daß sie selbstzerstörerische Kräfte entbinde, von denen Massenkonsum, Kernspaltung und Umweltvernichtung nur besonders dramatische Ausdrucksformen seien. An die Möglichkeit unmittelbaren Eingreifens glaubte Eliade indes nicht, aber doch an die Möglichkeit, »irgendwo in der Avantgarde der Menschheit von morgen oder übermorgen« zu stehen. Der Religionswissenschaft billigte er in dieser Zeit des Interregnums eine geheime »königliche Funktion« zu: Sie sollte die Erinnerung an den Reichtum der Glaubenserfahrungen für eine bessere Zukunft bewahren. Sein letztes Lebensjahrzehnt widmete Eliade deshalb der Niederschrift einer umfassenden »Geschichte der religiösen Ideen«, deren Vollendung er allerdings nicht mehr erlebte.

Schriften

  • Schamanismus und archaische Ekstasetechnik, Salzburg 1951.
  • Ewige Bilder und Sinnbilder, Olten/Freiburg i. Br. 1952.
  • Die Religionen und das Heilige, Salzburg 1953.
  • Der Mythos der ewigen Wiederkehr, Düsseldorf 1953.
  • Das Heilige und das Profane, Reinbek bei Hamburg 1957.
  • Schmiede und Alchemisten, Stuttgart 1960.
  • Yoga, Zürich 1960.
  • Das Mysterium der Wiedergeburt, Zürich/Stuttgart 1961.
  • Mythen, Träume und Mysterien, Salzburg 1961.
  • Geschichte der religiösen Ideen, 4 Bde., Freiburg i. Br. 1978–91.
  • Von Zalmoxis zu Dschingis-Khan, Köln-Lövenich 1982.

Literatur

  • Claudio Mutti: Mircea Eliade und die Eiserne Garde. Rumänische Intellektuelle im Umfeld der Legion Erzengel Michael, Preetz 2009.
  • Richard Reschika: Mircea Eliade zur Einführung, Hamburg 1997.
  • Florin Turcanu: Mircea Eliade. Der Philosoph des Heiligen oder Im Gefängnis der Geschichte. Eine Biographie, Schnellroda 2006.
Der Artikel wurde von Karlheinz Weißmann verfaßt.