Die Perfektion der Technik
Die Perfektion der Technik. Friedrich Georg Jünger, Frankfurt a. M.: Klostermann 1946.
Jüngers bereits 1939 ausgearbeitete, aber erst 1946 veröffentlichte Schrift markiert die, durch die Umstände des technischen Krieges verzögerte, Wiederkehr der Technikkritik: Im Juli 1942 verbrannte eine bereits gesetzte Fassung beim britischen Bombenangriff auf Hamburg, im November 1944 vernichtete der britische Bombenangriff auf Freiburg/Breisgau die schließlich fertiggestellte Erstauflage des Buches, von der lediglich 30 bis 40 Exemplare gerettet werden konnten. Bereits im März 1946 erschien die reguläre Erstauflage mit 5000 Exemplaren.
Den Begriff der Perfektion stellt Jünger in bezug auf die Technik dem der Reife gegenüber. Perfektion bedeutet, »daß jenes Denken, welches sie hervorbringt und ausbreitet, zu einem Abschlusse gelangt und an Grenzen stößt, welche durch die Methoden selbst gesetzt sind«. Reife wäre dagegen die Gewinnung einer neuen Dimension, die es als Frucht möglich macht, daß die Substanz ungeschmälert weitergegeben wird. Zunächst werden daher von Jünger die Begriffe Reichtum und Armut neu justiert. Seine These lautet: Technik und Ausbeutung der Natur erzeugen keinen Reichtum, sondernzerstören den Überfluß der Natur.
Jünger macht eindrücklich darauf aufmerksam, daß Reichtum und Armut nicht quantitative Kategorien sind, nicht solche des Habens, sondern des Seins, denn ohne Fähigkeit zum Genuß gibt es keinen Reichtum. Diese Fähigkeit ist mit der Muße verlorengegangen. Im Namen des »Wohlstands für alle« entfernt sich die Moderne immer mehr davon, daß überhaupt Menschen so leben können, wie es die Griechen als einzig menschenwürdig ansahen, nämlich als Betrachter im »Bios theoretikos« (Leben im Betrachten). Der Reichtum der Moderne ist eine Chimäre, da er die Fähigkeit zum Genuß zerstört.
Was die Ökonomisierung und Technisierung hervorbringen, ist nicht nur ein wachsendes Gefühl von Mangel und Unzufriedenheit, sondern sie hinterlassen, indem sie Raubbau betreiben, sogar eine meßbare Verarmung, was Jünger am Beispiel der »Widrigkeit« des Walfangs erläutert: »Denn es hat etwas Widriges, daß der Mensch die ungeheuren Meeressäugetiere, welche die Macht, den Überfluß und die Heiterkeit des Elements verkörpern, nur mit dem Gedanken verfolgt, sie zu Seife und Tran zu verkochen.« Wie Hans im Glück tauscht die Technik höherwertige gegen minderwertige Güter. Das Beispiel vom Walfang ist zudem so formuliert, daß Jüngers Grundeinsicht durchleuchtet: Reichtum ist auf der Ebene des Symbols zu finden, nicht auf der des Nutzens. Der Reduktion auf den Nutzen durch die Technik folgt die Vermassung zwangsläufig, die die Form und die Selbstgestaltungskraft des Elementaren vernichtet. Aus Volk wird Bevölkerung, aus dem Fluß ein Kanal.
In den Auflagen nach 1953 ist Jüngers 1949 zum ersten Mal publizierte Schrift Maschine und Eigentum mitenthalten. Sie entlarvt einen Grundirrtum der Moderne, von dem Jünger damals noch kaum ahnen konnte, daß er zum Verhängnis des Konservativismus werden würde. Dieser verband sich angesichts der kommunistischen Gefahr auf Gedeih und Verderb mit dem Wirtschaftsliberalismus, ohne zu sehen, daß dadurch gerade das zu schützende Eigentumsrecht, insofern es im Eigenbereichsrecht wurzelt, ausgehöhlt wurde. Diese Zerstörung des Eigentums in der Moderne ist nicht nur Symptom, sondern auch Motor der Entkulturalisierung, da die prägende Kraft des Eigentums verlorengeht. Eigentum als Sicherheit, als bleibender Wert, ist das Gegenteil der Maschine, die sich selbst vernutzt. Eigentum ist in seinem Wesen nicht austauschbar, es hat Eigenheit, der Inbegriff davon ist Grund und Boden, durch den man zum filius terrae, zum Sohn der Erde wird und für den man im äußersten Falle sein Blut gibt. Eigentum ist nicht Verfügung, sondern Unverfügbarkeit. Es ist die Einschränkung der Verfügung bis auf eine Ausnahme: den Eigentümer. Von einem solchen Begriff des Eigentums her läßt sich Ökologie denken, nicht aber vom Besitz als Verfügungsmöglichkeit.
»Der Philanthrop aber, der im Zeitalter des technischen Fortschritts jene Sklaven beklagt, die das Rad der Tretmühlen bedienen, ist ein Narr, wenn er nicht erkennt, daß der technische Fortschritt an nichts anderem arbeitet als an der Herstellung einer Tretmühle von ungeheuren Dimensionen.«
Die Perfektion der Technik ist nicht ein erratischer Block in Jüngers Schaffen geblieben. Das hier Angesprochene wird zu einem Grundthema in seinem Werk, dem auch sein Buch Die vollkommene Schöpfung (1969) gewidmet ist. Jünger gehörte nicht umsonst zu den Gründern der bis heute als Jahrbuch bestehenden Zeitschrift Scheidewege. Sie war – zumindest zu seinen Lebzeiten – das wichtigste Publikationsorgan für Texte zum geistigen Hintergrund der vom Biologistischen immer mehr ins Technizistische umkippenden Ökologiedebatte. Jüngers Buch bleibt nicht nur als Korrektiv zur blaßgrünen Ökologie aktuell, seine Kritik des liberalen Kapitalismus bietet darüber hinaus einen konservativen Gegenentwurf zu allen Formen der Utopie.
Ausgabe
- 8., um ein Nachwort vermehrte Auflage, Frankfurt a. M.: Klostermann 2010.
Literatur
- Andreas Geyer: Friedrich Georg Jünger, Wien 2007.
- Friedrich Strack (Hrsg.): Titan Technik. Ernst und Friedrich Georg Jünger über das technische Zeitalter, Würzburg 2000.
Der Artikel wurde von Reinhard Falter verfaßt.