Projekt:Über Staatspolitisches Handbuch im Netz
Staatspolitisches Handbuch im Netz ist ein Nachschlagewerk, das die vier Bände Leitbegriffe, Schlüsselwerke, Vordenker und Deutsche Orte auf Basis eines Wikis vereint.
Band 1: Leitbegriffe
Daß Sprache ein Machtmittel ist, gehört zu den Allgemeinplätzen: Wer über Begriffe herrscht, der herrscht auch über Menschen und über Verhältnisse. Es ist deshalb ein Streit um Worte niemals nur ein Streit um Worte, sondern darum, wer dadurch, daß er einem Wort Geltung verschafft, Einfluß nimmt. Äußerstenfalls geht es um Propaganda und Zensur, also die zwangsweise Durchsetzung eines Sprachgebrauchs und die Unterdrückung eines anderen, häufiger ist aber die mehr oder weniger subtile Einflußnahme auf die Verwendung und Bedeutung eines Wortes. Wer einen Begriff plaziert und definiert, erreicht, daß man ein Wort benutzt und außerdem, daß man sich darunter etwas Bestimmtes vorstellt. Er hat damit nicht nur die Verbreitung eines Sprachgebrauchs befördert, sondern auch, daß das Wort einen Klang annimmt, eine eher positive oder eher negative Konnotation und »akzessorische Gefühle« (Vilfredo Pareto) hervorruft.
Als Machtmittel ist die Sprache umkämpft. Das kann man Tag für Tag beobachten, ebenso wie die Veränderung, die ein Wort erlebt, sobald es für eine Partei Wichtigkeit gewinnt. Als aktuelles Beispiel kann der Begriff »Rasse« dienen, der zwar im Zusammenhang mit Hunden und Kaninchen unbeanstandet bleibt, aber nicht mehr in bezug auf Menschen. Menschen, so die politisch korrekte Sicht der Dinge, gehören nicht zu Rassen, wer anderes behauptet, ist ein Rassist. Schon der Hinweis auf morphologische Unterschiede ist verdächtig. In Deutschland etwa kann nicht mehr unbeanstandet von »Negern« gesprochen werden, dasselbe gilt für »Mohren « (selbst im Zusammenhang mit süßen »Mohrenköpfen«), »Schwarze« ist ebenfalls heikel, »Afrikaner« irreführend, bliebe das ziemlich diffuse »Farbige« oder neuerdings die unproblematische weil englische Formel »people of colour«. Bei alledem geht es nicht darum, »Rassismus« im genauen Sinn – also die Herabsetzung von Menschen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit – zu ächten und auch nicht darum, den Verdacht zu erhärten, daß jede Art mißliebiger Äußerung über schützenswerte Gruppen – Frauen, Homosexuelle, Ausländer – per se »rassistisch« ist, sondern darum, den Terminus »Rasse« ganz zu tilgen. Dahinter steht die Vorstellung, daß etwas nur dann in der Welt ist, wenn es dafür ein Wort gibt, weshalb die Sache verschwinden muß, sobald das Wort verschwindet.
Das bedeutet allerdings eine Überschätzung von Sprachmacht, die nicht leicht zu überschätzen ist. Denn von den Anmerkungen des Thukydides zur politischen Lüge über die Regeln der antiken Rhetorik, die Anklage Jesajas gegen die, die den Sinn der Worte verdrehen, und die biblische Lehre vom alles schaffenden Logos, bis zu Gramscis Theorem der »kulturellen Hegemonie« und den modernen Analysen verbaler wie nonverbaler Reklamemittel gibt es eine Kontinuität der Grundannahme, daß die Kontrolle über die Sprache ein ausschlaggebender Faktor des politischen Kampfes ist: »Souverän ist, wer den Sachverhalt definiert.« (Helmut Schelsky)
Das Alter dieser Einsicht erklärt, warum sie von jedem beherzigt wurde, der mit der bestehenden Ordnung auch die bestehende Sprache verändern beziehungsweise durch Veränderung der Sprache eine Veränderung der Ordnung vorbereiten wollte. Ein Konzept, das man in bezug auf die Französische Revolution besonders gründlich untersucht hat, da deren Befürworter wie Gegner früh davon überzeugt waren, daß der Umsturz Folge einer intellektuellen Bodenbereitung durch die Aufklärung und deren Popularisierung im Werk der »Enzyklopädisten« war. Sie gaben jedem Begriff eine neue Definition und beeinflußten damit die Vorstellungen der Sociétés de pensées (Augustin Cochin), der »Denkgesellschaften« maurerischer, philosophischer oder allgemein-philanthropischer Natur, die wiederum neben geselligen Zwecken die Verbreitung einer neuen Sprache und einer neuen Weltanschauung förderten, die letztlich zur tödlichen Waffe gegen das Ancien régime wurde.
