Halbe – Friedhof

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Brandenburg, etwa 40 km südlich von Berlin

In der Gemeinde Halbe lag der einzige Soldatenfriedhof auf dem Gebiet der DDR für die deutschen Opfer von 1939 bis 1945. Laut Eingangsschild waren dort ausschließlich »Gefallene und Tote des 2. Weltkrieges« bestattet. Nur Eingeweihte wußten, daß es sich dabei um eine glatte Lüge handelte.

1951 wurden auf dem sieben Hektar großen Waldfriedhof von Halbe nicht nur sterbliche Überreste von 22 000 Soldaten umgebettet, die tatsächlich Ende April 1945 in der Kesselschlacht südlich Berlins umgekommen waren, sondern auch Tote, welche offiziell niemand kennen durfte – die Opfer des sowjetischen Konzentrationslagers Ketschendorf.

Halbes Pfarrer, der aus dem Harzstädtchen Schierke stammende Ernst Teichmann (1906–1983), setzte Anfang der fünfziger Jahre die Einweihung eines Soldatenfriedhofs durch. Als er erfuhr, daß Bauarbeiter im benachbarten Ketschendorf bei Fürstenwalde auf Massengräber gestoßen seien, gab er keine Ruhe, bis diese Toten ebenfalls in Halbe bestattet wurden. Der von SED und Stasi schwerbedrängte Kirchenmann wußte, was öffentlich nie ausgesprochen werden durfte: Diese Leichen waren Opfer des Stalinismus auf dem Gebiet der DDR. Nur mit falschen Aufschriften durfte Pfarrer Teichmann die Grabsteine setzen lassen. Bis Ende 1989, so Halbes damaliger Bürgermeister Horst Hausmann, wachten Stasi-Leute darüber, daß die Wahrheit nicht ans Licht kam.

Ende April 1945 wurde auf dem Gelände einer ehemaligen Arbeitersiedlung der Deutschen Kabelwerke das sowjetische »Speziallager Nr. 5« Ketschendorf installiert. Nach der Vernichtung aller Möbel und Einrichtungsgegenstände trafen zu Fuß die ersten Häftlinge, Männer wie Frauen, ein. Unter ihnen befanden sich – schreckliches Charakteristikum des Lagers Ketschendorf – sehr viele Jugendliche. Diese 12- bis 18jährigen waren meist wahllos aufgegriffene Hitlerjungen. Allein das Tragen einer HJ-Uniform führte zu ihrer Verhaftung. Der sowjetische Sicherheitsdienst sah in ihnen generell Angehörige des »Werwolfs«, einer NS-Terrororganisation, die im Grunde nur auf dem Papier existierte. Von den mehr als 2 000 im Lager Ketschendorf internierten Jugendlichen starben mehr als die Hälfte an Hunger. Die meisten wußten nicht, warum man sie festhielt. Alle wurden von der Außenwelt vollständig isoliert, ihre Familien hielten sie für tot.

Haftbedingungen und Ernährungslage im Lager waren von unvorstellbarer Erbärmlichkeit. Ein internierter Arzt berichtete: »Als am Morgen des 4. November 1946 die Essenholer aus der Küche nur mit 300 Gramm Brot zurückkamen und von ihnen die Nachricht mitgebracht wurde, daß Prozent gekürzt werden sollten, war der Tiefpunkt des KZ-Lebens erreicht. Jeder nur einigermaßen klar denkende Mensch konnte sich ausrechnen, daß ein täglicher Verpflegungssatz von 900 bis 1 000 Kalorien, der nunmehr verblieb, in Kürze schwerste Opfer in den Reihen der Häftlinge fordern würde … Und diese Katastrophe trat dann auch bereits in den nächsten Wochen ein.«

Zweifellos gehörten zu den zeitweilig 18 000 Ketschendorfer Häftlingen nicht nur Unschuldige. Unter den Gefangenen befanden sich lokale Nazi-Größen wie der NSDAP-Kreisleiter von Forst. Doch das Grauen des Lagers wird dadurch nicht gemildert. Auch in den KZs der Nazis saßen etliche Schwerverbrecher. Das System totaler Rechtlosigkeit aber zermürbte im Dritten Reich und während der Stalin-Herrschaft die Menschen ebenso unbarmherzig wie Hunger oder Seuchen. Im Ketschendorfer Lager versteckten sich Häftlinge unter Abfallhaufen aus Angst vor einem Abtransport in die Sowjetunion. Andere fielen entkräftet in die Latrinen, wo sie elend umkamen. Mehr als 6 000 Tote forderte die Lagerhaft. Sie alle wurden im angrenzenden Wäldchen verscharrt.

Die Auflösung des Lagers begann im Februar 1947. Doch niemand wurde in Freiheit gesetzt. Das Ganze war nur eine »Umschichtung«. Viele Häftlinge gerieten ins KZ Jamlitz bei Lieberose, das an Schrecken Ketschendorf womöglich noch überbot. Im April 1947 verließ der letzte Transport das »Speziallager Nr. 5«. Dann herrschten Jahre des Schweigens, bis zu jenem Tag, als Fundamente im ehemaligen Totenwäldchen ausgeschachtet wurden. »Es waren furchtbare Tage. Über ganz Fürstenwalde-Süd hing Leichengeruch «, erinnerte sich eine ältere Ketschendorferin. Man versuchte den Leuten einzureden, es handele sich dabei um Nazi-Opfer. Doch in Überresten des Lagers fanden sich Fensterbretter mit eingeritzten Daten von 1946 und 1947. In einem Keller stieß man sogar auf Blutspuren. Daraufhin wurde die gesamte Gegend abgesperrt und die Toten bei Nacht auf den Waldfriedhof Halbe überführt.

Nach der deutschen Wiedervereinigung wurde der Waldfriedhof Halbe zu einem Treffpunkt am Volkstrauertag. Mehrere tausend Teilnehmer gedachten 1990 und 1991 der Soldaten aus den Reihen von Wehrmacht, Waffen-SS und Volkssturm, die während der Kesselschlacht bei Halbe ums Leben kamen. Von den bundesdeutschen Medien als »Altund Neonazis« gebrandmarkt, wurde diesen Bürgern von den Brandenburger Behörden ihr Recht auf Demonstrationsfreiheit genommen und Veranstaltungen in Halbe verboten. 2003 hob das Bundesverfassungsgericht diese Verbote wieder auf. Als an einer Gedenkveranstaltung im März 2006 mehr als 1 000 Menschen teilnahmen, änderte der Potsdamer Landtag kurzerhand das Versammlungsrecht. Demnach sind nur noch Zusammenkünfte auf dem Bahnhofsvorplatz von Halbe zulässig.

Seit Juni 2013 befindet sich auf dem Friedhof eine »Bildungs- und Begegnungsstätte «. Um deren politische Korrektheit zu garantieren, wurden vom Land Brandenburg zwei Drittel der Baukosten von insgesamt 1,2 Millionen Euro übernommen.

Literatur

  • Halbe mahnt! Denkschrift für Frieden, Freiheit und Völkerverständigung. Der Zentralfriedhof Halbe. Text: Jan von Flocken/Michael Klonovsky, Berlin 1990.
Der Artikel wurde von Jan von Flocken verfaßt.