Das Nationale

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Das Nationale. Verdrängtes, Unvermeidliches, Erstrebenswertes,
Kurt Hübner, Graz: Styria 1991.

»Das Nationale« ist ein ungewohnter Begriff, anders als »die Nation«, »der Nationalismus«. Ohne Zweifel hat Kurt Hübner die Wortwahl gut überlegt und sich entsprechend entschieden, weil er – neben dem Aufmerksamkeitseffekt – auch darauf abheben wollte, daß es um etwas Grundsätzliches geht, das nicht vom Vorhandensein einer Nation im Sinne eines Nationalstaats oder eines politisch wirksamen Nationalismus abhängt.

»Die nationale Idee, wie sie hier verstanden wird, von ihren nationalistischen, chauvinistischen oder rassischen Perversionen befreit und eingeordnet in den Zusammenhang der jeweils anderen nationalen Ideen, hat sich sowohl in ihrem wissenschaftlichen wie mythischen Aspekt als unanfechtbar erwiesen.«

Das Nationale gab es also, lange bevor die modernen Nationen in Erscheinung traten, die Massen integrierten und mobilisierten. Es handelt sich nach Hübner um eine affektive Bindung größerer Verbände von Menschen, in mancher Hinsicht »natürlich«, in erster Linie aber Ergebnis einer Fähigkeit zur Identifizierung mit einer unanschaulichen, aber als werthaft empfundenen sozialen Einheit. Das Nationale versteht sich deshalb nicht von selbst wie etwa die Bindung an Familie oder Heimatregion, aber sie ist auch nicht beliebig erzeugbar, daher das regelmäßige Scheitern des nation building. Das Nationale muß an Gegebenheiten objektiver Art – Siedlungsraum, Herkunft, Sprache, Kultur – anknüpfen können, um wirksam zu sein. Es muß aber auch gepflegt und in den Seelen der Menschen verankert werden, mittels Erziehung und Stärkung der gefühlsmäßigen Bindung.

Daß dieser letzte Aspekt in Europa – und vor allem in Deutschland – nach dem Zweiten Weltkrieg systematisch vernachlässigt wurde, hält Hübner für besonders bedenklich. Da er die Erwartungen, das Nationale werde sich durch den Übergang in einen europäischen oder Weltstaat erledigen oder durch allgemeinen Wohlstand und Ökonomisierung sämtlicher Lebensbereiche bedeutungslos werden, für falsch hält, betont er, daß bei Verschwinden des Nationalen und damit der Nation sich entweder Entfaltungsmöglichkeiten für andere Nationen und deren zugehöriges Nationales bieten oder ein chaotischer Zustand entsteht, in dem das Identitätsbedürfnis gar keine klaren Bezugspunkte mehr findet.

Auf diesem Hintergrund entwickelt Hübner im zweiten Teil seines Buches die Umrisse einer Staatslehre, die das Nationale ins Zentrum der Überlegung stellt. Es soll dem Gemeinwesen einerseits die notwendige Stabilität und Unterstützung durch die Bürger, andererseits die notwendige Offenheit und Wertschätzung der Individuen sichern.

Literatur

  • Karlheinz Weißmann: Autorenportrait Kurt Hübner, in: Sezession (2007), Heft 18.
Der Artikel wurde von Karlheinz Weißmann verfaßt.