Karlstein – Burg
- Tschechien, 30 km südwestlich von Prag
Der Karlstein erhebt sich in einem waldreichen Tal, oberhalb des kleinen Flusses Beraun (Berounka) auf einem sanft von Süden nach Norden ansteigenden, dann steil abstürzenden Kalkfelsen. Er ist ein eindrucksvoller Rest des früheren Burgenreichtums in Böhmen, denn während des Mittelalters gab es im Land kaum ein Gebiet, das nicht von einer Festung beherrscht wurde. Nur der Karlstein hat sich bis in die Gegenwart unzerstört erhalten, und zugleich bewahrte die Burg ihren deutschen, nur leicht tschechisierten Namen »Karlštejn« – auch das ein Hinweis auf die außerordentliche geschichtliche Bedeutung dieses Ortes.
Im Frühjahr 1348 legte der Erzbischof Ernst von Pardubitz den Grundstein für die Anlage. Er vertrat als Freund den böhmischen und deutschen König Karl IV., den wichtige diplomatische Verhandlungen daran hinderten, selbst den Anfang zu machen mit seinem erklärten Lieblingsplan: der Errichtung einer Sakralburg als Aufbewahrungsort des Kronschatzes. In Karl IV. kündigte sich manches vom Wesen des neuzeitlichen Menschen an. Selbstreflexionen haben ihn beschäftigt, er ist der einzige mittelalterliche Herrscher, von dem wir eine Autobiographie — die Vita Caroli — besitzen. Um so überraschender erscheint, daß derselbe Mann eine Art Gralsburg errichten ließ, in der noch einmal der Glanz des mittelalterlichen Kaisergedankens Gestalt annahm. Denn der Karlstein war mehr als das Gegenstück zu den herrlichen Bauten in Prag, mehr als ein neues Beispiel für die Kunst der Parler und ihrer Bauhütte, er war, wenn man so will, ein in Stein gefaßtes politisches Programm und zugleich eine politische Theologie.
Dadurch erklärt sich auch der Anachronismus, den diese Festung darstellt. Zwar hat ein starkes hussitisches Heer vergeblich versucht, den Karlstein zu erobern, aber im Grunde genommen gehört diese Anlage eher ins 12. oder 13. (➞ Trifels) denn ins 14. Jahrhundert. So zweckmäßig der Aufbau im einzelnen war, so sehr bestimmte ihn die symbolische Absicht des Königs. In drei Teile läßt sich der Karlstein gliedern: die Vorburg, den Kaiserpalast und den Hauptturm. Die Vorburg diente dem Burggrafen und seiner Mannschaft als Wohnung. Die Räume des Kaisers liegen – auch das nicht unbeabsichtigt – um ein Stockwerk höher als die der Burgmannschaft, noch einmal um dasselbe Maß abgesetzt steht dann der Marienturm. Seinen Namen erhielt er von der Kapelle in seinem Inneren, die der Mutter Gottes geweiht war. Hier gewinnt man einen ersten Eindruck von der verschwenderischen Pracht der Anlage, man nähert sich dem Zentrum der Burg. Während der Raum neben der Kirche, der früher dem eigens gestifteten Kapitel zur Andacht diente, heute ein karges Bild bietet, beeindruckt die Marienkapelle durch die Schönheit ihrer Gestaltung, vor allem durch die Wandmalereien und eine Marienstatue aus der Bauhütte Peter Parlers. Karl IV. ließ sich regelmäßig während der Fastenzeit in seinem kleinen Oratorium neben der Marienkirche einschließen, nur durch eine Öffnung in der Wand schob man Wasser und Brot. Diese Katharinenkapelle war ganz dem Herrscher vorbehalten. Der Raum wird von zwei Kreuzgratgewölben überspannt, schon deren Vergoldung, vor allem aber der Schlußstein ist von großer Pracht: Ein Goldschmied hat in ein kreisrundes Blech neununddreißig Amethyste, Karneole und Chrysoprase eingesetzt. In der Mitte findet sich eine galloromanische Gemme mit dem Kopf der Medusa aus weißbläulichem Chalcedon. Edelsteininkrustationen bedecken auch sonst alle Wände der Kirche, ihren kunstgeschichtlichen Rang begründen allerdings die wertvollen Fresken. Die Ausgestaltung der Katharinenkapelle kann eine erste Vorstellung von dem vermitteln, was den Betrachter in der Kapelle des Heiligen Kreuzes erwartet. Über einen tiefen Graben hinweg führt der Weg vom Marienturm zum »Großen Turm«. Hier liegt hinter sechs Meter starken Mauern der eigentlich sakrale Bezirk und der ehemalige Tresor des Heiligen Römischen Reiches. Das ganze Gebäude gliedert sich in fünf Stockwerke, in die man nur über eine Außentreppe gelangen kann. Karl IV. wollte nicht bloß durch die besondere Befestigung des Großen Turmes diesen zu einer Burg innerhalb der Burg machen, im Falle der Eroberung sollte sogar jede einzelne Etage getrennt gegen den eingedrungenen Feind verteidigt werden können. Im zweiten Stockwerk befindet sich die Kreuzkapelle, wie die Konsekrationsurkunde von 1357 sagt, geweiht dem »glorreichen Leiden unseres Herren und dessen Insignien«.
