Montségur

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Ostrand der Pyrenäen, in der Nähe von Foix

Wenn man den Montségur, den geheimnisvollen Berg an der Nordflanke des Saint- Barthélémy-Massivs, am Rand der französischen Pyrenäen, besteigt, erreicht man in 1 200 Metern Höhe eine Burgruine. Deren mächtige Reste erheben sich über dem weißen, steil aufragenden Fels und scheinen wie mit ihm verwachsen. Montségur wird mit »sicherer Berg« übersetzt, und tatsächlich hat man das Gefühl von Uneinnehmbarkeit, wenn man die Festung betrachtet. In deren Innerem wird man wahrscheinlich auf eine bunte Schar von Wanderern, Bildungshungrigen, Neugierigen, Esoterikern und Jugendbewegten treffen, und der Anteil der Deutschen dürfte überraschend groß sein. Das hängt damit zusammen, daß der Montségur hierzulande in bestimmten Kreisen ungleich bekannter ist als in Frankreich, wo er erst durch den »Ketzertourismus« der 1980er Jahre wieder an Bedeutung gewann. Dieser Ketzertourismus hatte mit der letzten Welle des Okzitanismus zu tun, der die kulturelle – manchmal auch politische – Selbständigkeit des französischen Südens, Okzitaniens, forderte und sich dabei auch auf die Überlieferung der Katharer berief, deren Zentrum der Montségur war.

Die Katharer, auf die auch unser Begriff »Ketzer« zurückgeht, erhielten ihren Namen wohl nicht – wie man lange meinte – durch die Selbstbezeichnung als »Reine« (griechisch »katharoi«), sondern von dem Vorwurf der »Katzen-«, das heißt Teufelsanbetung. Im Gefolge der Kreuzzüge entstanden, vertraten sie eine in vielen Äußerlichkeiten christliche, in ihrem Kern aber manichäische Weltanschauung, die teilweise an den Buddhismus erinnert (konsequente Welt- und Leibverachtung, Seelenwanderung, Erlösung durch Auslöschung). Die Tatsache, daß die Kirche die Bewegung blutig unterdrückte und schließlich vernichtete, hätte wohl ihr Überleben in der kollektiven Erinnerung nicht gewährleistet. Aber die Konsequenz, mit der die Katharer auf ihren Auffassungen beharrten, unterschied sich doch deutlich von dem, was bei Häresien sonst der Fall war. 1244 fiel der Montségur als eine ihrer letzten Festungen. Die Verteidiger stellte man vor die Wahl, abzuschwören und das Leben zu behalten, oder einen am Fuß des Burgbergs errichteten Scheiterhaufen zu besteigen. Nach der Überlieferung zogen zweihundert Katharer singend in den Flammentod.

Man muß diesen Hintergrund kennen, um zu verstehen, warum der Katharismus und mit ihm der Montségur beim Erwachen des okzitanischen Bewußtseins im 19. Jahrhundert eine so wichtige Rolle spielten. Okzitanien verstand sich jetzt als Opfer des nordfranzösischen – Pariser – »Kolonialismus«, der sich erdreistete, eine in vielem ältere und höher stehende Kultur zu unterdrücken, zu deren besonderen Ausdrucksformen nicht nur die okzitanische Sprache, sondern auch die höfische Welt Aquitaniens und die musikalischen Schöpfungen der Minnesänger gehörten. In erster Linie war der Okzitanismus eine Angelegenheit der Gebildeten und speiste sich aus romantischen Impulsen, was auch erklärt, warum es zu einer Berührung mit der französischen Wagner- Begeisterung an der Jahrhundertwende einerseits, mit der ganz Europa erfassenden Welle des Okkultismus andererseits kommen konnte. Bezeichnend ist weiter, daß den Boden für die neue Verknüpfung von Katharismus und der Behauptung uralten Geheimwissens und christlicher Sonderoffenbarungen ein esoterischer Autor wie Joséphin Peladan mit seinem Buch Le secret des troubadours (1906) und der Dichter Pierre-Barthélemy Gheusi mit seinem Roman Montsalvat (1910) bereiteten. Beide behaupteten, der Montségur sei die Gralsburg Montsalvat, von der in Wagners (➞ Bayreuth) Parsifal und bei dessen Gewährsmann Wolfram von Eschenbach die Rede war, und daß die Katharer im Gral jene Reliquie bewahrten, in der die Engel das Blut Christi aufgefangen hatten.

Anfangs fanden solche Spekulationen nur Interesse in einschlägigen Kreisen. Das änderte sich nachhaltig, als ein junger Deutscher, Otto Rahn, 1933 ein Buch mit dem Titel Kreuzzug gegen den Gral veröffentlichte, in dem er die schon bekannten (und von seinem französischen Mentor Antonin Gadal weiter entfalteten) Thesen mit neuen Überlegungen verknüpfte und an die Vorstellung koppelte, daß die Verteidiger des Montségur den Gral vor der Kapitulation in den nahegelegenen Höhlen des Lombrives verbargen, wo er der Wiederentdeckung harre. Rahns Buch wird bis heute nachgedruckt und ist längst ins Französische, Englische, Italienische und Spanische übersetzt worden. Daß es Heinrich Himmler (➞ Quedlinburg) besonders beeindruckte, der den Verfasser ins »Ahnenerbe«, die Wissenschaftsorganisation der SS, holte, hat dem sowenig Abbruch getan wie Rahns früher tragischer Tod; er endete 1939 durch Selbstmord, nachdem seine Homosexualität von der SS-Führung entdeckt worden war. Eher haben die merkwürdigen und zum Teil düsteren Umstände dazu beigetragen, den Montségur zu einem modernen Mythos zu machen, gibt es doch nicht nur eine Flut von Literatur, die sich mit dem ganzen Komplex befaßt, sondern auch immer neue Formen der Verklärung. Deren Spektrum reicht vom Keltenkreuz, das ein deutsches Jagdflugzeug am 16. März 1944 aus Anlaß des 700. Jahrestages der Niederlage über dem Montségur mit Kondensstreifen in den Himmel gezeichnet haben soll, bis zu Mutmaßungen über den Lichteinfall bei den Sonnenwenden; von der Annahme, Hitler sei ein »Eingeweihter« der katharischen Geheimlehren gewesen, bis zu der Behauptung, Otto Rahn habe unter dem Pseudonym Rudolf Rahn als deutscher Diplomat den Zweiten Weltkrieg überlebt.

Relativ nüchtern wirkt da, wie der Nerother Wandervogel sich der besonderen Aura des Berges im französischen Midi bedient. Seit 1965 wird eine Bank auf seiner Jugendburg am Rhein errichtet, deren Einfassung aus Steinen gemauert ist, die Bundesmitglieder vom Montségur gebracht haben. Wer die Fahrt macht und sich keiner fremden Hilfsmittel bedient, bekommt als besondere Auszeichnung das sogenannte »Katharerkreuz« verliehen.

Literatur

  • Mario Baudino: Otto Rahn. Faux cathare et vrai nazi, Toulouse 2004.
  • Theodor Heinermann: Mythen um den Ort der Gralsburg, in:0 Die Welt als Geschichte 8 (1942), S. 164–168.
  • Hans-Jürgen Lange: Otto Rahn und die Suche nach dem Gral, Engerda 1999.
  • Ferdinand Niel: Les Cathares de Montségur, o. O. 1973.
  • Karlheinz Weißmann: Der Gral in den Pyrenäen, in: ders.: Mythen und Symbole, Schnellroda 2002, S. 27–40.
Der Artikel wurde von Karlheinz Weißmann verfaßt.