Ernst Forsthoff

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Forsthoff, Ernst
(Pseudonym: Georg Holthusen),
geb. 13. September 1902 Duisburg-Laar,
gest. 13. August 1974 Heidelberg.

Der Jurist Ernst Forsthoff hat innerhalb seiner Disziplin drei Marksteine gesetzt: mit dem Versuch, die allgemeine Daseinsvorsorge öffentlich-rechtlichen Bindungen zu unterwerfen; mit seinem Lehrbuch des Verwaltungsrechts, das von 1950 bis 1973 zehn Auflagen erlebte; mit seinen staatsrechtlichen Überlegungen, die um die Aufgabe und Wirklichkeit des Staates in einer durch technisch-wirtschaftliche Vorgänge fundamental veränderten Gegenwart kreisen.

Forsthoff studierte nach dem Ersten Weltkrieg an den Universitäten Freiburg, Marburg und Bonn, wo ihn Carl Schmitt 1923 zur Promotion im Öffentlichen Recht mit dem Thema »Der Ausnahmezustand der Länder« anregte. 1930 habilitierte er sich in Freiburg über »Die öffentliche Körperschaft im Bundesstaat«. Neben seiner auf das Staatsrecht konzentrierten wissenschaftlichen Arbeit schrieb der Privatdozent 1930/31 zahlreiche Aufsätze für die konservative Wochenschrift Der Ring unter dem Pseudonym Georg Holthusen. 1933 erhielt er seinen ersten Ruf an die Universität Frankfurt am Main, 1935 wechselte er nach Hamburg.

Forsthoff zeigte anfänglich Sympathien mit dem NS-Regime (Broschüre Der totale Staat, 1933), dem er die Überwindung des bürgerkriegsähnlichen innenpolitischen Zustandes eher zutraute als der Präsidiallösung Carl Schmitts. Späterhin vorgenommene, fachsprachlich verklausulierte Revisionen bereiteten ihm schon in Hamburg Schwierigkeiten. Es gelang ihm 1936, auf einen Lehrstuhl in Königsberg auszuweichen, aber 1941 durfte er einen Ruf aus Wien wegen Lehr- und Redeverbot nicht annehmen. In dieser Zeit entstand sein epochales Werk über die Daseinsvorsorge, welches zum erstenmal die Notwendigkeit staatlicher Vorleistungen für den alltäglichen Lebensvollzug (in der Energie-, Gesundheits-, Verkehrsund Umweltpolitik, weniger der Sozialpolitik) einer gründlichen rechtsbegrifflichen Klärung unterzog. 1943 erhielt er einen Lehrstuhl in Heidelberg, wurde aber nach Kriegsende sogleich auf Anordnung der amerikanischen Militärregierung dienstentlassen. Erst 1952 gestattete man ihm die Rückkehr. In Heidelberg lehrte er bis zu seiner Emeritierung 1967 (und schrieb 1953 einen der ersten Grundgesetzkommentare). Seit 1960 war er Präsident des zyprischen Verfassungsgerichtes, trat aber 1963 vom Amt zurück, als die Regierung Minderheitenrechte überging.

»Der harte Kern des heutigen sozialen Ganzen ist nicht mehr der Staat, sondern die Industriegesellschaft, und dieser harte Kern ist durch die Stichworte Vollbeschäftigung und Steigerung des Sozialprodukts bezeichnet.«

Nachdem Forsthoff den totalen Staat als »eine auf Mißbrauch beruhende Entartung des Staates« erkannt hatte, dem kein autonomes Recht mehr Einhalt gebieten kann, stellten sich ihm die staatsrechtlichen Problemfelder der Bundesrepublik wie folgt dar: Durchdringung von Staat und Gesellschaft; Verdrängung von Rechts- durch Sozialstaatsprinzipien, indem die Verfassung zu einem materialen Wertsystem umfunktioniert wird; eine »staatsideologische Unterbilanz« durch Mangel und Unfähigkeit zur geistigen Selbstdarstellung des Staates; die faktische Macht der Verfassungsgerichtsbarkeit, der »technischen Realisation« und supranationaler Institutionen. In seinem letzten Werk, Der Staat der Industriegesellschaft, bündelte er seine Auffassungen in Richtung auf die Stabilität der politischsozialen Gesamtordnung und die noch verbleibende staatliche Souveränität. Die Stabilität der Industriegesellschaft teile sich auch dem Staat mit, weil er auf vielfältige Weise mit den Interessen und der Rationalität der Wirtschaft unmittelbar verflochten sei. Darunter sieht Forsthoff allerdings die individuelle Freiheit immer mehr von gesellschaftlichen Zumutungen und technischen Entwicklungen bedroht, die Entpolitisierung des Bürgers sei ein Symptom dafür. Chancen des Staates, sich als eigenständige politische Kraft neu zu positionieren, sieht Forsthoff in der gesetzlichen Bewältigung der mit der technisch-wirtschaftlichen Entwicklung unvermeidlich gegebenen Risiken. Mit diesen Ausführungen rückte Forsthoff in die Gruppe staatsloyaler Intelligenz ein (zusammen mit Gehlen, Schelsky u. a.), die ihre Gegner mit dem Vorwurf eines »technokratischen Konservativismus« belegten und schließlich auch in eine relative Vergessenheit abschieben konnten.

Schriften

  • Die Verwaltung als Leistungsträger, Stuttgart/Berlin 1938.
  • Lehrbuch des Verwaltungsrechts, München 1950.
  • Die Daseinsvorsorge und die Kommunen. Ein Vortrag, Köln 1958.
  • Der Staat der Industriegesellschaft. Dargestellt am Beispiel der Bundesrepublik, München 1971.
  • Rechtsstaat im Wandel. Verfassungsrechtliche Abhandlungen 1954–1973, hrsg. v. K. Frey, Stuttgart 1974.
  • Briefwechsel mit Carl Schmitt 1926–1974, hrsg. v. A. Reinthal et al., Berlin 2007.

Literatur

  • Ernst Forsthoff. Kolloquium aus Anlaß des 100. Geburtstags, hrsg. v. Willi Blümel, Berlin 2004.
  • Karl Doehring (Hrsg.): Festgabe für Ernst Forsthoff zum 65. Geburtstag, München 1967.
Der Artikel wurde von Rainer Waßner verfaßt.