Deutschweißkirch – Kirchenburg

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Rumänien, Siebenbürgen

Wer Siebenbürgen durchstreift, dieses jahrhundertealte Siedlungsgebiet der Deutschen in Rumänien, geht durch leere Kulissen. Die Akteure sind dieser Bühne nach dem blutigen Ende des Ceausescu- Regimes abhanden gekommen – zwischen 1990 und 1992 haben von den verbliebenen 120 000 Sachsen noch einmal rund 100 000 das Erbe ihrer Väter aufgegeben und für sich und ihre Kinder ein materiell reiches und rechtlich abgesichertes Leben in der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Und so sind irgendwo im Ballungsraum um Stuttgart auch jene Siebenbürger verschwunden, die man noch vor 25 Jahren im Idealtyp der vielen deutschen Dörfer des Karpatenbogens antreffen konnte: in Deutschweißkirch.

Bereits im 12. Jahrhundert waren erste deutsche Siedler dem Ruf des ungarischen Königs gefolgt und nördlich der Karpaten in einen fruchtbaren, aber stets bedrohten Landstrich vorgestoßen. Ihre Aufgabe war der Grenzschutz des ungarischen Reiches nach Osten hin, entgolten wurde dieser Dienst durch eine geringe Abgabelast und weitreichende Freiheiten in Fragen der Verwaltung, des Glaubens und der Verteidigung. Die Siebenbürger Sachsen hielten eine kontinuierliche Besiedelung ihres Landes trotz vier tiefeinschneidender Verheerungswellen aufrecht. Es waren im Wesentlichen die Mongolen (1241/42), die Türken, aber auch die kaiserlichen Truppen (ab 1400 bis zum Frieden von Karlowitz 1699), die Kuruzen (17. und Anfang 18. Jahrhundert) und schließlich die sowjetischen Besatzer und die rumänischen Kommunisten (ab 1944), die dem Durchhaltevermögen der deutschen Siedler alles abverlangten. Es gibt im Burzenland, der Region um das weit ostwärts gelegene Kronstadt, einige Dörfer, die in ihrer Geschichte drei dutzendmal niedergebrannt wurden. Sie liegen meist an den Karpatenpässen, Tartlau und Honigberg sind die bekanntesten, und man findet in ihnen die mächtigsten jener fast uneinnehmbaren Kirchenburgen, die das Herz der Dörfer bilden und der architektonische Ausdruck eines Widerstandswillens sind, der in Europa seinesgleichen sucht.

Siedlungsweise und Gesellschaftsorganisation der Siebenbürger Sachsen sind ein Abbild der bedroht-privilegierten Lage, und in den vielen Beschreibungen des widerständigen Landstrichs zwischen Klausenburg, Mühlbach, Hermannstadt, Schäßburg und Kronstadt taucht immer wieder der Name Deutschweißkirch auf:

In diesem Ort hat sich das Wesentliche Siebenbürgens exemplarisch ausgeprägt. Dieses Wesentliche wird von drei Pfeilern getragen: demokratische Selbstverwaltung, genossenschaftliche Gemeindeorganisation, Verteidigungsnotwendigkeit.

Deutschweißkirch (erstmals um 1400 erwähnt) liegt abgeschieden in einem eher kargen Tal des Repser Ländchens und war in hohem Maße auf sich allein gestellt: Alles, was die Bauern schufen, leisteten sie aus eigener Kraft. Das Dorf ist als Straßendorf organisiert, mit enger Bebauung und einer geschlossenen Front zur Straße hin. Die bedrohte Lage erlaubte keine Vereinzelung und kein soziales Ausscheren. Was sich bewährt hatte, blieb bestehen und wurde vorsichtig weiterentwickelt. Was an Erfahrung oder Erprobung von außen in die Gemeinde kam, wurde entweder der eigenen Lage anverwandelt oder wieder verworfen. Die Gemeinde selbst war in sogenannten Nachbarschaften organisiert. Mehrere Hofstellen bildeten einen genossenschaftlichen Verband, der alle Aufgaben des Gemeinschaftslebens erörterte und stemmte – von der Bewirtschaftung der Felder über den Bau der Häuser und Scheunen und die Ausrichtung der Feste bis zur Verteidigung des Dorfes und dem letzten Zufluchtsort: der Kirchenburg.

Diese rund um die Kirche errichtete Wehranlage ist in Deutschweißkirch von einer augenscheinlichen Trotzigkeit, ebenso abweisend wie bergend, und es fällt beim Gang durch das Tor nicht schwer, sich die Nachbarschaften vorzustellen, die – gewarnt durch ein Leuchtfeuer oder einen Meldereiter – mit Sack und Pack in die längst vorbereiteten Kammern der Burg umsiedelten und ihren Mauerabschnitt zur Verteidigung einrichteten. Natürlich wehrte man plündernde Trupps bereits am Dorfeingang ab. Heerhaufen jedoch mußte man gewähren lassen, verteidigt wurde nur noch das Eigentliche: Kirche, Menschen und das, was zum Weitermachen, zum Wiederaufbauen unbedingt notwendig war und in der Kirchenburg seinen Platz fand. In Deutschweißkirch sind die markanten Türme und der innere Mauerring der Kirchenburg nicht einmal besonders alt. Die Bauern sahen sich ab Mitte des 16. Jahrhunderts genötigt, eine ältere Anlage niederzulegen und strategisch neu und besser zu bauen – dies alles ohne Unterstützung oder Befehl von außen, sondern auf eigenen Entschluß hin, aus eigenen Mitteln, beraten allenfalls von Baumeistern, die in anderen Dörfern an den Wehranlagen mitgewirkt hatten. Letzte Arbeiten an den Türmen sind für die Zeit belegt, in der die zurückgeschlagenen Türken Siebenbürgen von Westen her wiederum zum Frontgebiet machten.

Arbeitsleistung und finanzielle Anstrengung sind ungeheuerlich, und es ist eine elende Geschichte, daß es zuletzt nicht die schweren Zeiten waren, die Dörfern wie Deutschweißkirch das Genick brachen: In dem Moment, als alles leichter werden konnte, nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes nämlich, hielten die Nachbarschaften dem Sog der Bundesrepublik nicht stand. Zurück blieben ein paar Alte und Idealisten, und eine unverbaute Kirchenburg ohne Gemeinde – Sinnbild dafür, daß einer der markantesten und hervorragendsten Stämme des Auslandsdeutschtums jene Eigentümlichkeit aufgegeben hat, die nur aus dem Zusammenspiel von Volkscharakter und Lage entstehen kann.

Literatur

  • Hermann u. Alida Fabini: Kirchenburgen in Siebenbürgen, Leipzig 1991.
  • Arne Franke: Das wehrhafte Sachsenland. Kirchenburgen im südlichen Siebenbürgen, Potsdam 2010.
  • Helmut Schröcke: Siebenbürgen. Menschen – Kirchenburgen – Städte, München 1998.
Der Artikel wurde von Götz Kubitschek verfaßt.