Rechte

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Rechte bezeichnet jene politischen Gruppierungen, die in ständischen, später in parlamentarischen Versammlungen rechts vom Präsidium saßen. Diese Seite war die bevorzugte, das heißt, daß sich dort diejenigen fanden, die wegen ihrer Loyalität gegenüber dem Fürsten ausgezeichnet werden sollten. Daraus ergab sich, daß auf der Rechten seit der Französischen Revolution der parti de résistance – die »Partei des Widerstandes« – zu finden war, also die Royalisten und Kirchentreuen, nach deren Ausschaltung die Gemäßigten, im 19. und 20. Jahrhundert ganz allgemein die Konservativen. Mit deren Macht- und Ansehensverlust ging eine Umwertung einher, die zuletzt jenen abschätzigen Beigeschmack erklärt, der dem Begriff »rechts« bis heute anhaftet.

Man muß allerdings betonen, daß es sich dabei um eine Verkehrung der ursprünglichen Auffassung der Dinge handelt. Das ist nicht nur am merkbar positiven Klang der verwandten Begriffe – »Recht«, »richtig«, »Gerechtigkeit«, »recht« – festzustellen, sondern auch an der universalen Bevorzugung der rechten Seite, vor allem der rechten Hand, ablesbar. In der Bibel wird klargestellt, daß die Erlösten am Jüngsten Tag auf die rechte Seite Gottes treten werden und nach dem Apostolicum sitzt Christus dort, eben zur Rechten Gottes. Diese Seitensymbolik hat erst in der Moderne ihre Bedeutung verloren und in der Politik einer seltsamen »Linksmystik« (Peter Richard Rohden) Platz gemacht, die zu dem Versuch von Konservativen und Liberalen führte, sich durch linke Bezeichnungen zu tarnen, so daß »Radikaldemokraten« und »Radikalsozialisten« vor dem Ersten Weltkrieg Bezeichnungen der bürgerlichen Parteien Frankreichs waren; bei der Konstituierung des ersten Deutschen Bundestages 1949 wollte bezeichnenderweise keine Partei auf der rechten Seite des Plenums sitzen. In diesen Zusammenhang gehören auch alle möglichen Versuche der Rechten, die Links-Rechts-Scheidung für überholt zu erklären.

»Die ursprüngliche Form des menschlichen Denkens ist binär, dichotom. Sie stellt natürlicherweise zwei Absolutheiten, zwei gegensätzliche Kategorien einander gegenüber: Tag/Nacht, Schwarz/Weiß, Sie/Wir, groß/ klein, schön/häßlich, hoch/tief, yin/yang etc.«

Emmanuel Todd

Die wird allerdings immer wieder hergestellt, obwohl sich die von der Rechten vertretenen Inhalte im Laufe der beiden letzten Jahrhunderte deutlich gewandelt haben, so daß ununterbrochen »Neue Rechte« entstehen, die von jeder »Alten Rechten« sehr viel klarer geschieden sind als eine »Neue Linke« von einer »Alten Linken«. Das hat vor allem damit zu tun, daß die Rechte sich in einer Defensivposition befindet, die durch die Macht des großen Veränderungsprozesses bedingt ist, dem Europa seit dem revolutionären Zeitalter ausgesetzt war.

Der erschwert die Verteidigung der Tradition, die der Rechten besonders am Herzen liegt, während sich die dauernde Regeneration der Rechten daraus erklärt, daß die anderen Kernelemente rechter Weltanschauung ihre Notwendigkeit trotzdem immer wieder unter Beweis stellen, sobald die Linke die Bestände verwirtschaftet hat. Das heißt daß die Rechte als »Partei des Widerstandes« tot ist, aber als »Partei der Ordnung« unsterblich. Ihre anthropologische Skepsis (Menschenbild) und ihr politischer Realismus führen zwar unter verschiedenen Bedingungen zu verschiedenen Folgerungen, aber sie bleibt ein notwendiges Element jedes funktionstüchtigen politischen Systems.

»Nicht Fortschritt und Beharrung (vulgär Reaktion genannt), sondern Emanzipation und Institutionalisierung ist also die wirkliche Alternative zwischen Links und Rechts.«

Eugen Lemberg

Anders als »Mitte« ist »Linke« nur als Gegenbegriff zu Rechts bestimmbar. Damit werden jene politischen Gruppierungen bezeichnet, die vor allem das Ziel einer umfassenden Besitzgleichheit (Gerechtigkeit) anstreben. Sie geht zurück auf die erwähnte Sitzordnung des französischen Parlaments, bei der der Vorsitzende – wie auch in früheren Ständeversammlungen üblich – die Opposition auf die »schlechtere«, also die linke Seite setzte.

