Walter Falk

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Falk, Walter,
geb. 8. Februar 1924 Sandweier bei Baden-Baden,
gest. 18. September 2000 Marburg an der Lahn.

Nach der Rückkehr aus Krieg und Kriegsgefangenschaft studierte Falk in Freiburg im Breisgau Germanistik, Philosophie, Anglistik und Romanistik; Promotion in Germanistik 1957. Prägende Lehrer waren u. a. Max Müller, Martin Heidegger und Walter Rehm. Zwischen 1960 und 1965 wirkte Falk als Lektor für Deutsche Sprache und Literatur an der Universität Madrid. Er beschäftigte sich dabei u. a. mit dem Stierkampf und rückte seine Forschungen in den Gesamthorizont vergleichender Geistes- und Kulturgeschichte. Seit 1965 war Falk Assistent und später Oberassistent an der Universität Marburg, 1968 wurde er mit einer Arbeit über die Epochenstrukturen von Impressionismus und Expressionismus habilitiert und 1971 zum Professor für Neuere Deutsche Literatur in Marburg ernannt.

Im Hinblick auf seine literaturhistorische Sicht und Arbeitsweise, aber auch seine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Marxismus kam es zu erheblichen politisch-ideologisch motivierten Kontroversen im »roten Marburg«. Zwischen 1976 und 1979 lehrte Falk als Gastprofessor an der Universität Kairo und stellte umfassende literatur- und kulturvergleichende Studien an, die seine Frage nach einer universalhistorisch feststellbaren Ordnung der Geschichte vertieften und erweiterten. 1989 wurde er emeritiert. Er verabschiedete sich mit einer Vorlesung über Evolution und Schöpfung, ausgehend von der Zeitkonzeption der neuen Physik, die insbesondere Stephen Hawking formuliert hatte. Bis zu seinem Tod leitete er den Marburger Kreis für Epochenforschung, der sich nicht zuletzt als Antidotum zu der gesellschaftlich funktionalisierenden Literaturinterpretation verstand. Ebenfalls bis 2000 hielt er weiterhin Vorlesungen und Seminare an seiner Universität.

Falk entwickelte zur Deutung literarischer Texte ein strukturanalytisches Verfahren, die Komponentenanalyse. Während der Strukturalismus binäre Strukturmuster untersucht, geht es in der Komponentenanalyse um die Ermittlung ternärer Strukturen, basierend auf einer Triade von Aktualität, Potentialität und Resultativität. Im Gegensatz zum wesentlich ahistorischen Strukturalismus bezieht die Komponentenanalyse die historische Dimension mit ein: Sie ermöglicht, von einzeltextlichen Basisstrukturen ausgehend, in einem Vergleichs- und Abstraktionsprozeß Epochenstrukturen zu ermitteln. Die jeweils gewonnenen Strukturbefunde, verstanden als »Sinnstrukturen«, stehen der weiterführenden Interpretation mit herkömmlichen Verfahren der Literaturwissenschaft offen. Die Komponentenanalyse wurde im Hinblick auf Theorie und praktische Anwendbarkeit von Falk in enger Verbindung mit seinen Studenten fortlaufend ergänzt und präzisiert; erstmals 1983 wurde sie in einem über 200 Seiten starken Handbuch systematisch dargelegt. Die komponentialanalytischen Untersuchungen ergaben für bestimmte Zeiträume eine erhebliche Präzisierung der bisherigen Epochenvorstellungen. Darüber hinaus konnte von Falk und seinen Schülern in fortlaufender Arbeit erstmals eine rational begründete Periodisierung des gesamten 20. Jahrhunderts gewonnen werden.

»Angesichts einer verwahrlosten Wirklichkeit kann sich eine Bewegung bilden, die das Bestehende radikal verneint. Sie würde mit der antiautoritären Bewegung nur formal, als Bewegung der totalen Negation, übereinstimmen … Aber so viel menschliches Unglück durch die faschistischen Bewegungen verursacht wurde, wäre von einer solchen Periode noch Schlimmeres zu befürchten … Gerade dies aber, die Grundlage des Menschseins, wäre in der künftigen Periode das Angriffsziel einer antagonistischen Bewegung. Selbstverständlich würden auch ihre Wortführer behaupten, für die wahren Interessen der Menschen zu streiten. Und auch sie können ihre Anhänger finden, wenn sich einmal ein kollektiver Wille zu ihren Gunsten gebildet hat.«

