Geschichte: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 21. September 2016, 19:18 Uhr
Geschichte ist grundsätzlich alles, was geschehen ist, aber nur der Mensch hat Geschichte, er ist ein geschichtliches Wesen, weil er die Veränderung und mit ihr die Vergänglichkeit von allem, was ist, reflektiert. Dabei mag ein antiquarisches Interesse mitspielen, das gibt aber nicht den Ausschlag. Die Beschäftigung mit der Geschichte hatte immer – auch als sie vom Mythos noch kaum unterschieden war – einem Erkenntnisinteresse gedient, das über das Anekdotische hinausreichte. Die Geschichte bietet Individuum und Gemeinschaft die Möglichkeit, einen Begriff von sich selbst zu schaffen, Konturen der Identität zu bestimmen, indem das, was man ist, erklärt wird durch die Art und Weise seines Geworden-Seins.
»Menschliche Dinge kennenzulernen, gibt es eben zwei Wege: den der Erkenntnis des einzelnen und den der Abstraktion; der eine ist der Weg der Philosophie, der andere der der Geschichte. Einen anderen Weg gibt es nicht, und selbst die Offenbarung begreift beides in sich: abstrakte Sätze und Historie. Diese beiden Erkenntnisquellen sind also wohl zu scheiden.«
Zwar stammt der Satz »Jene, die sich nicht an die Vergangenheit erinnern, sind dazu verdammt, sie zu wiederholen« von dem Konservativen George Santayana, aber gerade auf der Rechten gab und gibt es einen erheblichen Vorbehalt gegenüber jeder pädagogischen Strapazierung der Geschichte, der wohl am knappsten begründet wurde durch die Sentenz Jacob Burckhardts »Die Geschichte macht nicht klug für ein ander Mal, sondern weise für immer«.
Die Konservativen zweifeln grundsätzlich daran, daß man der Geschichte Rezepte entnehmen kann, weil sie eine besondere Sensibilität für die irrationalen Aspekte geschichtlicher Prozesse haben. Sie betonen deren Einmaligkeit und Abhängigkeit vom Wirken der handelnden Personen. Das hat vor allem zwei wichtige Konsequenzen für das konservative Denken:
- Prinzipielle Vorsicht gegenüber der Annahme von Gesetzmäßigkeiten in der Geschichte; konservative Geschichtsphilosophen wie Oswald Spengler haben zwar auf »Analogien« hingewiesen und auch Prognosen über bestimmte Abläufe in der Zukunft gegeben, aber ohne die Macht der Kontingenz zu leugnen;
- Ablehnung einer Zielangabe, etwa im Sinn eines »Endes der Geschichte«, falls darunter eine Art paradiesischer Abschluß des eigentlich historischen Zeitalters verstanden werden soll.
Es erklärt sich so relativ leicht die prinzipielle Frontstellung der Konservativen gegenüber allen Fortschrittsideologien. Der Annahme einer prinzipiellen Höherentwicklung des Menschengeschlechts, wie sie die Linke und die Liberalen pflegen, kann äußerstenfalls die These der Involution – des ununterbrochenen Abstiegs (Dekadenz) von einem Goldenen Zeitalter her – entgegengestellt werden; häufiger sind aber die Annahmen alternierender Bewegungen, in denen sich Blüte und Niedergang abwechseln, oder des tragischen Ausmündens geschichtlicher Prozesse.
Die besondere Sensibilität des Konservativen für die »Geschichtlichkeit« läßt ihn überhaupt als den Menschen »vor der Geschichte« (Armin Mohler) erscheinen, das heißt als den, der sich seiner Eingebundenheit in die Zeit bewußt bleibt, die Unumkehrbarkeit der Geschichte betrauern mag, aber doch hinnimmt, und weiß, welche außerordentliche Leistung darin besteht, im ständigen Wandel einer Sache Dauer zu verleihen. Weiter wurzelt darin ein phänomenologischer Zug des konservativen Denkens, das sich eher für das historisch gewordene Einzelne, weniger für die großen Abstraktionen interessiert, die nur sichtbar werden, wenn man das Geschichtlich-Konkrete (Konkretion) vernachlässigt oder ignoriert, und das hängt auch zusammen mit der Hervorhebung des »Verstehens« bei der Beschäftigung mit der Vergangenheit und der »ganz bestimmten Richtung des geistigen Interesses« (Erich Rothacker), die dem zugrunde gelegt werden muß.
»Die Geschichte verläuft nicht so glatt und klar, wie die humanistische Betrachtung wähnt: weil die Entgegensetzung in der Natur der Dinge liegt. Es gibt keinen endgültigen Sieg.«
Es ergibt sich daraus allerdings eine gewisse Gefahr, insofern nicht nur alle Epochen »unmittelbar zu Gott« sind – um eine Formulierung Rankes abzuwandeln –, sondern überhaupt alle geschichtlichen Erscheinungen als gleichwertig betrachtet werden könnten. Einem solchen Relativismus ist letztlich nur durch den Bezug auf die Annahme einer Ganzheit und des Entwicklungsprinzips zu begegnen.
Geschichtlichkeit bedeutet für den Konservativen, daß in der Welt nichts für die Ewigkeit bestimmt ist. Deshalb hat auch der Begriff des Schicksals einen festen Platz in seiner Weltanschauung, ohne daß man dessen Annahme mit Fatalismus verwechseln dürfte; eher teilen alle Konservativen eine gewisse Melancholie bei der Betrachtung der Geschichte. Bestimmend bleibt für die Praxis aber die konservative Sorge vor dem Verfall einer bestimmten historischen Gestalt (Ganzheit), einer Heimat, einer Nation, einer Kultur.
Literatur
- Jacob Burckhardt: Weltgeschichtliche Betrachtungen [1905], zuletzt Stuttgart 2005
- Armin Mohler: Der Konservative vor der Geschichte. Einige unsystematische Bemerkungen, in Gerd-Klaus Kaltenbrunner (Hrsg.): Die Zukunft der Vergangenheit, Herderbücherei Initiative, Bd 8, Freiburg i.Br. 1975, S. 131-134
- Leopold von Ranke: Geschichte und Philosophie, in ders.: Geschichte und Politik. Ausgewählte Aufsätze und Meisterschriften, hrsg. von Hans Hofmann, Stuttgart 1940, S. 133-137
- Erich Rothacker: Logik und Systematik der Geisteswissenschaften [1927], zuletzt Darmstadt 1970