Niemals zuvor war eine Umwälzung intellektuell so gründlich präpariert worden und niemals danach haben Machthaber darauf verzichtet, den Bereich der öffentlichen Diskussion zu beobachten und auf gefährliche Entwicklungen abzutasten. Eine vollständige Erfassung ist aber kaum erreichbar, nicht einmal in totalitären Systemen. Das hängt mit einer Eigenart der politischen Sprache zusammen, auf die der heute fast vergessene Philosoph Eugen Rosenstock-Huessy hingewiesen hat. Seiner Meinung nach leben alle Menschen mit latenter »Doppelzüngigkeit«: »Wir könnten uns nämlich nie aus einer Gruppe lösen und an eine andere binden, wenn wir nicht immer und durchweg außer der Sprache unserer Gruppe noch eine zweite Sprache sprächen. Freiheit zur Umgruppierung gäbe es nicht, hätten wir nicht zwei Sprachen auf unseren Lippen und in unseren Herzen. Wer nämlich nur eine einzige Sprache spräche, der wäre einer einzigen Gruppe zeitlebens und damit in seinen Wirkungen auf ewig verfallen. Denn wir gehören dorthin, wo das, was wir sagen, gehört wird, und wo dem, was dort gesagt wird, von uns gehorcht wird. Wer also nur einer Sprache angehörte, der hätte keinen Zutritt zum Wandel durch mehrere Gruppen. Er müßte einem bestimmten Geist hörig bleiben und könnte nicht selber geistesmäßig Gruppen enden oder Gruppen stiften. ... Wie der Eichel zwei ganze Eichbäume innewohnen, der, von dem sie stammt, und der, der aus ihr herauswächst, so ist der Mensch polisentstammt und polisgebärend. Mithin muß er einer Sprache abschwören und eine andere Sprache anheben können. Der politische Mensch, also wir alle, sind also mit der Kraft ausgestattet, aus einer Sprache in eine andere hinüberzusetzen. Die Revolutionen sind die Riesenvorgänge dieser Sprachbrüche; da werden sie an den Tag gelegt, so daß sie nicht überhört werden können.«
Wer eine politische Veränderung will, muß nicht resignieren vor der Macht – und das heißt eben auch der Sprachmacht – der Herrschenden. Es steht ihm grundsätzlich und zu jeder Zeit die Möglichkeit offen, die Veränderung einzuleiten, wenn er das andere Wort spricht, das auch verstanden wird. Das vorliegende Buch soll einen entsprechenden Versuch unternehmen. Es ist nicht als wissenschaftliches Nachschlagewerk, sondern für den Gebrauch in der Auseinandersetzung gedacht. Das erklärt die Lücken, etwa in bezug auf Begriffe von zu großer Allgemeinheit, die in diesem Rahmen nicht erläutert werden können (»Leben« etwa oder »Recht«), das erklärt aber auch die Parteilichkeit, die die Auswahl leitete. Es geht hier um Leitbegriffe der konservativen Weltanschauung, weshalb die der Gegenseite immer nur indirekt behandelt werden. »Multikulturalismus« hat keinen eigenen Artikel, aber »Nation« ebenso wie »Gemeinschaft« oder »Homogenität«, »Linke« kommt nicht vor, aber »Rechte« und »Konservatismus «. Der eine oder andere Benutzer mag etwas überrascht sein, wenn er auf Artikel zu »Gesellschaft« oder »Utopie« stößt, die er eigentlich nicht zu den Leitbegriffen der Konservativen rechnen würde. In dem Fall ist zu sagen, daß das Spektrum des Einbezogenen möglichst groß sein sollte und dann auch diese eher ungewohnten Termini genannt werden müssen.
