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Aktuelle Version vom 21. September 2016, 19:18 Uhr
Bund bezeichnet eine Sozialform, die aus gleichen oder ähnlichen Elementen besteht. Es kann sich dabei um einen Bund aus nachgeordneten Sozialformen oder aus einzelnen Menschen handeln. Im ersten Verständnis spricht man von einer Föderation, vor allem einem »Staatenbund« oder einem »Bundesstaat«. Im zweiten Verständnis handelt es sich um einen und als Zusammenschluß auf Grundlage von Alter oder Geschlechtszugehörigkei oder gefühlsmäßiger Übereinstimmung.
»Recht nennt darum der Avenir diese … Zentralisation der Regierung den Pantheismus des Staates, weil ein solcher Staat in der Tat gleich der spinozistischen alleinigen Substanz alles wird, und, alles (das Geistige wie das Materielle) fiskalisch machend und gleich dem Saturn oder Moloch in sich verschlingend, zu sich selber macht.«
Bundesstaat und Staatenbund
Konservative (von Constantin Frantz bis Heinrich Hellwege) haben sich immer wieder aus grundsätzlichen Erwägungen für föderale Verfassungen eingesetzt. Hauptgrund war die Annahme, daß der Bund – vorgebildet im »Alten« und im »Neuen Bund«, also im »Alten« und im »Neuen Testament« der Bibel – zu den natürlichen Sozialformen gehöre. Er sorge mit der Bewahrung regionaler Traditionen für die Stabilität des Staatswesens und hemmte außerdem die despotischen oder modernistischen Tendenzen einer Zentrale. In manchem trafen sich diese Auffassungen mit denen »föderalistischer« Liberaler und Sozialisten, die aber vor allem die Möglichkeit der Machtkontrolle (»doppelte Gewaltenteilung«) betonten. Entsprechende Anschauungen waren seit dem 18. Jahrhundert durch Montesquieu, die nordamerikanischen Federalists sowie den anarchistischen Theoretiker Proudhon formuliert worden.
In Deutschland hat die föderale Organisation auch faktisch eine wichtige Rolle für die Verfassungsentwicklung gespielt. Dabei kam die kulturelle und regionale Vielgestaltigkeit zur Geltung, aber auch eine problematische Neigung zu Kleinstaaterei und Verfolgung von Sonderinteressen, die man mit dem Verweis auf die »teutsche Libertät« zu rechtfertigen suchte (»Rheinbund«). Noch die Bildung des »Deutschen Bundes« 1815 war nichts anderes als eine Verlegenheitslösung angesichts der Unmöglichkeit, einen nationalen Einheitsstaat gegen die Interessen Österreichs beziehungsweise der europäischen Großmächte durchzusetzen. Nach der Reichsgründung von 1871 blieben zwar gewisse föderale Sonderrechte erhalten – nicht zuletzt durch die starke Stellung der Ländervertretung im »Bundesrat« –, aber an der überlegenen Stellung Preußens und einem starken unitarischen Element konnte im Ernst kein Zweifel sein. Das Problem einer konsequenten föderativen Gliederung war auch nach dem Ende der Monarchie nicht zu lösen, trotz sehr intensiver Debatten über eine »Reichsreform« und die Neugliederung des Landes Preußen.
Läßt man das NS-Regime und die DDR mit ihren starken zentralistischen Tendenzen außerhalb der Betrachtung, bleibt festzustellen, daß die föderale Struktur der Bundesrepublik zwar der deutschen Tradition entspricht, aber gewisse Einschränkungen gemacht werden müssen. Das hängt vor allem mit der künstlichen Neuschaffung von Ländern (vor allem Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz) zusammen, aber auch mit den Vorgaben der Alliierten für die Ausarbeitung des Grundgesetzes, die eine Machtkonzentration in Händen der Exekutive verhindern sollten.
Unter dem Eindruck der bürokratischen Fehlentwicklungen in der »Europäischen Union« gibt es immer wieder Stimmen – nicht nur in Deutschland –, die verlangen, die EU konsequent in einen »Staatenbund« umzuwandeln, dessen Glieder deutlich mehr Selbstbestimmungsrechte behalten als unter den gegenwärtigen Umständen.
Soziologische Kategorie
Die Bedeutung des Bundes als eigene Sozialform ist in der deutschen Völkerkunde (Heinrich Schurtz, Leo Frobenius) beziehungsweise Sozialwissenschaft (Herman Schmalenbach) früh erkannt worden. Dabei gelang Schmalenbach der Nachweis, daß man im Bund eine selbständige Kategorie neben Gemeinschaft und Gesellschaft habe; gegen Tönnies behauptete er, daß nicht die Gemeinschaft, sondern der Bund auf emotionaler Beziehung beruhe, die Gemeinschaft – etwa Ehe oder Familie – aber auf objektiven Gegebenheiten organischen Charakters, während die Gesellschaft sich allein kalkulierenden Erwägungen verdanke. Die Gefühle müssen sich nicht zwingend auf die anderen Bundesmitglieder beziehen, es kann sich auch um die Sympathie für eine Idee, einen Führer, einen Gott handeln.
