Feldweggespräche

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Feldweggespräche.
Martin Heidegger, in: Gesamtausgabe III. Abteilung: Unveröffentlichte

Abhandlungen, Frankfurt a. M.: Klostermann 1995.

Die Feldweggespräche entstanden unmittelbar im Zeichen des Kriegsendes 1944/45: Heidegger muß seine Vorlesungen im November 1944 abbrechen, Freiburg wird zerbombt, einer seiner Söhne ist in Kriegsgefangenschaft. Nicht nur die Erwartung, die Heidegger 1933 an den Nationalsozialismus richtete, ist endgültig fehlgeschlagen.

Die dramatischen Entstehungsumstände sind in den ersten beiden Gesprächen weitgehend unkenntlich gemacht. Im dritten werden sie am ehesten sichtbar.

Der Feldweg ist für Heidegger Reminiszenz an den Weg der Kindheit und Jugend in Meßkirch, der unscheinbare Weg, an dem der Anspruch des Denkens begegnet. Von hier her wendet er sich der – in der Neuzeit in den Hintergrund tretenden – Form des Dialoges zu dritt zu.

Die Gespräche sind jeweils als Zweierbzw. Dreiergespräche komponiert, das erste zwischen einem Forscher, einem Gelehrten und einem Weisen nimmt das Problem der rechnenden Wissenschaft und der staunen und erschrecken lassenden Philosophie in sich auf. Das zweite Gespräch zeigt Lehrer und Türmer an der Tür zum Turmaufgang; das dritte aber ist als Abendgespräch in einem russischen Kriegsgefangenenlager zwischen einem Älteren und einem Jüngeren angelegt.

Gerade in diesem letzten Gespräch wird deutlich, daß Heidegger ein Geistergespräch mit seinen im Krieg vermißten Söhnen und in ihnen mit der im Zweiten Weltkrieg hingeopferten Generation anzuknüpfen sucht. Der Denker betrauert die geschehenen Katastrophen, und er warnt vor einer neuen, die Welt insgesamt vernichtenden Zerstörung, die aus dem Aufstand des Menschen gegen die Erde hervorzubrechen droht. Wesentliche Züge seiner großen Ausarbeitungen zur Seinsfrage, insbesondere Vom Ereignis. Beiträge zur Philosophie (entstanden 1936–38), fließen hier zusammen: die Beschreibung von Seinsvergessenheit und Not der Notlosigkeit, und zugleich der Rückgang in ein auf die Sprache hörendes, schweigendes Denken, als der Fuge der Wahrheit des Seins, die in der Entzogenheit gründet und mit der sich für Heidegger die Erwartung verbindet, nur noch ein Gott könne uns retten.

Das erste Gespräch geht von dem Staunen über die Möglichkeit des Vollkommenen, einem »Fund« aus, dem kein Mangel anhaftet, weil sich in ihm – wie es Heidegger andernorts an einem alten Krug demonstrierte – die hermetische Seinserfahrung selbst eröffnet. An diesem Fund geht Wahrheit ursprünglich auf. Sie lichtet sich (griech. aletheuein im verbalen Sinn). Heidegger spricht von dem »Unverborgenseinlassen dessen, was anwest und als Anwesendes sich zeigt«. Dies bedeutet eine Revision gegenüber dem phänomenologischen Gedanken einer Konstitution von Wahrheit. Es nimmt auch eine Metaphysik des Willens zurück und folgt darin Nietzsches Maxime der »Treue zur Erde«, der Nähe zu den nächsten Dingen.

»Heute abend erst wurde es hell um mich, und darum fiel mir wohl das Gespräch ein. Das Gespräch lautet so: Der Eine sagte: »Ihr redet vom Unnötigen.« Der Andere sprach: »Erst muß einer das Unnötige erkennen, ehe man mit ihm vom Nötigen reden kann. Die Erde ist ja weit und groß und doch braucht der Mensch, um zu stehen, nur so viel Platz, daß er seinen Fuß darauf setzen kann. Wenn aber unmittelbar neben dem Fuß ein Riß entstände bis hinab zu der Unterwelt, wäre ihm dann der Platz, worauf er steht, noch zu etwas nütze?« Der Eine sprach: »Es wäre ihm nicht mehr nütze.« Der Andere sprach: »Daraus ergibt sich klar die Notwendigkeit des Unnötigen« …«

Ethos wird als der geschichtliche Aufenthalt des Menschen gefaßt: im Jetzigen, Alltäglichen denkender zu werden. Entscheidend ist dabei, daß das Denken das Wohnen lerne. Von hier her spannt das zweite Gespräch den Bogen zum Wundersamen des Gefundenen, und das dritte fragt, in der deutschen und europäischen Katastrophe, nach dem Heilen und Heilsamen.

Dabei entwickelt Heidegger – ausgehend von der Maxime: »Besinnen wir uns!« und der Frage in der Stunde der Vernichtung: »Was ist jetzt?« – eine Phänomenologie des Aufenthaltes. Dies könne ein reiches Wort werden, wenn es auf das Sich-aufhalten im Enthalt, also in dem entzogenen anfänglich Wahren verweist, das »Wesende im Anfangen, ... in der Weise des Haltens als Hüten und Verwahren und somit des Enthaltens «. Es geht also in einer Zeit der Verheerung der Erde um die In-ständigkeit im Aufenthalt, aus der das Heilsame erwachsen kann.

In ihrer Klarsicht über das Ausmaß der planetarischen Zerstörung und der Haltung einer Zurücknahme sind Heideggers Feldweggespräche ein einzigartiges Dokument. Sie evozieren eine dem Zen nahe Haltung einer Gelassenheit im Furchtbaren.

Dies ist gleichermaßen entfernt von Restaurationsversuchen wie der in der Nachkriegszeit gängigen Rede vom »Abendland « wie auch von der Flucht in die Tröstungen der Religion. Es geht um ein Stand-halten des Daseins in einem minimalen Heroismus, der den verspielten Aufenthalt beim Anwesenden wiederzugewinnen sucht. Heidegger hatte Skizzen zu Fortsetzungen dieses Gesprächs angelegt, als ihn die Nachrichten vom Atombombenabwurf über Hiroshima und Nagasaki, aber auch über die Konzentrationslager, in Schweigen und Depression zurückwarfen. Erst aus dem Nachlaß sind diese Denk-Gespräche zugänglich geworden. Die Rezeption ist bislang weitgehend auf die Heidegger- Forschung begrenzt. Gleichwohl haben diese Gespräche eine indirekt orientierende Kraft, die ihnen einen Ort in der Geschichte des Geheimen Deutschland, nach dem Scheitern des Hitler-Attentats, sichern sollten.

Ausgabe

  • 2., durchgesehene Auflage, Frankfurt a. M.: Klostermann 2007.

Literatur

  • Manfred Riedel: Feldweg-Gespräche. Deuten im Wort, in: Dieter Thomä (Hrsg.): Heidegger-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart 2003.
  • Harald Seubert: 1945 – Heideggers Denkbewegungen, in: Sezession (2005), Heft 9.
Der Artikel wurde von Harald Seubert verfaßt.