Die letzten dreißig Jahre

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Die letzten dreißig Jahre. Rückblicke,
Hans-Joachim Schoeps, Stuttgart: Ernst Klett 1956.

Ein rechter Jude war im Kaiserreich nichts Besonderes, in den fünfziger Jahren jedoch eine seltene Ausnahme. Hans-Joachim Schoeps stellte so eine Ausnahmegestalt dar. Er war sich dieser Sonderrolle auch bewußt und legte bereits mit Mitte Vierzig seine Lebenserinnerungen vor. Als Grund gibt er an, daß er bereits so viel erlebt habe, daß er »nach zwei Weltkriegen und vier verschiedenen Staatsformen« Mühe habe, Wichtiges nicht wieder zu vergessen. Auch wenn er den großen politischen Rahmen mit seiner Generation teilt, so dürfte diese Biographie als Zeugnis eines unbequemen Geistes einmalig sein.

Schoeps wurde 1909 als Sohn einer jüdischen Berliner Familie geboren, die vollständig assimiliert war. Der Vater war ein praktischer Arzt, der die preußischen Tugenden verinnerlicht hatte. Als dritte prägende Kraft, neben Judentum und Preußen, trat bei Schoeps nach dem Ersten Weltkrieg die Jugendbewegung hinzu. Als Nachzügler gehörte er der Freideutschen Bewegung an, die sich der Meißner-Formel auf das Engste verpflichtet fühlte. Schoeps studierte Geschichte, Philosophie sowie Germanistik und promovierte in Religionswissenschaft. Seine ersten Bücher sorgten vor allem innerhalb des Judentums für Aufsehen, weil Schoeps der Auffassung war, daß es auch andere Völker gebe, die einen Bund mit Gott geschlossen haben. Hinzu kommt seine Überzeugung, daß zum Judesein nicht allein die Abstammung gehört, sondern die Glaubenserfahrung hinzutreten muß. In der Endphase der Weimarer Republik geriet Schoeps in das Umfeld der Konservativen Revolution, hatte Kontakt zum Herrenklub und zur kurzlebigen Volkskonservativen Vereinigung. Den Regierungswechsel von 1933 sah er mit gemischten Gefühlen. Er hoffte, daß der Antisemitismus nur Propaganda sei und warb bei den Nationalsozialisten für die Akzeptanz eines deutschnationalen Judentums, dem an der Wiedererstarkung Deutschlands ebenso gelegen sei. Als diese Versuche fehlschlugen, gelang ihm 1938 mit Hilfe des Auswärtigen Amts die Ausreise nach Schweden. In den Jahren der Emigration war er als deutschnationaler Jude isoliert und arbeitete wissenschaftlich zu Fragen des Judenchristentums und Philosemitismus sowie zur preußischen Geschichte.

Im Herbst 1946 kehrte Schoeps nach Deutschland zurück. Er erhielt eine Professur für Religions-und Geistesgeschichte in Erlangen und war 1951 einer der ersten, die den Versuch einer Rehabilitation Preußens unternahmen. Der publizistische Erfolg ermutigte ihn, für die Wiedereinführung der Monarchie zu werben, die er als konstitutionelles »soziales Königtum«, das über dem Streit der Parteien steht und das Ganze im Blick hat, verstanden wissen wollte. Staatspolitisch strebte er eine »Konservative Erneuerung« an, die sich auf die klassischen preußischen Tugenden stützen sollte. Dabei leitete ihn die Frage, wie im Zeitalter der Massen eine staatspolitische Elite geschaffen und zur Geltung kommen kann. Dazu schlug er die Einrichtung eines Oberhauses und die Einführung des Pluralwahlrechts vor.

»Das Schicksal, in das ich hineingeboren worden war, habe ich wie die meisten konservativen Menschen als Aufgabe empfunden und habe versucht, es mit meinem Leben auszuprägen und seine bestimmenden Mächte: Preußen und Judentum, mir selbst und anderen bewußt und anschaulich zu machen.«

Das Erscheinen der Rückblicke fiel in die Phase der größten Popularität von Schoeps. Seine monarchistischen Aktivitäten waren in aller Munde. Mit seinem Buch Preußen – Geschichte eines Staates (1963) konnte er einen Bestseller veröffentlichen, der bis heute nachgedruckt wird. Nach 1968 fühlte er sich in seiner Skepsis dem Massenzeitalter gegenüber bestätigt. Schoeps verlor an Reputation, als man sein Engagement von 1933 aufdeckte und es ihm als Opportunismus auslegte. Seine konservative Haltung gab Anlaß für weitere Kampagnen gegen ihn. Einen letzten Versuch zur Reform der Bundesrepublik unternahm er 1970 mit der »Konservativen Sammlung«, die vergeblich auf eine Partei rechts der CDU hoffte und nach kurzer Zeit ihre Arbeit einstellte.

Ausgabe

  • 2., erweiterte Auflage unter dem Titel Rückblicke. Die letzten 30 Jahre (1925–1955) und danach, Berlin: Haude & Spener 1963.

Literatur

  • Frank-Lothar Kroll: Geistesgeschichte in interdisziplinärer Sicht. Der Historiker Hans-Joachim Schoeps, in: ders.: Das geistige Preußen. Zur Ideengeschichte eines Staates, Paderborn 2001.
Der Artikel wurde von Erik Lehnert verfaßt.