Zuerst war man auf das Phänomen des Bundes durch die Analyse des »Männerbunds« aufmerksam geworden. Er wurde als Formation erkannt, die in frühen Gesellschaften wichtige Aufgaben erfüllte, da er die heranwachsenden Jungen von den Frauen und gleichaltrigen Mädchen ab- und untereinander zusammenschloß. Dieser »Jünglingsbund« bildete den Kern der Wehrfähigen, die Zugehörigkeit war oft an eine gefährliche oder zumindest schmerzhafte Initiation geknüpft, sie bildete außerdem die Voraussetzung für Heiratsfähigkeit und Aufnahme als Vollmitglied in den eigentlichen »Männerbund«.
Einige Theoretiker (Otto Höfler, Lionel Tiger) mutmaßen, daß der Männerbund überhaupt die früheste Form politischer Organisation ist, da sie nicht nur die Altersklassen sowie Möglichkeiten und Begrenzungen der Eheschließung bestimmte, sondern auch dazu neigte, die Gewaltmittel zu monopolisieren und einen spezifischen Geheimkult auszubilden, der die wesentlichen Formen religiöser Lehre und Praxis an sich zog. Diese zentrale Funktion des Bundes könnte nicht nur seine universale Verbreitung erklären, sondern auch seine Bedeutung in der europäischen Geschichte; hier wirkt vielleicht das Erbe der außerordentlich einflußreichen Männer- und Kriegerbünde bei den indogermanischen Völkern nach.
»Der Männerbund ist wichtiger. Die Familie ist selbstverständlich; er aber braucht die Bejahung.«
Erst die Modernisierung führte zur grundsätzlichen Infragestellung dieser Sozialform. Wie Ehe und Familie hat sie radikal an Bedeutung verloren. Ganz verschwunden ist sie allerdings nicht. Bundesartige Zusammenschlüsse haben sich vor allem in Führungskreisen erhalten (von Freimaurern bis zu Rotariern) und prägen mehr oder weniger noch den Verhaltenskodex in militärischen Einrichtungen. Zu betonen ist außerdem, daß es in Deutschland verschiedene Ansätze gab, Ersatz für das zu schaffen, was verlorenging. Neben elitären Künstler- und Dichterbünden, wie etwa dem George-Kreis, gab es schon vorher Versuche zu einer Reorganisation der (männlichen) Jugend insgesamt. Die bekanntesten Beispiele waren die zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstandenen »Burschen-« und »Turnerschaften« und die an seinem Ende auftretenden Gruppen des »Wandervogels«.
Diese Art von Jugendbewegung erlebte nach dem Ersten Weltkrieg eine Weiterentwicklung hin zu jenen Formen, die jetzt ausdrücklich als »bündisch« bezeichnet wurden. Die Bünde waren nach wie vor Selbsterziehungsverbände und Zusammenschlüsse auf freiwilliger Basis, aber es gab doch Übergänge zu ausgesprochenen »Kampfbünden« (Faschismus), wo man ernsthaft erwog, den Staat insgesamt aus dem Bund zu erneuern. Durch die Entwicklung nach 1933 sind diese Möglichkeiten abgeschnitten worden, trotz der äußerlichen Übernahme eines gewissen bündischen Dekors von seiten des NS-Regimes.
Bund und Männerbund unterzog man in den vergangenen Jahrzehnten nur aus polemischem Interesse genauerer Betrachtung. Das gilt vor allem für feministische Arbeiten oder solche, die sich dem Thema mit dekonstruierender Absicht näherten. Erst die offensichtliche Krise der Geschlechterbeziehung und des männlichen Selbstverständnisses überhaupt hat diesbezüglich einige vorsichtige Korrekturen erlaubt.
Literatur
Bundesstaat und Staatenbund
- Ernst Deuerlein: Föderalismus. Die historischen und philosophischen Grundlagen des föderativen Prinzips, München 1972.
- Constantin Frantz: Der Föderalismus als das leitende Prinzip für die sociale, staatliche und internationale Organisation unter besonderer Bezugnahme auf Deutschland, Mainz 1879.
- Heinrich Hellwege: Die föderalistische Lebensordnung, Bonn 1953.
- Edgar Julius Jung: Föderalismus als Weltanschauung, München 1931.
Soziologische Kategorie
- Hans Blüher: Die Rolle der Erotik in der männlichen Gesellschaft, 2 Bde, Jena 1917/19.
- Hans-Peter Hasenfratz: Der indogermanische »Männerbund«, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 34 (1982), S. 148-163.
- Otto Höfler: Kultische Geheimbünde der Germanen, Bd 1 [mehr nicht erschienen], Frankfurt a. M. 1934.
- Herman Schmalenbach: Die soziologische Kategorie des Bundes, in: Die Dioskuren 1 (1922), S. 35-105.
- Heinrich Schurtz: Altersklassen und Männerbünde, Berlin 1902.
- Lionel Tiger: Warum die Männer wirklich herrschen, München 1972.
- Karlheinz Weißmann: Männerbund, Schnellroda 2004.