Brocken

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Brockengipfel im Winter

»Der Brocken ist ein Deutscher. Mit deutscher Gründlichkeit zeigt er uns klar und deutlich, wie ein Riesenpanorama, die vielen hundert Städte, Städtchen und Dörfer, die meistens nördlich liegen, und ringsum alle Berge, Wälder, Flüsse, Flächen, unendlich weit. Aber eben dadurch erscheint alles wie eine scharfgezeichnete, reinilluminierte Spezialkarte, nirgends wird das Auge durch eigentlich schöne Landschaft erfreut; wie es denn immer geschieht, daß wir deutsche Kompilatoren wegen der ehrlichen Genauigkeit, womit wir alles und alles hingeben wollen, nie daran denken können, das einzelne auf eine schöne Weise zu geben. Der Berg hat auch so etwas Deutschruhiges, Verständiges, Tolerantes; eben weil er die Dinge so weit und klar überschauen kann. Und wenn solch ein Berg seine Riesenaugen öffnet, mag er wohl noch etwas mehr sehen als wir Zwerge, die wir mit unseren blöden Äuglein auf ihm herumklettern.«

Diese eher zwiespältige Beschreibung des im Harz gelegenen, mit 1 141 Metern höchsten Berges Norddeutschlands stammt aus der 1824 unternommenen Harzreise von Heinrich Heine (➞ Loreley). Dabei ist die bei gutem Wetter sehr weite Aussicht vom Gipfel des Brockens die Hauptattraktion für Touristen; Sehenswürdigkeiten im eigentlichen Sinne gibt es nicht. Der Berg selbst präsentiert sich niedersächsisch schlicht, und die ihm von Heine bescheinigte Toleranz stellt er immer wieder unter Beweis, zumal er mittlerweile nicht nur zum Ausflugsziel für Wanderer geworden ist, sondern auch zum Austragungsort diverser Veranstaltungen, vom 1927 erstmals ausgetragenen Brockenlauf bis zu eher zweifelhaften »Events« wie dem »Nacktrodeln« in Braunlage, am Fuß des Brockens. Botanisch hat der Brocken durchaus etwas zu bieten; ansonsten beherbergt der Berg weder kulturell bedeutsame Bau- oder Kunstwerke, noch ist er Stätte herausragender historischer Ereignisse. Herausragen tut er eben nur aus der norddeutschen Tiefebene und dem südniedersächsischen Bergland, dessen Bevölkerung dem Brocken über die Jahrhunderte hinweg in einer Mischung aus Faszination und Furcht begegnet ist.

Granit auf dem Brocken

In frühgeschichtlicher Zeit diente der Brocken möglicherweise als astronomisch- religiöse Orientierungsmarke zur Bestimmung der Sonnenwende, etwa für die Konstrukteure der Himmelsscheibe von ➞ Nebra. Die erste Brockenbesteigung fand allerdings wohl nicht vor dem späten 15. Jahrhundert statt. Das hängt vermutlich damit zusammen, daß die dichte Bewaldung ein problemloses Besteigen des Berges lange unmöglich machte. Ebenfalls Ende des 15. Jahrhunderts scheint die forst- und bergwirtschaftliche Nutzung des Brockens in Gang gekommen zu sein, unterbrochen allerdings von den Wirren des Dreißigjährigen Krieges (➞ Schweidnitz). Im 18., vor allem aber im 19. Jahrhundert setzte eine zunehmende touristische Erschließung des Brockens ein: 1800 entstand das erste Gasthaus, 1862 das Brockenhotel, 1895 eine Wetterwarte und 1899 fuhr erstmals die noch heute verkehrende Brockenbahn. Neben Heinrich Heine besuchten u. a. auch Alexander von Humboldt und Otto von ➞ Bismarck den Brocken.

Im 19. Jahrhundert sammelte außerdem Heinrich Pröhle, ein Schüler Jacob Grimms, Sagen aus dem Harzgebiet. Schon für das späte Mittelalter sind Erzählungen über unheimliche Wesen auf dem »Blocksberg« belegt. Ob es sich dabei bereits um den Brocken handelte, ist nicht ganz sicher, zumal eine ganze Reihe von »schwarzmagischen« Orten mit diesem Begriff bezeichnet wurde. Vielleicht wegen der Klangähnlichkeit des Namens galt aber besonders der Brocken schon bald als zentraler Hexentreffpunkt, vorzugsweise zur Walpurgisnacht, der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai. Schon aus dem 15. Jahrhundert jedenfalls gibt es Berichte über Hexen, die auf Bänken oder Besen reiten und sich auf dem Brocken versammeln. Zur Entstehung solcher Geschichten trug einerseits die schwere Erreichbarkeit des Gipfels bei, andererseits die besonderen klimatischen Bedingungen, in erster Linie der andauernde Nebel, der selbst Johann Wolfgang von Goethe (➞ Weimar) auf dem Brocken Geister sehen ließ.

Der Ruf des Brockens als heidnischer Ort – es hieß auch, es habe ursprünglich ein Wotansbild auf dem Gipfel gestanden – machte ihn zeitweilig für die Nationalsozialisten attraktiv, die ihn 1934 in »Berg des 1. Mai« umbenannten. Im April 1945 eroberte die US-Armee den Brocken; ein Jahr später übernahm die Rote Armee den Berg. Der Brocken wurde in der Nachkriegszeit zum Grenz-, ab 1961 zum DDR-Sperrgebiet (➞ Berliner Mauer) und war damit für Bergwanderer wieder unerreichbar. Die besondere Lage des Berges, direkt an der innerdeutschen Grenze, machte ihn für die DDR vor allem militärstrategisch und geheimdienstlich interessant. So wurde der Brocken zu einem Symbol der deutschen Frage nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine Demonstration im Dezember 1989, an der sich etwa 6 000 Menschen beteiligten, führte kurz nach dem Mauerfall dazu, daß der Brocken wieder für Besucher geöffnet wurde.

Literatur

  • Heinrich Heine: Die Harzreise [1824], Hamburg 2008.
  • Eduard Jacobs: Der Brocken in Geschichte und Sage, Halle 1879.
  • Heinrich Pröhle: Harzsagen, 2 Bde., Leipzig 1853–1856.
  • Wolfram Richter: Der Brocken – ein deutscher Berg. Im Harz grüßt der Brocken das vereinte Land, Clausthal-Zellerfeld 1991.
Der Artikel wurde von Martin Grundweg verfaßt.