Schweidnitz – Friedenskirche

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Niederschlesien, 50 km südwestlich von Breslau, heute: Swidnica

Zweimal in seiner Geschichte war Deutschland völlig am Ende: 1648 und 1945. Die Urkatastrophe überhaupt dürfte der Dreißigjährige Krieg gewesen sein, in dem Deutschland entvölkert, geplündert und zerstört wurde. Die Zustände müssen teilweise apokalyptische Ausmaße angenommen haben, so daß es an ein Wunder grenzt, daß sich daraus in weniger als drei Generationen wieder ein Staat herausbilden konnte, der die Potenz zu einer europäischen Großmacht hatte. Wenn heute über die Ereignisse zwischen 1914 und 1945 in Analogie als zweiter Dreißigjähriger Krieg gesprochen wird, so soll damit nicht nur zum Ausdruck gebracht werden, daß in den Jahren zwischen 1918 und 1939 der Kriegszustand anhielt, sondern vor allem, daß die verheerenden Folgen ähnlich waren. Für diese Folgen steht die Tatsache der verlorenen Ostgebiete insgesamt. Auch wenn vielerorts Wiederaufbauarbeit geleistet wurde, bleibt doch der Eindruck einer gewissen Trostlosigkeit. Das war nach dem ersten Dreißigjährigen Krieg offenbar anders.

Das läßt sich nirgends so gut erahnen wie in der kleinen Stadt Schweidnitz, die heute etwa 60 000 Einwohner hat. Sie ist von Breslau aus günstig zu erreichen, allerdings läßt es ihre Lage zwischen dem Eulen- und Zobtengebirge zu, daß man sie bereits von Ferne in Augenschein nehmen kann. Da die Stadt im Zweiten Weltkrieg kaum zerstört wurde, ein lohnender Anblick – mit dem mit 104 Meter höchsten Kirchturm von Schlesien, der die Stadtpfarrkirche St. Stanislaus und St. Wenzel (1325–1488 im spätgotischen Stil erbaut) bekrönt. Daß sich Schweidnitz eine solche Kirche bauen konnte, lag an dem Aufschwung, den die Stadt (1243 erstmals erwähnt) im 14. Jahrhundert als Handelsplatz und als Zentrum der Bierbrauerei erlebte. Um 1550 war Schweidnitz ähnlich groß wie Breslau und stand wirtschaftlich hinter diesem an zweiter Stelle in Schlesien. Der Dreißigjährige Krieg zerstörte das alles, von 5 000 Einwohnern sollen nur noch 200 übrig gewesen sein.

In Schweidnitz waren die religiösen Gegensätze besonders deutlich ausgeprägt gewesen. Luthers (➞ Wartburg, Wittenberg) Lehre setzte sich hier schnell durch, so daß auch in der Stadtpfarrkirche bald evangelisch gepredigt wurde. Die Gegenreformation und schließlich der Dreißigjährige Krieg führte zur Vertreibung der Protestanten, die unter schwedischem Schutz zurückkehren konnten und schließlich, nach der schwedischen Kapitulation 1644, wieder vertrieben wurden, weil die Katholiken die Kirchen der Stadt wieder übernahmen. Immerhin wurde im Westfälischen Frieden festgeschrieben, daß Kaiser Ferdinand II. den schlesischen Protestanten den Bau von drei Friedenskirchen, in Glogau, Jauer und Schweidnitz, gestatten mußte.

Allerdings waren die Auflagen hart. Die Kirchen mußten außerhalb der Stadt liegen, sie durften nur aus Holz und Lehm bestehen und sollten binnen eines Jahres fertiggestellt werden. Außerdem war ihnen weder Turm noch Glocke gestattet. Eine fast unlösbare Aufgabe, die nur durch die Unterstützung von Protestanten aus ganz Deutschland gelöst werden konnte, so daß schließlich alle drei Kirchen gebaut wurden. Der Friedenskirche von Glogau war kein Glück beschieden, 1654 stürzte sie ein und wurde wieder aufgebaut, um schließlich 1758 einem großen Brand zum Opfer zu fallen. Die Friedenskirchen von Jauer und Schweidnitz existieren bis heute, wobei Schweidnitz, die Friedenskirche Zur heiligen Dreifaltigkeit, die größere der beiden ist. Sie ist heute die größte Fachwerkkirche Europas, wenn nicht der Welt.

Auf einer Grundfläche von knapp 1 100 Quadratmetern wurde vom 23. August 1656 bis zum 25. Juni 1657 eine Kirche errichtet, die Platz für bis zu 7 500 Gläubige bietet. Von außen wirkt die Kirche auch heute wie ein schlichter Nutzbau, der nur durch den kreuzförmigen Grundriß seine Bestimmung erahnen läßt. Im Innern dauerte es noch ungefähr einhundert Jahre, bis die Kirche so ausgestattet war, wie sie heute im wesentlichen erhalten ist. Direkt nach dem Bau war auch dort alles sehr einfach gehalten, weil es vor allem darum ging, den Bau zu vollenden. Das ganze Gebäude wird von mächtigen, verkleideten Eichenpfeilern getragen, an den Seiten sieht man zweigeschossige Emporen, die den Platz des Innenraums optimal ausnutzen. Dieser Eindruck wird durch die zahlreichen (wertvoll ausgestatteten) Logen und Chöre zwischen den Emporen noch verstärkt. Diese wurden im Laufe der Jahre ergänzt. Weiterhin kamen hinzu: Kanzel, Taufstein, Orgel. Ende des 17. Jahrhunderts wurde der Altar ersetzt und die Decke der Kirche aufwendig bemalt und 1708 durfte neben der Kirche ein Glockenturm errichtet werden.

Neben der Kirche befindet sich auch einer der letzten erhaltenen evangelischen Friedhöfe in Schlesien, der allerdings, im Gegensatz zur Kirche, bis heute nicht restauriert wurde. Wer die mutwillig zerstörten deutschen Friedhöfe in Polen kennt, wird dankbar sein, daß dieser überhaupt noch existiert. Allerdings wird er das nur tun, solange sich Deutsche für ihn interessieren. Denn sonst sind die meisten Hinweise auf Deutsche im Stadtbild verschwunden. Immerhin hat Schweidnitz eine lange Tradition als Garnisonstadt und Festung gehabt. Und auch der erfolgreichste Jagdflieger des Ersten Weltkriegs, Manfred von Richthofen (➞ Berlin – Invalidenfriedhof), war hier zu Hause. Die Denkmäler und Straßennamen, die an ihn erinnerten, sind abgeräumt. Nur in der Kirche selbst gibt es, in einer unzugänglichen Ecke, eine Holztafel mit den Gefallenen des Ersten Weltkriegs, die auch seinen Namen verzeichnet. Doch auch diese Tatsache kann nicht davon ablenken, daß Schweidnitz aus dem deutschen Gedächtnis verschwunden ist und der ab 1945 vollzogene Kulturaustausch total ist.

Literatur

  • Hellmuth Bunzel: Die Friedenskirche zu Schweidnitz. Geschichte einer Friedenskirche von ihrem Entstehen bis zu ihrem Versinken ins Museumsdasein, Ulm 1958.
  • Theo Johannes Mann: Geschichte der Stadt Schweidnitz. Ein Gang durch 700 Jahre deutsche Kultur in Schlesien, Reutlingen 1985.
  • Ludwig Worthmann: Führer durch die Friedenskirche zu Schweidnitz, Schweidnitz 1929.
Der Artikel wurde von Erik Lehnert verfaßt.