Berlin – Brandenburger Tor

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Das Brandenburger Tor um 1855

So bedeutsam sollte es eigentlich gar nicht werden – das Brandenburger Tor. Nur das größte Stadttor von Berlin sollte es sein und damit die gewachsene Bedeutung Preußens seit den Siegen Friedrichs des Großen (→ Leuthen) widerspiegeln. Doch die Geschichte machte weit mehr daraus. Es ist neben Schloß Neuschwanstein sicherlich das bekannteste deutsche Bauwerk. Aber während sich die Symbolik Neuschwansteins weitgehend darin erschöpft, das »Märchenschloß« vom bayerischen »Märchenkönig« Ludwig II. zu sein, ist die Symbolvielfalt des Brandenburger Tores außergewöhnlich: Es symbolisiert den Aufstieg Preußens zur europäischen Großmacht, aber auch die Niederlage Preußens gegen Napoleon, der 1806 durch das Tor in die Stadt einrückte. Auf diese Niederlage folgten viele Triumphe: 1815 (→ Waterloo), 1864,1866 (→ Königgrätz) und 1871 (→ Versailles) paradierten die siegreichen preußischen Truppen durch das Tor und erhoben es damit zum Wahrzeichen Berlins. 1918 zogen die Truppen des im Felde ungeschlagenen, aber gleichwohl besiegten Deutschlands durch das Portal. 1933 marschierte dort im Fackelzug, die nationalsozialistische Machtergreifung feiernd, die SA hindurch und 1940, nach dem Sieg über Frankreich, die großdeutsche Wehrmacht. 1945 hißten die Sowjets auf dem zerschossenen Wahrzeichen die rote Fahne und 1953 zogen beim Volksaufstand die Ostberliner Arbeiter durch das Tor. 1961, im Jahr des Mauerbaus, wurde das Brandenburger Tor zum Symbol der Teilung Berlins (→ Berliner Mauer), der Teilung Deutschlands, der Teilung der Welt in Ost und West. Nach dem Mauerfall verwandelte sich das Symbol der Teilung zum Symbol der neugewonnenen Einheit.

Der Vorgängerbau des Berliner Brandenburger Tores war 1734 zusammen mit der Zoll- bzw. Akzisemauer errichtet worden. Es bestand aus zwei von Trophäen gekrönten Pfeilern, einem schlichten Wachlokal auf der linken und einem Haus für den Torschreiber sowie einem Spritzenhaus auf der rechten Seite. Ein halbes Jahrhundert später genügte das erste Brandenburger Tor, das die Prachtstraße Unter den Linden nach Westen abschließt, den gewachsenen Ansprüchen für die königliche Residenzstadt Berlin nicht mehr. Von 1788 bis 1791 ließ der preußische König Friedrich Wilhelm II. das heutige Brandenburger Tor von Carl Gotthard Langhans im frühklassizistischen Stil errichten.

War die Architektur früherer Torbauten an römischen Triumphbögen orientiert, so zeigt sich beim Brandenburger Tor ein neuer Antikenbezug. Langhans nahm die griechische Architektur zum Vorbild, genauer die Propyläen auf der Akropolis, die er irrtümlicherweise für das Stadttor von Athen hielt. Er kopierte das Bauwerk allerdings nicht, sondern ahmte dessen »Geist« nach und versuchte diesen auf die Berliner Situation zu übertragen. Der monumentale Sandsteinbau des Brandenburger Tores (es war der erste klassizistische Bau Berlins) mißt mit der sie abschließenden Skulpturengruppe der Quadriga eine Höhe von 26 Metern, eine Breite von 65,50 Metern und eine Tiefe von 11 Metern. Die fünf Durchfahrten des Tores werden durch Mauern voneinander getrennt, deren Stirnseiten je sechs dorische Säulen vorgelagert sind. Das 5,65 Meter breite Mitteltor war für die Hofequipagen der königlichen Familie reserviert, die vier jeweils 3,80 Meter breiten Seitentore waren für den öffentlichen Verkehr bestimmt. Über dem Gesims lagert eine wuchtige Attika, deren Stufen giebelartig zur Quadriga emporführen. Die südlich und nördlich zum Pariser Platz hin angelagerten Flügelbauten, die als Unterkunft für Steuereinnehmer, wachhabende Soldaten und Offiziere dienten, erhielten an den Stirnseiten dorische Tempelfronten.

1793 wurde das Brandenburger Tor mit der von Johann Gottfried Schadow in Kupfer gefertigten Quadriga gekrönt. Sie zeigte ursprünglich die im Wagen stehende, von vier Pferden gezogene Friedensgöttin Eirene, eine Tochter des Zeus. Unterhalb der Figurengruppe befindet sich daher das Attikarelief »Zug des Friedens«. Nach dem Sieg Napoleons in der Schlacht bei Jena und Auerstedt, wurde die Quadriga 1806 nach Paris gebracht. Nach den Befreiungskriegen (→ Schill-Gedenkstätten) und der französischen Niederlage in der Völkerschlacht bei Leipzig (1813) sorgte Feldmarschall Blücher dafür, daß sie nach Berlin zurückkehrte. Hier nahm sie unter großem Jubel der Berliner Bevölkerung wieder ihren angestammten Platz ein. Auf Befehl Friedrich Wilhelms III. erhielt die Friedensgöttin von dem Architekten Karl Friedrich Schinkel eine neue Trophäe: einen das Eiserne Kreuz umschließenden Eichenkranz, gekrönt vom preußischen Adler - und aus der Friedensgöttin wurde jetzt die Siegesgöttin Viktoria. Die erste Trophäe war ein an einem Speer befestigter Helm gewesen sowie ein Brustpanzer und zwei Schilde.