Das Verfassen eines Wörterbuchs ist eine relativ komplizierte Angelegenheit, auch für den, der schon mehr als ein Buch geschrieben hat. Deshalb sei an dieser Stelle ausdrücklich Dank an die abgestattet, die zum Gelingen wesentlich beigetragen haben: Dr. Erik Lehnert und Götz Kubitschek, außerdem Matthias Seegrün für die wie immer sorgfältige Durchsicht.
- Karlheinz Weißmann
- Oktober 2009
Band 2: Schlüsselwerke
Während sich die Verwahrlosung des politischen Denkens in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts noch mit einem marxistischen System und einem entsprechenden Kanon an Schriften tarnen konnte, liegt sie heute offen zutage: Es gibt kein Maß, nach dem sich gerichtet, keine Idee, an der sich orientiert werden könnte, und keine Tradition, an die sich anknüpfen ließe. All das – Maß, Idee und Tradition – ist dennoch vorhanden, es bleibt nur so lange unsichtbar, bis sich jemand seiner annimmt. Die Bände des Staatspolitischen Handbuchs weisen in diese Richtung: Nach den Leitbegriffen sind die Schlüsselwerke an der Reihe.
Der Begriff Schlüsselwerke wird häufig für die »wichtigsten Bücher« eines Fachgebiets, einer Epoche oder eines Autors verwendet, und zwar in dem Sinne, daß diese Bücher für den jeweiligen Bezugsrahmen etwas aufgeschlossen und erschlossen hätten. In dem Begriff »Schlüssel« ist aber nicht nur das Pendant zum Schloß enthalten, sondern auch der »logische Schluß«, der an Vorhergehendes gedanklich anschließt.
Dem vorliegenden Band ist im Titel kein erklärendes Adjektiv beigegeben. Die Tatsache, daß es sich bei den Schlüsselwerken um den zweiten Band des Staatspolitischen Handbuchs handelt, genügt als Hinweis auf den Anspruch dieses Buches und die Kriterien der Auswahl. Die Schlüsselwerke versammeln die Bücher und Texte, die in Zeiten, in denen die bloße Existenz von Bücherschränken und Bibliotheken nicht mehr auf Qualität schließen läßt, das geistige Rüstzeug bieten, mit dem der Konservative im alltäglichen Kampf der Weltanschauungen bestehen kann. Nicht zuletzt führen diese Bücher den Leser zu den ewigen Fragen, die jede Generation neu beantworten muß. Doch die Suche nach der Antwort darf nicht im Ungefähren beginnen, sondern muß unter Anleitung geschehen: Überblick und Richtung drohen sonst verlorenzugehen.
In der Verhaltensforschung begegnet uns der Begriff »Schlüsselreiz«. Damit wird der Reiz bezeichnet, der eine bestimmte Reaktion auslöst oder in Gang hält. Die Bildsprache des Begriffs »Schlüsselreiz« leitet sich von der Vorstellung ab, daß dieser Reiz wie ein Schlüssel in ein Schloß passe, das die Handlung sonst gleichsam blockiert. Ließe sich dieses Muster auf das Gebiet der politischen Bildung übertragen, befänden wir uns im Bereich der simplen Manipulation: Wir könnten für die jeweils gewünschte Reaktion den passenden Schlüssel präsen8 tieren. Die Schlüsselwerke führen zwar das Wort Schlüssel im Titel und sind damit von der Überzeugung getragen, daß es eines Schlüssels bedürfe, um so etwas wie einen gewünschten Prozeß in Gang zu setzen. Jedoch wird damit keineswegs die simple Vorstellung geteilt, daß bereits die alleinige Kenntnis des Schlüssels genüge, um wieder Maß, Idee und Tradition zu garantieren.