Allerdings ist die Linke als ideologische Strömung wesentlich älter, denn egalitäre Programme spielten seit jeher eine Rolle in gesellschaftlichen Konflikten, so daß man von einer »Ewigen Linken« (Ernst Nolte) sprechen kann, die immer die Partei der Armen gegen die Partei der Reichen bildete. Neben existentieller Not und einer bestimmten Art von Gerechtigkeitsvorstellung wirkte dabei auch Neid auf den Wohlstand der anderen mit. Das erklärt die Regenerationsfähigkeit der Linken ebenso wie die Vielfalt der Motive, die dazu treiben, sich ihr anzuschließen. Grundsätzlich muß zwischen denen, die nur die Konsequenz ihrer Klassenlage ziehen, den Mitleidigen und all jenen unterschieden werden, die hoffen von einer Umverteilung zu profitieren.

»Rechts gibt es allzu viele, die schlafen, links allzu viele, die träumen. Unsere Aufgabe jedoch ist, wach zu bleiben.«

Gustave Thibon

Oft wirken alle drei Impulse zusammen, was auch etwas von der außergewöhnlichen Erfolgsgeschichte der Linken erklärt, die im 19. Jahrhundert zur stärksten politischen Kraft Europas wurde. Allerdings erfüllten sich ihre hochfliegenden Zukunftserwartungen nicht: weder die der revolutionären Fraktion, die mit einem vollständigen Umsturz der bestehenden Besitzordnung rechnete, noch die der Reformisten, die eher auf einen gleitenden Übergang zum Sozialismus setzten.

Das hatte bei einem Teil der Linken die Preisgabe des Endziels zur Folge, so daß sich diese »Sozial-Demokraten« kaum noch von der Anhängerschaft des progressiven Liberalismus unterschieden; eine zweite Gruppe, die »Bolschewisten«, radikalisierte dagegen die bisher in Erwägung gezogenen Mittel und schuf Kader von Berufsrevolutionären (Elite), während die dritte Fraktion zu dem Ergebnis kam, daß man das historische Subjekt falsch bestimmt hatte und nun annahm, daß eben nicht die Klasse die neue Welt heraufführen werde, sondern die Nation oder die Rasse.

Derartige Vorstellungen waren der Linken von Anfang an nicht fremd. Gerade der Jakobinismus und dann der französische Frühsozialismus waren nachhaltig von Ideengängen einer »reaktionären Linken« (Marc Crapez) bestimmt gewesen, die neben dem Nationalismus auch Rassenvorstellungen – in Sonderheit einem spezifischen linken Antisemitismus – anhing und eben keine egalitäre Ordnung für die Menschheit, sondern nur für eine abgrenzbare Gruppe wollte. Diese Affinität erklärt einiges im Hinblick auf den sonst unverständlichen Tatbestand, daß der Faschismus wesentlich durch Renegaten der Linken (Mussolini, Panunzio) geschaffen oder weitergeführt (Mosley, Déat, Doriot, de Man) wurde.

»Im Kern ist die Linke traurig.«

David Levy

Nach dem Scheitern des Faschismus wie des Bolschewismus gehörte die Sozialdemokratie zu den Siegern des großen ideologischen Konflikts und in mancher Hinsicht trifft die Formulierung Ralf Dahrendorfs den Kern, der das 20. als das »sozialdemokratische Jahrhundert« bezeichnet hat. Mit dessen Ende wurde allerdings auch die populäre Vorstellung fragwürdig, ob das bis dahin so erfolgreiche Bündnis der Linken mit Bürokratie und Sozialtechnologie auf die Dauer erfolgreich sein könne. Hier wie in vielen anderen Bereichen der modernen Massengesellschaft gilt der Grundsatz, daß man von Voraussetzungen lebt, die man nicht zu erhalten vermag. Faktisch haben die Durchsetzung der linken Ideologie und die Praxis des Wohlfahrtsstaats zu Ansprüchen geführt, die kaum auf Dauer zu befriedigen sein werden und jedenfalls dazu zwingen, wieder strikter zwischen »Gleichen« und »Ungleichen« zu scheiden.

Literatur

  • Marc Crapez: La gauche réactionnaire, Paris 1997.
  • Marc Crapez: Naissance de la gauche, Paris 1998.
  • Hermann Heller: Politische Ideenkreise [1926], Werke, Abt. 2, zuletzt Leiden 1971.
  • Klaus Hoff: Rechts und Links. Zwei Schlagworte auf dem Prüfstand, Krefeld 1992.
  • Hanno Kesting: Herrschaft und Knechtschaft, Freiburg i.Br. 1973.
  • Ernst Nolte: Marxismus und Industrielle Revolution, Stuttgart 1983.
  • Ernst Nolte: Historische Existenz, München 1998.
  • Anton Peisl und Armin Mohler (Hrsg.): Kursbuch der Weltanschauungen, Schriften der Carl Friedrich von Siemens Stiftung, Bd 4, Frankfurt a.M. 1980.
  • Jacques du Perron: Droite et Gauche. Tradition et Révolution, Puiseaux 1991.
  • Zeev Sternhell: Faschistische Ideologie, Berlin 2002.