In den Jahren 1861 bis 1868 erfuhr das Brandenburger Tor einige Änderungen: Johann Heinrich Strack errichtete zwischen dem Tor und den Torhäusern neue Durchgänge, und die Häuser selbst wurden mit offenen Säulenhallen versehen.

Fast gleichzeitig, 1865, wurde die Zollmauer am Brandenburger Tor abgetragen, und der den Linden westlich vorgelagerte Pariser Platz erhielt 1880 seine von dem Gartenbaudirektor Hermann Mächtig entworfene - und 1992 wiedergeschaffene Gestaltung. Bis 1869 war, infolge des rasanten Wachstums der Stadt, die gesamte Zollmauer, einschließlich ihrer Tore, gefallen. Nur das Brandenburger Tor überdauerte diesen Modernisierungsschub.

Wenn siegreiche preußische Truppen durch das Brandenburger Tor zogen, wurde Berlins Wahrzeichen festlich geschmückt. Das geschah besonders eindrucksvoll nach dem Deutsch-Französischen Krieg und der Gründung des zweiten Deutschen Reiches 1871 (→ Bismarck, Versailles), mit der Berlin zugleich zur Reichshauptstadt aufstieg. Tor und Quadriga wurden mit Girlanden versehen und auf die Dächer der umliegenden Häuser installierte man Tribünen. Unter allgemeinen Jubelrufen zog der neugekrönte deutsche Kaiser, Wilhelm I. (→ Kyffhäuser), an der Spitze seiner Truppen durch das Brandenburger Tor ein. Ehrenjungfern überreichten ihm Blumen. Weniger festlich war das Brandenburger Tor nach dem Ende des Ersten Weltkrieges »geschmückt«: Während der Januarkämpfe 1919 besetzten es Regierungstruppen und brachten an der Quadriga ein Maschinengewehr in Stellung. Auch beim Kapp-Putsch 1920 stand das Tor im Brennpunkt der Auseinandersetzungen. Munition wurde dort gelagert, und Dutzende Einschußlöcher »zierten« die Quadriga. Doch am fürchterlichsten gezeichnet war Berlins Wahrzeichen am Ende des Zweiten Weltkrieges: Tausende von Einschußlöchern, Inschriften der Sieger, ein großes Einschußloch in der Attika und eine völlig zerfetzte Quadriga boten ein trostloses Bild.

Am 21. September 1956 wurde vom Ostberliner Magistrat beschlossen, das Brandenburger Tor wieder instand zu setzen. Ein gutes Jahr später war der Neuaufbau – nicht zuletzt dank Westberliner Hilfe – abgeschlossen. Von der Quadriga hatte man 1942 glücklicherweise einen Gipsabguß angefertigt, so daß seit 1958 ein neugegossenes Vierergespann das Tor wieder krönt – zu DDR-Zeiten allerdings ohne Preußenadler und Eisernes Kreuz. 1961, im Jahr des Mauerbaus (→ Berliner Mauer), verschwand Berlins Wahrzeichen im Niemandsland. Vom Westen aus unerreichbar, vom Osten aus unerreichbar für die Bevölkerung, lag das Tor einsam inmitten von Mauern und Minenfeld, nur für ausgewählte Staatsgäste Ost-Berlins zu besuchen.

»Open this gate!« - »Tear down this wall«, forderte am 12. Juni 1987 der damalige US-Präsident Ronald Reagan anläßlich seines Berlinbesuchs vor dem Brandenburger Tor. Gut zwei Jahre später war 30 es dann soweit: Am 9. November 1989 fiel die Mauer und seit dem 22. Dezember 1989 ist das Tor wieder passierbar. Zur Jahrtausendwende wurde das Wahrzeichen aufwendig saniert. Seit 1994 befindet sich ein »Raum der Stille« im nördlichen Torhaus. Der Pariser Platz ist unter Beibehaltung seiner Grundform und der Wiederherstellung seiner Grünanlagen neu bebaut worden. Platz und Tor wurden für den motorisierten Verkehr gesperrt. Seitdem ist der während der Teilung am meisten verödete Ort Berlins wieder ein beliebter Treffpunkt und begehrter Veranstaltungsort geworden – nicht mehr für stolze Siegesparaden, sondern vornehmlich für bundesdeutsche »Events«.

Literatur

  • Willmuth Arenhövel/Rolf Bothe (Hrsg.): Das Brandenburger Tor, Berlin 1991.
  • Laurenz Demps: Das Brandenburger Tor. Ein Symbol im Wandel, Berlin 2003.
  • Peter Feist: Das Brandenburger Tor, Berlin 2000.
  • Rainer Laabs: Das Brandenburger Tor. Brennpunkt deutscher Geschichte, Berlin 2001.
Der Artikel wurde von Norbert Borrmann verfaßt.