Die Schlüsselwerke werden drei weitere mögliche Erwartungen nicht erfüllen: Sie haben keinen allgemeinbildenden Anspruch (sie setzen etwas voraus, dem sie die Richtung weisen können), sind kein Werklexikon der Politikwissenschaft (davon gibt es genug) und auch kein kommentiertes Schriftenverzeichnis der Konservativen Revolution. Die Konservative Revolution ist mit ihren wichtigsten Büchern vertreten, sei es Jüngers Arbeiter, Spanns Wahrer Staat, Jungs Herrschaft der Minderwertigen, Moeller-Brucks Drittes Reich oder Quabbes Tar a ri (und natürlich auch Mohlers Standardwerk über die Konservative Revolution). Die Zeitbezogenheit der meisten ihrer Werke ist beträchtlich, so daß sie heute nur noch ein rein antiquarisches Interesse befriedigen können. Die Schlüsselwerke haben jedoch einen anderen Anspruch: Der Band will, ganz im Sinne Nietzsches, dem Leben dienen.
Ein Werklexikon muß sich auf eine Auswahl beschränken. Im vorliegenden Fall sind 164 Werke von 133 Autoren versammelt. Ernst Jünger ist als einziger mit vier Werken vertreten, weil er wie kein anderer von seinem geistigen Formungsprozeß gültig Zeugnis abgelegt hat: vom Frontkämpfer über den Grenzgänger zwischen Politik und Poesie zum Visionär des totalen Arbeitsstaates und schließlich zum solitären Waldgänger. Jede dieser Positionen hat ihre Gültigkeit, und immerhin der Waldgang steht uns auch weiterhin offen. Die Schlüsselwerke beschränken sich auf theoretische Werke und haben selbst dort, wo es Ausnahmen gibt, solches im Blick: Die autobiographischen Schriften von Benn, Jünger, Salomon oder Schoeps verweisen eben nicht lediglich auf die Person des Autors, sondern machen exemplarisch eine Haltung im Strom der Zeit deutlich.
Auf der anderen Seite finden sich kaum rein abstrakte Werke, die in völliger Absehung von der Person verfaßt sind. Sie alle gehorchen dem »Weltgesetz der Sympathie«, das geistiges Tun erst zu geistigem Leben macht. Der Romanist Ernst Robert Curtius hat diesen lebendigen Prozeß einmal wie folgt beschrieben: »Die erste Stufe des werdenden Forschers besteht im Überwinden der rohen Subjektivität. Geselle darf heißen, wer die Schule der Askese zur Objektivität bestanden hat. Der dritte Grad wird erworben, wenn diese Objektivität habituell geworden und nicht mehr als Entsagung empfunden wird und wenn sich dann darin und dadurch das mit der Individualität gesetzte Wertungssystem auf höherer Ebene wieder durchsetzt, bereichert und ausgleicht durch bewältigten Geschichtsstoff. Das ergibt, wenn Sie so wollen, eine Subjektivität der Forschung, die wir nun lieber ›Personalität in der Objectivität‹ nennen wollen.«
Es gibt unter den Schlüsselwerken Klassisches wie Platons Staat oder Fichtes Reden ebenso wie aktuelle Bücher von Rolf Peter Sieferle oder Wolfgang Sofsky. Die Klassiker finden sich in jedem Lexikon und in so manchem Werklexikon, so daß wir uns hier auf einige wenige beschränken konnten. Die Antike ist lediglich sechsmal vertreten, hinzu kommen für die Neuzeit vor der Französischen Revolution noch Machiavelli und Hobbes, die maßgeblichsten Einfluß auf das politische Denken bis heute ausüben. Der Schwerpunkt liegt auf dem 19. und 20. Jahrhundert. Unserer Gegenwart haben sie alle etwas zu sagen. Deshalb schließen sie staatspolitisches Verständnis auf und versetzen den Leser in die Lage, sich anzuschließen. Ein solches Unternehmen wie die Schlüsselwerke steht und fällt mit den Autoren, die sich daran beteiligen. Wir konnten für die Abfassung der Artikel Autoren gewinnen, die mit den von ihnen behandelten Werken besonders vertraut sind, so daß wir nicht auf redaktionelle Verlegenheitslösungen ausweichen mußten. Die Heterogenität der behandelten Werke und auch der unterschiedliche wissenschaftliche Hintergrund der Mitarbeiter standen einer konsequenten Vereinheitlichung der Beiträge entgegen und ließen eine solche nicht als sinnvoll erscheinen. Jeder Text erfüllt jedoch drei Kriterien: Er orientiert über den Entstehungskontext des Werkes, beschreibt die wichtigsten Gedankengänge und dessen Aufbau und gibt Hinweise auf die Rezeption des Werkes.
