Religion

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Religion ist ein Begriff, dessen unklare Herleitung aus dem Lateinischen schon anzeigt, mit welcher Mannigfaltigkeit historischer Erscheinungen man es zu tun hat. Cicero führte religio auf religere im Sinne von »sorgsam beachten« (der Opfer oder Vorzeichen) zurück, während Augustinus und andere für eine Etymologie eintraten, die das Wort mit religare, also »binden, verbinden«, verknüpfte. Was die erste Interpretation betrifft, spräche für sie die außerordentliche Bedeutung, die dem Kult in allen bekannten Religionen zukommt, dessen Vorschriften eingehalten werden müssen, um den – immer potentiell gefährlichen – Kontakt mit dem Göttlichen sicherzustellen, während für die zweite Alternative der Aspekt der Innerlichkeit genannt werden könnte, nämlich die sehr stark von Emotionen und irrationalen Momenten bestimmte Bindung des einzelnen an ein oder mehrere göttliche Wesen.

»Die Dialektik der Hierophanien läßt eine spontane und integrale Wiederentdeckung aller religiösen Werte zu, welche es auch seien und auf welcher geschichtlichen Ebene sich auch die Gemeinschaft oder das Individuum befinden, die diese Entdeckung realisieren.«

Mircea Eliade

Die zuletzt genannte Auffassung kommt selbstverständlich dem Christentum oder eigentlich allen Hochreligionen (Judentum, Christentum, Islam, Buddhismus, mit Vorbehalt Zoroastrismus und Hinduismus) entgegen, die eine Tendenz zur Sublimierung des äußerlichen Religionsvollzugs aufweisen. Der hat allerdings über die längste Zeit der Religionsgeschichte entscheidende Bedeutung besessen, insofern nur die Einhaltung der kultischen Regeln den Kreis der Religionsangehörigen abgrenzte und im eigentlichen Sinn den Fortbestand des Kosmos (Mythos) sicherte.

Wie dem auch immer sei, fest steht, daß aller R. die Unterscheidung zweier elementarer Bereiche zugrunde liegt: des »Heiligen« und des »Profanen«. Das Profane ist das Gewöhnliche, Alltägliche, von dem das Heilige, das »Ganz-Andere« qualitativ getrennt ist, seine Macht erscheint auch in bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten als »Hierophanie« besonders gebündelt, aber in ganz unterschiedlicher Gestalt. Das Heilige wirkt außerdem auf das Profane ein, stiftet die Hierarchie der Werte, bleibt aber doch immer vom Profanen unterscheidbar.

»Wenn man nicht gefühlig und weichlich Glück und Behagen zum Maßstabe des geschichtlichen Urteils macht, so wird man die große Unruhe, welche von diesen unheimlichen Grenzgefühlen ausgeht, trotz allem wohl als eine der fruchtbarsten Bewegerinnen und Erregerinnen menschlichen Schaffens und Wollens ehren müssen. Vielleicht – wer kann es wissen? – wären ohne diese unheimliche Versehrbarkeit im Grunde des Gemüts Mensch und Menschheit niemals auf ihre sie über alles andre erhebende Bahn jenseits aller Grenzziehungen des Triebs und der Gewohnheit gelangt.«

Emanuel Hirsch

Die R. ist deshalb eine konservative Kraft ersten Ranges, eine Feststellung, mit der selbstverständlich nicht in Abrede gestellt werden soll, daß die Religion auch revolutionär wirken kann, was insbesondere für die jüngeren monotheistischen und missionarischen Religionen Christentum und Islam gilt, die im Namen eines einzigen absoluten Gottes alle irdischen Ordnungen – auch die religiösen – in Frage stellen. Aber selbst hier gibt es eine starke Tendenz zur Etablierung und Verfestigung mit Ritual und Dogma, die eher stabilisierend als dauernd verändernd wirkt und die außergewöhnliche Lebensdauer von Religionen zu erklären hilft.

Tatsächlich wurden erst im 20. Jahrhundert aussichtsreiche Versuche unternommen, den Menschen als »betendes Tier« (Alister Hardy) abzuschaffen und diesen Teil seines Wesens zu zerstören oder auszutreiben. Erfolgreich waren diese Bemühungen nicht, was allerdings nicht zu der Auffassung führen sollte, die Grundtendenz der Moderne zu unterschätzen, die den Unterschied zwischen heilig und profan abzuschleifen oder unerheblich zu machen versucht.

Literatur

  • Mircea Eliade: Das Heilige und das Profane [1957], zuletzt Frankfurt a.M. 1996.
  • Emanuel Hirsch: Hauptfragen christlicher Religionsphilosophie, Berlin 1963.
  • Gerardus van der Leeuw: Phänomenologie der Religion [1933], zuletzt Tübingen 1977.
  • Rudolf Otto: Das Heilige [1917], zuletzt München 2004.
  • Geo Widengren: Religionsphänomenologie [1953], Berlin 1969.