Die Wahrheit des Mythos

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Die Wahrheit des Mythos.
Kurt Hübner, München: C. H. Beck 1985.
Kurt Karl Rudolf Hübner, 1981

In den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts neigte sich die »zweite Aufklärung « (Jürgen Habermas) dem Ende zu, und es entstand – noch vor dem Siegeszug der Postmoderne – ein neues Interesse am Mythos. Viel davon war im Wortsinn »irrational «, unverdautes, halbverstandenes Zeug, Nostalgie, New Age, Spinnerei, aber es gab auch ernstzunehmendes Bemühen, das Wesen des Mythos zu begreifen, die Frage nach seiner grundsätzlichen Bedeutung d.h. nach seiner »Wahrheit« zu stellen.

»Aber wenn vorangegangene Erfahrungen nicht gänzlich wieder vergessen werden können, so läßt sich für die Zukunft nur eine Kulturform vorstellen, in der Wissenschaft und Mythos weder einander unterdrücken noch unverbunden nebeneinanderher bestehen, sondern in eine durch das Leben und das Denken vermittelte Beziehung zueinander treten. Wie das aber möglich sein soll, davon wissen wir heute noch nichts.«

Die wichtigste Arbeit, die in diesem Zusammenhang geleistet wurde, ist dem Kieler Philosophieprofessor Kurt Hübner zu verdanken. Hübner hatte sich vor allem mit der Philosophie der Naturwissenschaft auseinandergesetzt und insofern eine intime Kenntnis mathematischer und physikalischer Verfahren und Erkenntnisweisen gewonnen. Das feite ihn vor einer allzu raschen und unbegründeten Parteinahme für den Mythos. Allerdings hielt er auch nichts von der Idee, daß die geistige Entwicklung der (europäischen) Menschheit der Einbahnstraße »vom Mythos zum Logos «, die jede Bezugnahme auf den Mythos als sinnstiftende Erzählung zerstört, folgen mußte und weiter folgen werde.

Hübners Warnung vor unbedachten »Ausbruchsversuchen« aus der entzauberten Welt war vor allem in dem Wissen begründet, daß der moderne Mensch nicht in den geschlossenen mythischen Kosmos der Vergangenheit zurückkehren kann. Der war von einer vollkommen anderen Weltsicht und Welterklärung bestimmt, die durchaus auf Folgerichtigkeit des – mythischen – Denkens beruhte, das sich von dem der Moderne wohl in bezug auf die Axiome und das Erkenntnisinteresse unterschied, aber nicht im Hinblick darauf, die Welt zu verstehen und zu ordnen, in Teilen auch, sich nutzbar zu machen. Wenn also von Hübner hervorgehoben wurde, daß die mythische Daseinsordnung für uns nicht wiederzugewinnen ist, dann betonte er doch, daß der Mythos insofern eine ewige Bedeutung hat, als diese Art der Erzählung allein dem Menschen Aufschluß liefert über die entscheidenden Sinnfragen. Denn diese haben der Fortschritt der Naturwissenschaft und der Technik weder beantworten können noch verstummen lassen.

Das, so Hübner, erklärt den dauernden Rekurs der bildenden Kunst, der Musik und der Literatur auf den Mythos, während die Theologie – vor allem die protestantische – seit dem 19. Jahrhundert der irrigen Verheißung gefolgt ist, es müsse eine »Entmythisierung« oder »Entmythologisierung « stattfinden, die entgegen ihrer Intention nicht nur die äußere Hülle des Glaubens angreift, sondern dessen Kern zerstört. Von der Theologie ist der Schritt nicht weit zur Politischen Theologie, insofern als auch der Staat des Mythos bedarf, um jenen »Legitimitätsglauben« (Max Weber) zu erzeugen, der für sein Funktionieren auf Dauer unabdingbar ist.

Ausgabe

  • Freiburg i. Br.: Alber 2009.

Literatur

  • Karlheinz Weißmann: Autorenportrait Kurt Hübner, in: Sezession (2007), Heft 18.
Der Artikel wurde von Karlheinz Weißmann verfaßt.