Folgende Autoren, deren Namen unter den jeweils von ihnen verfaßten Beiträgen zu finden sind, haben an den Schlüsselwerken mitgearbeitet: Thomas Bargatzky, Alain de Benoist, Michael Böhm, Steffen Dietzsch, Reinhard Falter, Siegfried Gerlich, Gerd Habermann, Thorsten Hinz, Till Kinzel, Ellen Kositza, Hans-Christof Kraus, Andreas Krause Landt, Felix Krautkrämer, Dag Krienen, Götz Kubitschek, Martin Lichtmesz, Frank Lisson, Erik Lommatzsch, Johannes Ludwig, Silke Lührmann (Übersetzung der Texte von Alain de Benoist aus dem Französischen), Sebastian Maaß, Wiggo Mann, Felix Menzel, Baal Müller, Adolph Przybyszewski, Wolfgang Saur, Stefan Scheil, Josef Schüßlburner, Harald Seubert, Michael Stahl, Andreas Vonderach, Rainer Waßner und Michael Wiesberg.
Ihnen gilt unser Dank.
- Erik Lehnert & Karlheinz Weißmann
- Dezember 2010
Band 3: Vordenker
Mit dem dritten Band des Staatspolitischen Handbuchs legt das IfS eine weitere Arbeit vor, die einerseits als Informationsbasis, andererseits als Argumentationshilfe in der (meta-)politischen Auseinandersetzung dienen kann. Nach den Leitbegriffen und den Schlüsselwerken folgen die Vordenker, womit auch ein gewisser Abschluß dieses Teils unserer Arbeit geleistet ist, ohne daß das Handbuch damit vollendet wäre.
Wie bei den ersten beiden Bänden wird auch in diesem Fall eine Engführung ausdrücklich vermieden und gleichzeitig der Versuchung widerstanden, sich aller Klassiker zu bemächtigen, die man in irgendeiner Weise für die konservative Sache reklamieren könnte. Vielmehr geht es darum, eine möglichst große Bandbreite derjenigen Autoren zu präsentieren, die unmittelbar (Ausnahmen: Pareto und Saint-Exupéry) Einfluß auf die intellektuelle Rechte der Nachkriegszeit genommen haben. Das hat zum Ausschluß von Platon genauso geführt wie zum Ausschluß von Paul Schmidt-Carell, ohne daß der überragende geistige Rang des einen oder die außerordentliche Präsenz des anderen bestritten würden. Aufgenommen wurden dagegen anregende Köpfe, die sich kaum dem konservativen Lager zugeordnet haben (etwa Hannah Arendt, Rudolf Bahro oder Margret Boveri), solche, die heute eher in Vergessenheit geraten sind (wie Otto Höfler, Hendrik de Man, Werner Müller oder Ilse Schwidetzky), die uns aber nach wie vor etwas zu sagen haben, und selbstverständlich alle diejenigen, die man hier erwarten darf, also Armin Mohler und Caspar von Schrenck-Notzing, Bernard Willms und Erik von Kuehnelt-Leddihn, Helmut Schelsky und Arnold Gehlen. Wer fehlt, sind jüngere Autoren, deren Werk und Wirkung sich noch nicht vollends entfaltet haben. Einige von ihnen sind selbst Beiträger dieses Lexikons. Wie immer mußten wir uns zudem aus Platzgründen beschränken. Viele Namen wurden genannt, bedacht und manchmal eben auch zurückgestellt. Insofern muß die Liste der hier behandelten Vordenker unvollständig sein.
Der Begriff »Vordenker« ist nicht nur was die Personenauswahl betrifft in einem inhaltlich weitgefaßten Sinne zu verstehen. Aus den aufgenommenen Personen ergibt sich auch, daß »Vordenken« mehreres sein kann. Vordenken bedeutet ein Vorangehen in Dingen, die sich erst später, in der Rückschau, in ganzer Gestalt zeigen und für alle sichtbar werden. Es kann aber auch heißen, Wege vorausgehend zu suchen, die vielleicht nicht sofort als sichere Route erscheinen mögen, die aber gangbar sind und denen später andere folgen werden.
