Otto Depenheuer

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Depenheuer, Otto,
geb. 22. Juli 1953 Köln.

Seit 1999 ist Depenheuer ordentlicher Professor an der Universität zu Köln, Inhaber des Lehrstuhles für Allgemeine Staatslehre, Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie und Direktor des Seminars für Staatsphilosophie und Rechtspolitik. Zuvor hatte er seit 1993 den Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Universität Mannheim inne. Depenheuer hat in zahlreichen Veröffentlichungen die Grundlage und Legitimation des Staates, dessen Selbstbehauptung und das Verhältnis zwischen Mensch bzw. Bürger und Staat herausgearbeitet.

Bereits in seiner Habilitationsschrift wies er auf die Mängel der überkommenen Staatstheorien hin: Die naturrechtlichen, rationalistisch-individualistischen Vertragstheorien (Gesellschaftsvertrag) handeln lediglich von theoretischen, nämlich konsequent rational strukturierten Menschen, und den organischen Staatstheorien fehlt der Blick für den Freiheitsanspruch des Menschen. Depenheuer entwickelte hieraus ein pragmatisch-synthetisches Staatsverständnis, das sowohl den Freiheitsanspruch des einzelnen als auch die Existenzbedingungen des Staates anerkennt. Es beruht darauf, daß die Vertragstheorien ihren Anspruch aufgeben, »alles von Anfang an erklären «, die Wirklichkeit »am Reißbrett« entwerfen zu können, und daß die organischen Theorien anerkennen, daß die vorstaatliche Freiheit, derer der Mensch sich einmal bewußt geworden ist, dem Menschen gemäß und unhintergehbar ist.

Im Zentrum von Depenheuers Wirken steht der Vorwurf gegen die zeitgenössische deutsche Staatsrechtslehre, unter dem anhaltenden Eindruck von Frieden, Freiheit und Wohlstand zur bloßen Verfassungsdogmatik deformiert zu sein, die den Staat, seine Funktionen und Existenzbedingungen aus dem Blick verloren habe. Der Staat beschränke sich weitgehend darauf, dem Bürger grundrechtlich determinierte Rechtspositionen zuzuerkennen. Staatsräson gehe auf in Verfassungsräson, Politik konvergiere mit Verfassungsexegese (»Verfassungsintrovertiertheit«, »Verfassungsautismus«). Diese Entwicklung berge die Gefahr, daß notwendige Anpassungen an existentielle Bedrohungslagen nicht mehr gelingen könnten.

Die Aufgaben des Staates bemißt Depenheuer in deutlicher Anknüpfung an Carl Schmitt anhand bestimmter, der Gestaltungsmacht des Menschen weitgehend entzogener Gesetzmäßigkeiten. Die apriorische Verwiesenheit des einzelnen auf den Staat – kein Mensch ist politisch weltunmittelbar – begründe sich daraus, daß nur der Staat die Bedingungen von Frieden, Freiheit und Sicherheit gewährleiste. Zu Grund- und Menschenrechten hat Depenheuer eine skeptische Position bezogen; sie leiteten sich nicht aus einem Naturrecht her, sondern ausschließlich aus der Grundvoraussetzung, daß es Menschen gebe, die sich ihrer selbst bewußt sind. Ihre Wirksamkeit ergebe sich ausschließlich aus der Tatsache staatlicher Gewährleistung.

»Im Grenzfall der Existenzsicherung des konkreten Staates kann sich diese Grundpflicht des Bürgers zur Verpflichtung verdichten, den Staat, sein Gewaltmonopol, seine Freiheitlichkeit und Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen und sich im Grenzfall für ihn aufzuopfern.«

ist demnach die Herstellung eines friedlichen Normalzustandes. Dieser ist im Wege »sozialer Ausdifferenzierung« Wirklichkeit geworden; hierher gehört auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip als tragende Säule der Rechtsstaatlichkeit. Mit Errichtung einer Friedensordnung verschwindet aber die Gewalt nicht aus der Welt. Erfüllt der Staat seine ordnungsstiftende Funktion nicht, werden andere Sozialgefüge diese Aufgabe übernehmen, und zwar »zu ihren Bedingungen«. Daher zählt zu den Aufgaben des Staates auch, sich gegen Angriffe zu verteidigen, die den Staat nicht bloß zur Wiederherstellung der Rechtmäßigkeit herausfordern, sondern existentiell in Frage stellen. Diese Verteidigungsbereitschaft erfordert eine Feindbestimmung. Der »Feind« erscheint bei Depenheuer etwa als von »zweifelsresistenten Überzeugungen« getragener Angreifer, der – im exakten Gegensatz zum verfassungsautistischen Staat des immerwährenden Normalzustandes – das Übermaß zu seiner Handlungsmaxime gemacht hat. Unter der Herrschaft des Grundgesetzes hingegen werde der Feind nicht mehr definiert, sondern »zum Grundrechtsträger ernannt«.

Depenheuer hat in Anknüpfung an ➞Josef Isensee den Grundrechten die Grundpflichten des Bürgers gegenübergestellt und hieraus die Theorie des Bürgeropfers entwickelt: Aus der Grundpflicht, die Lasten des Gemeinwesens gemeinsam solidarisch zu tragen und zu teilen, folgen Friedens-, Gehorsams-, Dienst-, Handlungs- und Zahlungspflichten, weitgehend auch die Pflicht des einzelnen zur Gesunderhaltung.

Als Grundlagen der Solidargemeinschaft, die er als »brüderlich« umschreibt, hat er die Merkmale »Homogenität« und »Bund« herausgearbeitet. Homogenität bezeichnet eine historisch gewachsene, wie auch immer geartete Gleichheitsbeziehung zwischen Menschen, die alle anderen bestehenden Gleichheitsbeziehungen überlagert. Der Bund tritt als Manifestation des subjektiven Willens zum Leben in der konkreten Gemeinschaft in Erscheinung, sobald eine Gesellschaft beginnt, die Grundlagen ihrer Homogenität zu reflektieren und in Frage zu stellen. Bund und Homogenität greifen ineinander: Der Bundesgedanke kann bei abnehmender Homogenität den Solidaritätsgedanken weitertragen. Die Vorteile des Staates genießen, der solidarischen Einstandspflicht aber entgehen zu wollen, verstoße gegen das allgemeine Verbot des venire contra factum proprium. Anläßlich der Debatte um das Luftsicherheitsgesetz hat Depenheuer sehr deutlich formuliert, daß der um der Menschenwürde seiner Feinde willen auf Selbstbehauptung verzichtende Staat an einem ethisch-moralischen Defekt leide.

Schriften

  • Solidarität im Verfassungsstaat. Grundlegung einer normativen Theorie der Verteilung, Habil. Bonn 1991 (ND 2009).
  • Selbstdarstellung der Politik. Studien zum Öffentlichkeitsanspruch der Demokratie, Paderborn 2002.
  • Tabu und Recht, Wiesbaden 2003.
  • Eigentum. Ordnungsidee, Zustand, Entwicklungen, Berlin 2004.
  • Recht und Lüge, Münster 2005.
  • Staat und Schönheit. Möglichkeiten und Entwicklungen einer Staatskalokagathie, Wiesbaden 2005.
  • Selbstbehauptung des Rechtsstaates, Paderborn 2007.
Der Artikel wurde von Florian Wolfrum verfaßt.