Falks Werk im ganzen beruht auf einer umfassenden Kenntnis der deutschen Geistes- und Literaturgeschichte vom Mittelalter bis in die Moderne. Es ging ihm in seiner Arbeit letztlich darum, den Geist von Zeitaltern sichtbar zu machen. Insofern folgt sein wissenschaftliches Werk einem verwandten Impuls wie die Zeitgeistforschung von Hans-Joachim Schoeps. Gegenüber Heideggers ekstatischer Zeitphilosophie suchte er die Gegenwart als Mitte der Geschichte, an der Grenze von Herkunft und Zukunft, zu profilieren; Romano Guardinis Diagnose vom »Ende der Neuzeit« erhärtete Falk sowohl komponentialanalytisch als auch ideengeschichtlich. Die Zwischenperiode zwischen 1910 und 1920 deutete Falk, vor allem durch Werkinterpretationen von Trakl, Rilke und Kafka, als tiefen Einschnitt, in dem die säkulare Epochenstruktur der Neuzeit endete und aus der tiefen Krise die Irreduzierbarkeit der Gottesfrage sichtbar wird. Diese Einsicht sei im »kollektivistischen Zeitalter« seit 1920 wieder verdeckt worden. In seinem nachgelassenen, eindrucksvollen Spätwerk über Glauben und Wissen um 2000 hat Falk die Neuzeit von der Metaphorik einer »Großen Weltmaschine« her interpretiert. Er sieht in der Zeit seit Ende des Zweiten Weltkriegs in unterschiedlichen wissenschaftlichen und ästhetischen Ansätzen eine rational nicht einholbare Dimension strukturell Gestalt gewinnen, und zwar ebenso in Kunst und Literatur wie in den Wissenschaftsansätzen von Chomsky, Kuhn oder Girard. Die Diagnose mündet in die Erwartung, daß die Jahre um 2000 eine Zeit der Entscheidung sein würden: einer Wiederentdeckung des tieferen Grundes des Menschseins oder seines endgültigen Verlustes.

Schriften

  • Leid und Verwandlung. Rilke, Kafka, Trakl und der Epochenstil des Impressionismus und Expressionismus, Salzburg 1961.
  • Das Nibelungenlied in seiner Epoche. Revision eines romantischen Mythos, Heidelberg 1974.
  • Vom Strukturalismus zum Potentialismus. Ein Versuch zur Geschichts- und Literaturtheorie, Freiburg i. Br./München 1976.
  • Der kollektive Traum vom Krieg. Epochale Strukturen in der deutschen Literatur zwischen Naturalismus und Expressionismus, Heidelberg 1977.
  • Handbuch der literarwissenschaftlichen Komponentenanalyse. Theorie, Operationen, Praxis einer Methode der Neuen Epochenforschung, Frankfurt a. M. 1983 (2. erw. Aufl., Taunusstein 1996).
  • Epochale Hintergründe der antiautoritären Bewegung. Ein Beitrag zur literaturwissenschaftlichen Diagnose der Sozialgeschichte, Frankfurt a. M./Bern 1983.
  • Des Teufels Wiederkehr. Alarmierende Zeichen der Zeit in der neuesten Dichtung, Stuttgart/Bonn 1983.
  • Die Ordnung in der Geschichte. Eine alternative Deutung des Fortschritts, Stuttgart/Bonn 1985.
  • Die Entdeckung der potentialgeschichtlichen Ordnung, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1985.
  • Wissen und Glauben um 2000. Zu einer weltbewegenden Problematik und ihrer Herkunft. Aus dem Nachlaß hrsg. u. eingel. v. Harald Seubert, Paderborn 2003.

Literatur

  • Helmut Bernsmeier/Hans-Peter Ziegler (Hrsg.): Wandel und Kontinuum. Festschrift für Walter Falk zum 65. Geburtstag, Frankfurt a. M. 1992.
  • Harald Seubert: Geschichtszeichen zwischen den Zeiten. Studien zur Epochengeschichte von 1770 bis 2000. Ausgewählte Arbeiten zu System und Geschichte, Hamburg 2005.
Der Artikel wurde von Harald Seubert verfaßt.