Überhaupt ist bei konservativen Vordenkern ein merkwürdiger Widerspruch zu beobachten, der sie vor anderen auszeichnet. Für die Zeitgenossen waren es ungesicherte Pfade, auf denen sie sich bewegten. Die meisten wurden zu Lebzeiten irgendwann einmal scheel angesehen oder beurteilt, weil sie sich, nach Mehrheitsmeinung, auf dem falschen Weg befänden. Der daraus abgeleitete Vorwurf lautete, daß sie die Menschen mit Absicht in die Irre leiten wollten. Diese Unsicherheit durchgehalten und sich dem Widerspruch ausgesetzt zu haben, ist an sich schon eine Leistung und macht solche Denker zu Vordenkern. Hinzu kommt jedoch – und hier tritt das Widersprüchliche zutage –, daß sich im Rückblick erwiesen hat: Diese Denker schritten im Gegensatz zu ihren linken oder linksliberalen Zeitgenossen auf den Wegen, die sich als die sichersten überhaupt erwiesen haben. Wer den Vordenkern auf diesen Wegen folgt, wird sich kaum Illusionen über die Natur des Menschen machen, er wird die Welt nicht für vollendbar halten und auch immer anerkennen, daß Gleichheit eine metaphysische oder religiöse Kategorie ist. Mit ihnen befindet man sich auf der sicheren Seite, auch wenn es im täglichen Meinungskampf oft anders scheinen mag.
Für die eigene Selbstvergewisserung ist es wichtig, daß man neben den Begriffen und den entsprechenden Werken auch die Autoren, die Vordenker kennt, die der konservativen Sache wichtige Impulse gegeben haben. Sie füllen die Theorie mit Leben. Der Blick auf die Vordenker gibt die Gewißheit, nicht allein zu stehen und nicht nur auf Referenzgrößen ferner Zeiten verweisen zu können. Daß sich dabei das Gefühl des Epigonentums einschleicht, ist unausweichlich. Doch anstatt sich mit einem »Es ist alles längst gesagt« zu begnügen, sollte bei der Beschäftigung mit den Vordenkern vor allem deutlich werden, daß es ewige Wahrheiten gibt, die in jeder Situation neu entdeckt, verkündet und fruchtbar gemacht werden müssen. Selbst wenn wir unsere Vordenker nicht an Geisteskraft und Scharfsinn überragen, so geben sie uns doch die Möglichkeit, weiter zu blicken, als sie es konnten. Nach einem alten Gleichnis sind wir Zwerge auf Schultern von Riesen, wir müssen diese nur erklimmen, um in den Genuß der weiten Sicht zu gelangen. Dieses Erklimmen besteht nicht allein im Aneignen der Tradition, des bereits Gedachten. Das Privileg, auf Vordenker verweisen zu können, enthebt einen nicht vom Selbstdenken. Im Gegenteil: Die lebendige Aneignung von Wissen ist ohne eigenes Denken nicht möglich, es wäre totes Wissen, unfruchtbar für die Zukunft.
Es ist uns wieder gelungen, eine größere Zahl von Autoren für die Mitarbeit zu gewinnen. Allerdings erklärt sich daraus auch, daß die einzelnen Beiträge nicht immer einem festgelegten Schema folgen. Selbstverständlich findet man immer die Daten, die in keinem lexikalischen Werk fehlen dürfen, außerdem Angaben über die wichtigsten Werke und Hinweise auf die Sekundärliteratur. In bezug auf die Lebensumstände gibt es allerdings große Unterschiede. Das liegt in der Natur der Sache, angesichts dessen, daß mancher, der hier auftritt, ausgesprochen prominent ist oder war, während andere eher zu den »bekannten Unbekannten« gehören.
Folgende Autoren, deren Namen unter den jeweils von ihnen verfaßten Beiträgen zu finden sind, haben an den Vordenkern mitgearbeitet: Thomas Bargatzky, Alain de Benoist, Michael Böhm, Felix Dirsch, Reinhard Falter, Siegfried Gerlich, Hans Jörg Hennecke, Thorsten Hinz, Jörg Guido Hülsmann, Till Kinzel, Ellen Kositza, Felix Krautkrämer, Dag Krienen, Thomas Kuzias, Ansgar Lange, Martin Lichtmesz, Johannes Ludwig, Wiggo Mann, Günter Maschke, Martin Otto, Luc Pauwels, Adolph Przybyszewski, Wolfgang Saur, David Schah, Harald Seubert, Jörg Soldan, Michael Stahl, Andreas Vonderach, Rainer Waßner und Florian Wolfrum. Ihnen gilt unser Dank.
