Aus rechter Sicht

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Aus rechter Sicht. Eine kritische Anthologie zeitgenössischer Ideen (frz. Vue de droite. Anthologie critique des idées contemporaines, Paris 1979),
Alain de Benoist, 2 Bde., Tübingen: Grabert 1983/84.
Alain de Benoist de Gentissard (2011)

Eigentlich ist Aus rechter Sicht des französischen Philosophen und intellektuelles Kopfes der sogenannten Nouvelle Droite, Alain de Benoist, eine Sammlung von Zeitschriftenartikeln, die zu Beginn der siebziger Jahre im französischen Wochenblatt Valeurs actuelles und der Monatsschrift Le spectacle du monde erschienen. Seinerzeit arbeiteten einige Publizisten aus dem Umfeld des Groupement de recherche et d’études pour la civilisation européene (GRECE) – unter ihnen Alain de Benoist und der Journalist François d’Orcival – in Zeitungsredaktionen der Groupe Valmonde. Getreu des erklärten Zieles des 1968 gegründeten GRECE, des ersten rechtsintellektuellen Diskussionsklubs in Frankreich seit 1945, durch »metapolitische« Ideenarbeit in Zeitschriften und anderen Publikationen eine Alternative zur linksdominierten intellektuellen Landschaft in Frankreich zu etablieren, stellt Aus rechter Sicht den Versuch dar, das zu leisten, was das »rechte Denken« bis dato nicht oder nur selten vermochte: die Eckpfeiler einer »organischen«, »konkreten« Weltanschauung zu skizzieren, die sich nicht in Abstraktionen und Wunschdenken verliert, aber gleichwohl auf aufgeklärter, rationaler Grundlage steht. Insofern ist der Titel des Buches, im übrigen einer gleichnamigen Schrift von Armin Mohler (Von rechts gesehen, 1974) entlehnt, auch als Programm zu verstehen.

In der Tat sind die in dem Buch angegangenen Themen äußerst vielfältig: Sie reichen von Darstellungen der tragischen Philosophie Friedrich Nietzsches oder den Untersuchungen zur indoeuropäischen Religion von Georges Dumézil über Exzerpte der Analysen Carl Schmitts vom »Wesen der Politik« oder den Ergebnissen Arthur R. Jensens zur erblichen Intelligenz, bis hin zu Reflexionen über die moderne Geschlechterfrage oder ökologische Probleme. Obgleich die einzelnen Texte zumeist weniger eine tiefere Auseinandersetzung mit den darin zur Sprache kommenden Autoren und Ideen bedeuten, sondern sich vielmehr darauf beschränken, sie zu referieren, läßt ihre Gesamtheit Grundzüge und Konfliktlagen der Weltsicht von Alain de Benoist hervortreten: eines Denkens, das, orientiert an der polytheistischen Welt der Antike, sich in striktem Gegensatz zum monotheistischen Christentum befindet und den Egalitarismus, bis in die jüngste Vergangenheit integraler Topos »rechter Ideologie«, auf die christliche These der »Gleichheit aller Menschen vor Gott« zurückführt.

Insofern versucht Aus rechter Sicht in seiner chronologischen Abfolge von Kapiteln wie »Erbe«, »Grundlagen« oder »Systeme « auch aus der antiken Welt bekannte Phänomene und Ideenformationen denen der christlich geprägten Moderne gegenüberzustellen: Das zyklische Weltbild des Paganismus, das die »ewige Wiederkehr des Gleichen« bedeutet und so den Raubbau an natürlichen Ressourcen verhinderte, steht gegen die lineare Erlösungslogik des Christentums, die sich im Glauben an ewigen Fortschritt säkularisierte und Konsumismus und ökologische Katastrophen zeitigte. Die erste Funktion der antiken »trifunktionalen« Ideologie, in der Macht bzw. Politik und Recht bzw. Moral eine Einheit bilden, steht gegen ihre Trennung in der christlichen Tradition, die zur »Verrechtlichung und Moralisierung des Politischen« im Sinne Carl Schmitts führte. Der antike amor fati, die Liebe zum Schicksal, nach Nietzsche Bedingung für eine »wahre«, »tragische Kultur«, steht gegen die durch den christlichen Universalismus verbreitete Hoffnung auf eine bessere Welt, in der »alles gleich«, »gleich gut ist«, die »Tage sich ebenfalls gleichen«, es »weder Ereignisse noch Widerstände gibt«, »Langeweile herrscht« und »historische Spannungen verschwunden sind« – eine Hoffnung, die auch in ihren nachfolgenden säkularen Erscheinungsformen – Liberalismus, Sozialismus, Kommunismus – zum Ausdruck kommt. Nicht zuletzt aus diesem Grunde versteht sich Aus rechter Sicht auch als Plädoyer für die Mannigfaltigkeit der Kulturen der Welt, deren »prinzipielle Bedrohung « heute aus dem »Egalitarismus« erwächst.