Der beherrschende Eindruck geht von dem Deckengewölbe aus, das über und über mit Halbedelsteinen besetzt ist: dicht an dicht faust- bis kopfgroße Amethyste, Chrysoprase, Achate, Jaspise, Onyxe, an der Schnittfläche poliert, eingefaßt von vergoldeten Gipssträngen, und auch die Wandflächen waren zu einem Teil in dieser Weise ausgestaltet. Selbst die Fenster der Kapelle bestanden ursprünglich nicht aus Glas, sondern aus dünngeschnittenen Halbedelsteinen und Quarzen; Licht erhielt der Raum vor allem durch mehr als dreizehnhundert Kerzen, die an den Wänden befestigt wurden. Über die ganze Breite der Kreuzkapelle läuft eine gleichfalls vergoldete Chorschranke aus Gitterwerk, zum Altarraum hatten nur der Erzbischof von Prag, einige wenige Vertreter des Episkopats und der Kaiser selbst Zutritt. Direkt oberhalb des Altars sind zwei Nischen zu erkennen, in denen die Insignien des Heiligen Reiches und diejenigen Böhmens aufbewahrt wurden. Gemäß mittelalterlicher Vorstellung gaben nur diese Herrschaftszeichen dem König und Kaiser die Legitimation für seine Machtausübung. Sie waren aber zugleich auch Reliquien, die man an hohen Feiertagen zur Schau stellte und auf die ein Ablaß erworben werden konnte. Die Insignien sind der Schatz, den der Karlstein barg, um seinetwillen die Prachtentfaltung, aber auch die vielfältigen Wehranlagen. Dem Schutz vor fremdem Zugriff dienten aber nicht nur Mauern und Türme, sondern auch die Armee der Heiligen und Engel, die den Reichshort umgab. Im Auftrag Karls IV. hatte der Hofmaler Meister Theodoricus (Theodorik oder Theoderich) von Prag 130 Tafelgemälde angefertigt, die in der Kreuzkapelle in Reihen zu dreien oder vieren aufgehängt wurden. Ausgehend von dem Bild mit der Kreuzigungsszene füllen überlebensgroße Halbfiguren den ganzen Raum der Wände oberhalb der Edelsteininkrustationen. In intensiven Farben, mit kräftigen Körperformen, die allein schon den Frevler abschrecken sollten, sind hier Evangelisten und heilige Jungfrauen, Erzengel und Märtyrer, Drachentöter und Kleriker dargestellt. Die Bilderwände erinnern an Vergleichbares in den Kirchen der griechischen Orthodoxie, und wirklich hatte Karl IV. – trotz seines ausgeprägten Katholizismus – immer besondere Sympathie für die byzantinische Liturgie. Vor allem aber sind sie ein letzter Höhepunkt mittelalterlicher Kunst und zugleich Ausdruck des Übergangs. In einer Hofchronik Karls IV. heißt es: »… auf der ganzen Welt gibt es keine so prachtvolle Burg und Kapelle, und so ist es auch richtig, denn der Kaiser verwahrt dort die Reichskleinodien und die Schätze des gesamten Königreiches«.
Seine eigentliche Aufgabe konnte der Karlstein allerdings nur für kurze Zeit erfüllen. Als nach 1415 – dem Jahr, in dem man den Magister Hus in Konstanz wegen seiner gottesfürchtigen Ketzerei verbrannte – zahlreiche Aufstände, gleichermaßen national und religiös motiviert, in Böhmen ausbrachen, die Rebellen schließlich sogar den Karlstein belagerten, ließ Kaiser Sigismund die Insignien abtransportieren. Ständig in Geldnot, verpfändete er sie an die Stadt Nürnberg, wo sie bis zum Ende des alten Reiches verblieben.
Literatur
- Michael Eschborn: Karlstein. Das Rätsel um die Burg Karls IV., Stuttgart 1971.
Der Artikel wurde von Karlheinz Weißmann verfaßt.