- Erik Lehnert & Karlheinz Weißmann
- Juni 2012
Band 4: Deutsche Orte
Der vierte Band des Staatspolitischen Handbuchs fällt etwas aus dem Rahmen der bislang vorliegenden Bände. Begriffe, Bücher und Personen sind ein gewohnter Bestandteil politischer Bildung. Positiv zeichnet sie eine allgemeine Anwendbarkeit aus, negativ ist die mangelnde Anschaulichkeit, die jeder theoretischen Arbeit anhaftet. Orte sind dagegen »anschaubar«. Sie sind vielleicht oft verändert worden und in die Bedeutungslosigkeit zurückgesunken; aber sie sind vorhanden, man kann sie aufsuchen und die historischen Ereignisse unmittelbar zu sich sprechen lassen. Wie wichtig solch ein konkreter Zugang zu Geschichte und Politik ist, läßt sich an den Kämpfen ablesen, die um die Deutung einzelner Orte geführt wurden und werden. Letztendlich entscheidet sich auch an der Deutungshoheit über die Orte unserer Geschichte, und damit unserer Heimat, das Schicksal unserer Nation als sinnstiftende Gemeinschaft.
Heimat war lange ein unschuldiger Begriff, der etwas heilen sollte, nämlich den Verlust derselben in den politischen und wirtschaftlichen Umbrüchen des 18. Jahrhunderts, denen Konservative und Romantiker die Rückbindung und Erinnerung an etwas entgegensetzten, was Heimat war. Heimat war und ist insofern etwas spezifisch Deutsches, wenn Heimat als Ersatz für etwas galt, was der Deutsche lange vermißte: ein einiges und freies Vaterland. Aber auch andere Völker haben sich durch die Erinnerung und die gemeinsame Sprache über Zeiten gerettet, in denen sie keine unabhängige staatliche Form hatten. Die politische Brisanz der Heimat ist universell.
Politisch ist Heimat erst durch die Verknüpfung mit der Nation geworden, weil diese Ausdruck politischen Wollens ist, das sich auf einen bestimmten Raum mit den entsprechenden Menschen bezieht. Das bedeutet im Umkehrschluß nicht, daß Heimat eigentlich etwas Unpolitisches ist. In bezug auf die Heimatkunde ist sie es nie gewesen, weil diese nicht als Selbstzweck betrieben wird. In den geistigen Grundlagen der Heimatkunde liegt die Gewähr, »daß das tiefe Verbundenheitsgefühl mit dem eigenen Volke nicht bloß das Vorurteil einer Epoche von besonderer politischer Richtung ist. Wehe dem Menschen, der nirgends wurzelt! … Wir alle küssen den Boden unserer Muttererde, wenn wir Könige werden wollen, Könige nicht über die anderen, sondern im eigenen Reich«.
Was für den einzelnen gilt, ist ebenso Voraussetzung für die Gemeinschaft, der er angehört. Zum richtigen Verständnis der Heimat und damit des Ortes muß der Mensch als geschichtliches Wesen begriffen werden. Das bedeutet, daß sich der einzelne als geschichtlich bedingt versteht und die Gemeinschaft als eine historisch gewachsene Schicksalsgemeinschaft. Martin Heidegger knüpft an den »Wesensaufenthalt des geschichtlichen Menschen« das Wissen über den Menschen überhaupt. Der geschichtslose Mensch ist dann kein Mensch im eigentlichen Sinne.