»Die prinzipielle Bedrohung heute, welche ist sie? Sie ist das fortschreitende Verschwinden der Verschiedenheit der Welt. Das Nivellieren der Personen, die Reduktion aller Kulturen auf eine globale Zivilisation, die immer mehr auf dem gebaut ist, was es überall gibt. Ich glaube, daß diese Verschiedenheit den Reichtum der Welt bildet und, daß der Egalitarismus dabei ist, ihn zu töten.«

Jedoch ist Aus rechter Sicht keineswegs ein Buch mit ausgeprägter antichristlicher Tendenz: Gerade die anthologische Form des Bandes, die Sammlung einzelner, für sich stehender Texte, unterstreicht nicht nur den typisch französischen Hang de Benoists zur enzyklopädischen Kultur, der – wie oft genug kritisiert – zwar zu brillanten, zuweilen aber auch unsystematischen Synthesen findet – und gerade dadurch jede Art von doktrinärem Dogmatismus verhindert.

Darüber hinaus läßt sie den Denker de Benoist als einen »linken Mann rechts« erkennen, der er von je her gewesen ist und was seine geistige Nähe zu vielen Autoren der Konservativen Revolution begründet – jener intellektuellen Bewegung, die vor allem im Deutschland der 1920er Jahre nach einer gesellschaftlichen Alternative zu der auf dem Egalitarismus basierenden bürgerlichen Welt der Moderne suchte. So verwundert es nicht, daß de Benoist für die deutsche Ausgabe sogar eigens einen Artikel über einen Vertreter der Konservativen Revolution schrieb: »Das Deutschland des Ernst von Salomon«.

Berühmt sind auch jene Sätze de Benoists, die sich im Vorwort der französischen Ausgabe finden: »Persönlich läßt mich die Frage, ob ich rechts bin oder nicht, vollkommen gleichgültig. Zur Zeit sind die Ideen, die in diesem Buch verteidigt werden, rechts; sie sind jedoch nicht notwendigerweise rechts. Ich könnte mir sehr gut Situationen vorstellen, in denen sie links sind.«

Das Buch antizipiert darüber hinaus die in jüngster Zeit vielfach bemerkte Ungenauigkeit, ja Unbrauchbarkeit von aus der politischen Moderne stammenden Begriffen wie »rechts« und »links«; der unterhaltsame Gedankenspaziergang durch Archäologie und Philosophie, Pädagogik und Verhaltensforschung, Biologie und Soziologie ist mithin nicht nur intellektuelle Bilanz und Momentaufnahme der kulturellen Landschaft der siebziger Jahre, er signalisiert auch Tendenzen einer sich schon damals verändernden Welt.

Seit der ersten Ausgabe 1978 hat Aus rechter Sicht bis heute fünf weitere Auflagen in Frankreich erlebt. Es wurde 1981 ins Italienische und Portugiesische, 1983/84 ins Deutsche und 1998 ins Rumänische übersetzt. Es erfuhr regen Zuspruch von Politikern wie dem einstigen französischen Staatspräsidenten François Mitterrand oder dem ehemaligen französischen Innenminister Jean-Pierre Chevènement, Schriftsteller wie Jean Cau oder Louis Pauwels haben es geschätzt. 1978 wurde es mit dem Grand Prix de l’Essai de l’Academie française ausgezeichnet. Gerade wegen seines großen Erfolges wurde es wohl auch Gegenstand von undifferenzierten Betrachtungen, ja Verleumdungen: So nannte es der französische Historiker René Remond einmal das »Pendant zu Enquête sur la monarchie« von Charles Maurras.

Literatur

  • Michael Böhm: Alain de Benoist. Denker der Nouvelle Droite, Schnellroda 2008.
Der Artikel wurde von Michael Böhm verfaßt.