Vom Kriege

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Vom Kriege. Hinterlassenes Werk,
Carl von Clausewitz (aus dem Nachlaß hrsg. v. Marie von Clausewitz), 3 Teile, Berlin: Ferdinand Dümmler 1832–1834.
Carl von Clausewitz (1780–1831), Gemälde von Karl Wilhelm Wach

Das vom Autor nur noch in kleinen Teilen bis zur Druckreife überarbeitete, gut 1000seitige Opus magnum (in acht »Büchern «) des preußischen Generals Carl von Clausewitz entstand in Auseinandersetzung mit der Kriegführung Napoleons. Er analysierte nicht nur, wie viele andere, die als revolutionär geltenden, neuen militärischen Phänomene im engeren kriegswissenschaftlichen Sinne, sondern entwickelte – mit Hilfe der Logik Kants und der Dialektik Hegels – eine philosophische Theorie des Krieges und seines Zusammenhangs mit der Politik.

Clausewitz hat seine Kernthesen zum Wesen des Krieges und zum Zusammenhang von Krieg und Politik im – noch selbst überarbeiteten – 1. Kapitel des 1. »Buches« zusammengefaßt sowie im nicht mehr überarbeiteten 8. »Buch« dargelegt. Seine zentrale Feststellung, daß der Krieg »eine Fortsetzung des politischen Verkehrs … mit anderen Mitteln« ist, gilt allgemein als Quintessenz von Vom Kriege. Doch definiert Clausewitz den Krieg zunächst einfach als einen »Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen«. Krieg wird so weder als juristisch oder moralisch qualifizierbarer Zustand noch als ein enthemmtes Ausagieren eines naturgegebenen menschlichen Aggressionstriebes begriffen, sondern als ein bestimmter Modus des zielgerichteten Handelns einer Gruppe gegen andere.

Clausewitz trennt dabei scharf zwischen Zweck und Mittel, wobei »die physische Gewalt« das Mittel, hingegen, »dem Feinde unseren Willen aufzudringen, der Zweck« des Krieges ist. Der sicherste Weg zur Erreichung dieses Zweckes besteht jedoch darin, den Feind wehrlos zu machen, so daß im Krieg selbst zunächst die vollständige Niederwerfung des Feindes zum eigentlichen Kriegszweck zu werden scheint. Begriffsnotwendig führt diese Verdrängung des ursprünglichen, unter Umständen begrenzten Zwecks zu einer wechselseitigen Steigerung des Gewalteinsatzes gegeneinander »bis zum äußersten «. Diese Eskalationsspirale hin zu einer völlig schranken- und verzugslosen gegenseitigen Gewaltanwendung, zum »reinen« bzw. »absoluten Krieg« ist zwar nur eine theoretische Ableitung, die indes in jedem Krieg als allzeit realisierbare Möglichkeit im Hintergrund schlummert.

Titelblatt Vom Kriege (1832)

In der Realität verzögern schon bestimmte, dem Krieg immanente Eigenschaften wie die generellen Vorteile der Defensive gegenüber der Offensive, Friktionen wie die unvermeidbare »unvollkommene Einsicht« der Akteure und die Unwägbarkeiten des Kriegsglücks diese Eskalation. Der ursprüngliche, nicht dem Krieg selbst angehörende Zweck, den jeweiligen politischen Willen der Akteure durchzusetzen, erhält so wieder Gelegenheit, sich zur Geltung zu bringen.

»So sehen wir also, daß der Krieg nicht bloß ein politischer Akt, sondern ein wahres politisches Instrument ist, eine Fortsetzung des politischen Verkehrs, eine Durchführung desselben mit anderen Mitteln. Was dem Krieg nun noch eigentümlich bleibt, bezieht sich bloß auf die eigentümliche Natur seiner Mittel.«

Clausewitz versteht unter Politik zweierlei: Im Sinne eines »subjektiven« Begriffes zunächst die Setzung von rationalen Zwecken durch eine klar definierte Instanz wie z. B. eine staatliche Regierung. Hier wird der Krieg als deren »politisches Instrument« gesehen, um durch den zweckrationalen Einsatz von Gewalt bestimmte Ziele zu erreichen. In diesem Sinne postuliert Clausewitz einen generellen Führungsanspruch der politischen gegenüber der militärischen Leitung auch im Krieg – wobei im Idealfall jene die Möglichkeiten des Krieges genau einzuschätzen vermag und ihre Ziele immer wieder auf ihre Realisierbarkeit hin überprüft. Auf der anderen Seite gibt es einen »objektivierten « Begriff von Politik als die Gesamtheit der anonymen, der bewußten Steuerung entzogenen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und geistigen Kraftlinien innerhalb und zwischen den Völkern. Politik in diesem Sinne nimmt in jedem Fall und ohne besondere institutionelle Vorkehrungen Einfluß auf die jeweilige Art der Kriegführung. In beiden Fällen impliziert die Überordnung der Politik im übrigen nicht unbedingt eine Hegung, sondern unter Umständen auch eine Eskalation des Krieges.

Clausewitz’ politische Erfahrungen entstammten einer Welt, in der souveräne Staaten den politischen Willen anderer Staaten zwecks Durchsetzung ihrer Interessen zu beeinflussen suchten. Die daraus resultierenden Konflikte wurden in unterschiedlicher Weise ausgehandelt, der zwischenstaatliche »politische Verkehr « fand entweder gewaltfrei im Modus Diplomatie oder gewaltsam im Modus Krieg statt, in dem quasi nur die »Feder mit dem Degen getauscht« wurde. Wenn auch diese einfache Dichotomie mittlerweile veraltet erscheinen mag, so bleiben Clausewitz’ Einsichten zum generellen Verhältnis von Krieg und Politik auch heute gültig – und werden es bleiben, solange Menschengruppen dazu bereit sind, ihre Interessen gegen andere Gruppen notfalls auch mit Gewalt durchzusetzen und die damit verbundenen Risiken einzugehen. Dafür spricht, nicht zuletzt, daß Clausewitz erfolgreich adaptiert werden konnte, u. a. von Mao, um das Primat der Politik für eine militante Revolution zu reklamieren.

Ausgabe

  • 19. Auflage, vollständige Ausgabe im Urtext, drei Teile in einem Band, Bonn: Dümmler 1980.

Literatur

  • Raymond Aron: Clausewitz. Den Krieg denken, Frankfurt a. M. 1980.
  • Ulrike Kleemeier: Grundfragen einer philosophischen Theorie des Krieges. Platon, Hobbes und Clausewitz, Berlin 2002.
Der Artikel wurde von Dag Krienen verfaßt.