Diesen Prozeß des Heimatverlustes kann man als Entortung des Menschen bezeichnen. Die geistigen Prozesse beziehen sich dabei nicht nur auf die Entfremdung vom Ort, sondern auch auf die von seiner Geschichte und seiner Gemeinschaft. Nietzsche spricht von der Vernichtung allen Daseins im Sinne einer radikalen Ablehnung von Wert, Sinn und Wünschbarkeit. Deshalb hat er seinem Zarathustra auch die Mahnung an die Jünger in den Mund gelegt: »Bleibt mir der Erde treu.«
Diese Forderung ist von konservativer Seite immer wieder aufgegriffen worden, ohne die Entortung aufhalten zu können; vielleicht weil das doch alles noch zu wenig konkret war. Am Konkreten werden all diese Dinge sichtbar. Warum der Ort, die Ortsgebundenheit, die Verwurzelung so etwas wie eine Garantie gegen den Nihilismus sind, hat Carl Schmitt deutlich gemacht, als er in seinem Nomos der Erde den Zusammenhang von Ordnung und Ortung als Ausgangspunkt des Rechtsdenkens beschrieben hat: »Das Recht ist erdhaft und auf die Erde bezogen. « Wenn dieser Zusammenhang nicht mehr existiert, bleibt nur der Nihilismus. Da heute die Bedrohung durch den Nihilismus so mächtig geworden ist, bedarf es einer politischen Wiederverwurzlung, einer Einpflanzung des geschichtlichen Sinnes in die Seelen. Dazu bietet sich der Mythos an, der ohne Ort aber im luftleeren Raum bleibt. Es muß daher um den mythischen Ort gehen, an dem die geschichtlichen Mythen konkret werden.
Von aufklärerischer Seite ist immer wieder mit Verwunderung bemerkt worden, wie hartnäckig sich der Mythos am Leben erhalten hat und der Weg alles andere als geradlinig zum Logos verläuft. Die Entzauberung erreicht zwar immer mehr Bereiche, es spricht aber einiges dafür, daß der Mythos zum Menschen gehört, der sich verliert, wenn dieser nicht mehr existiert. Daß der Mythos notwendig ist, dürfte unbestritten sein: »Die Kraft zum Handeln und zu einem großen Heroismus, alle große geschichtliche Aktivität, liegt in der Fähigkeit zum Mythos.« (Georges Sorel)
Diesen Mythos hat es 1813 ganz sicher gegeben. Und auch noch 1871 und 1914 war davon etwas zu spüren. Es ist daher nur konsequent gewesen, daß man diesen Zustand konservieren wollte, indem man möglichst eindrucksvolle Erinnerungsstätten und Wallfahrtsorte schuf, die diesen Moment der Größe und Geschlossenheit wachhalten sollten. Da uns heute diese Möglichkeit fehlt und diejenigen, die über die Möglichkeiten verfügen, Schandmale bevorzugen, bleibt uns der Hinweis auf die geschichtlichen Orte, die weiterhin existieren und, guten Willen vorausgesetzt, immer noch den Mythos in sich tragen.
Wir haben uns aus Platzgründen auf 100 deutsche Orte beschränkt. Die Listen, die wir im Laufe der Vorarbeiten erstellt haben, umfaßten wesentlich mehr Orte, so daß jeder einzelne Ort in seiner Bedeutung gegen andere abgewogen werden mußte. Wenn manche Leser auch den einen oder anderen Ort vermissen werden, so denken wir doch, die wesentlichen behandelt zu haben. Wichtig ist der Hinweis, daß es uns nicht um eine Liste der Schlachtfelder deutscher Geschichte ging (auch wenn diese ihren angemessenen Platz gefunden haben), sondern um ein Gesamtpanorama, in dem die Orte, an denen sich geistig-weltanschauliche Ereignisse vollzogen haben, ebenso wichtig sind. Wir haben uns sowohl um geographische als auch chronologische Gerechtigkeit bemüht und konnten dennoch den mitteldeutschen Schwerpunkt nicht verleugnen. Es finden sich auch einige wenige Orte, die nie in Deutschland lagen und die dennoch ihre Aufnahme in dieses Buch verdient haben.
Folgende Autoren, deren Namen unter den jeweils von ihnen verfaßten Beiträgen zu finden sind, haben an den Deutschen Orten mitgearbeitet: Norbert Borrmann, Alexander Dauenhauer, Steffen Dietzsch, Felix Dirsch, Jan von Flocken, Gerald Franz, Martin Grundweg, Thorsten Hinz, Arvid Jakobson, Götz Kubitschek, Martin Lichtmesz, Frank Lisson, Dirk Reitz, André Richter und Wulf D. Wagner. Ihnen gilt unser Dank.
- Erik Lehnert & Karlheinz Weißmann
- April 2014