Hohkönigsburg

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Frankreich, Elsaß, etwa 60 km südlich von Straßburg

Es ist nicht ganz einfach, sie zu erreichen: Entweder muß man als Wanderer die sechs Kilometer und fünfhundert Höhenmeter von der nächstgelegenen Ortschaft Orschweiler auf sich nehmen, oder sich mit dem Auto in die Schlacht um einen der wenigen Parkplätze an dem mit 500 000 jährlichen Besuchern größten Touristenmagnet des Elsaß begeben. Um so angenehmer ist man aber überrascht, wenn man feststellt, daß die Hohkönigsburg nicht nur äußerlich, sondern auch in bezug auf Innenausstattung, Wandbemalungen und Inschriften weitgehend in dem Zustand erhalten ist, den sie 1908 nach vollendeter Restaurierung erreicht hatte. Das ist deshalb so erstaunlich, weil die Renovierungsarbeiten 1900 bis 1908 in einer Zeit stattfanden, in der – wie das deutschsprachige Informationsblatt der Burg berichtet – das Elsaß »unter deutscher Verwaltung« stand. Die Hohkönigsburg gehörte zu den Lieblingsprojekten Kaiser Wilhelms II. (➞ Doorn, Jerusalem), der ein Wahrzeichen deutscher Kultur in einem traditionell zwischen Deutschland und Frankreich umkämpften Gebiet aufstellen wollte. Insofern ist es erfreulich, daß der einzige sichtbare Hinweis auf die französische Verwaltung, unter der sich das Elsaß mit kurzer Unterbrechung seit mittlerweile fast hundert Jahren befindet, der gestürzte preußische Adler ist, der seit 1908 auf dem Bergfried thronte.

Bei der Einweihungsfeier – bei der der Kaiser selbstverständlich anwesend war – wurde mehrfach auf die besondere symbolpolitische Bedeutung der Hohkönigsburg hingewiesen: Immer, wenn die Burg in deutscher Hand gewesen sei, habe das Reich in Blüte und Frieden gestanden; immer, wenn die Burg in fremden Besitz übergangen sei, sei das weder dem Reich noch der Burg gut bekommen. Tatsächlich ist die Geschichte der Hohkönigsburg nicht gerade durch Kontinuität gekennzeichnet; sie wechselte teilweise in rascher Folge ihre Besitzer. Vermutlich wurde sie im 12. Jahrhundert von Herzog Friedrich II. von Hohenstaufen erbaut, der die schon länger bekannte enorme strategische Bedeutung des am Vogesenrand, unmittelbar an der oberrheinischen Tiefebene gelegenen Staufenbergs nutzte. Friedrich I. Barbarossa (➞ Kyffhäuser) ließ die bereits zu diesem Zeitpunkt »Kunegesburg« genannte Anlage ausbauen, doch mit dem Ende der staufischen Periode verlor die Burg rasch an Bedeutung. Sie ging im 13. Jahrhundert als Lehen an die Herzöge von Lothringen, die ihrerseits die Landgrafen von Werd als Lehensträger einsetzten; diese wiederum verkauften die Hohkönigsburg im 14. Jahrhundert an den Bischof von Straßburg.

Streitigkeiten zwischen den Parteien über Besitz und Zuständigkeit, Raubrittereinfälle und weitere politische Unruhen ließen die Burg im 15. Jahrhundert zusehends verfallen, bis 1479 der romanische Bau vollständig zerstört und unter den Grafen von Thierstein ein spätgotischer an dessen Stelle gesetzt wurde. 1519 ging die Hohkönigsburg an Kaiser Karl V. über, der sie in erster Linie als Militärstützpunkt betrachtete und sie schon fünfzehn Jahre später als Pfand an Johann und Franz Konrad von Sickingen gab. Den Dreißigjährigen Krieg schließlich überstand die Burg nur schwer beschädigt: 1633 wurde sie von schwedischen Truppen belagert und eingenommen; die Ringmauern wurden abgerissen.

Den vollständigen Verfall erlebte die Hohkönigsburg ab 1648, als das Elsaß zu Frankreich geschlagen wurde. Es waren weder die Mittel noch die Motivation für einen Wiederaufbau der Burg vorhanden, so daß sie nach und nach zur Ruine wurde. Das hat die Romantiker des 19. Jahrhunderts ästhetisch angezogen, aber man sah schließlich ein, daß für den Erhalt der Burg eine Restaurierung notwendig sein würde. Die Mitte des 19. Jahrhunderts gegründete »Gesellschaft für die Erhaltung der geschichtlichen Denkmäler des Elsaß « leistete hier einige Vorarbeiten; insgesamt aber war es für die Burg ein großes Glück, daß das Elsaß 1871 an Deutschland zurückfiel und daß Kaiser Wilhelm II. die zwischenzeitlich der Gemeinde Schlettstadt zugefallene Hohkönigsburg 1899 als Geschenk annahm und sich sofort an die Planungen für den Wiederaufbau machte.

Das große Interesse des Kaisers an der Hohkönigsburg hatte mehrere Gründe: Erstens war sie ein entscheidendes Element in seiner Burgenpolitik, mit der er das neugegründete Kaiserreich in bestimmte Traditionen und Kontinuitäten stellen konnte. Neben der Hohkönigsburg sind hier vor allem die Saalburg und die Marienburg zu nennen, die jeweils verschiedene Aspekte der Wilhelminischen Geschichtspolitik hervorhoben. Zweitens waren die Marienburg im Osten und die Hohkönigsburg im Westen geeignet, an den Rändern des Reiches für die deutsche Kultur zu werben und insofern einen Beitrag für das – nicht nur von Wilhelm selbst – angestrebte »Weltreich des deutschen Geistes « zu leisten. Drittens – und das war der Hauptzweck – hatte der Kaiser mit der Hohkönigsburg die Reste eines Bauwerkes in der Hand, das wie kaum ein anderes das Ideal einer mittelalterlichen Burg verkörperte. Die Hohkönigsburg wurde daher auch explizit als Museum wiedererrichtet, nicht als Residenz. Dem Publikum sollte die deutsche Kultur des Mittelalters vor Augen geführt werden, weshalb sich der von Wilhelm II. beauftragte Architekt Bodo Ebhardt um eine möglichst exakte historische Rekonstruktion der Anlage bemühte. Das herbeigeschaffte Mobiliar sollte einen Eindruck der Geschichte vom Spätmittelalter bis zum Dreißigjährigen Krieg vermitteln. Und die auf den Kaiser verweisenden Inschriften sowie die Wandbemalung demonstrierten die Anknüpfung des neuen Reiches an das 1806 untergegangene alte. Von besonderem Interesse ist hier der Reichsadler mit Heiligenschein, der die verbreitete Vorstellung vom »heiligen evangelischen Reich deutscher Nation« als legitimem Nachfolger des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation illustriert.

Daß diese Tradition der wiedererrichteten Burg heute offenbar als weitgehend unproblematisch empfunden wird, hat sicher weniger mit deutsch-französischer Entspannung zu tun als mit dem Verschwinden historischer Kenntnis sowie mit der Schönheit und Anziehungskraft der Hohkönigsburg, denen man sich kaum entziehen kann. Die weitere Wirkungsgeschichte der Burg ist daher auch in erster Linie eine ästhetische: Jean Renoir wählte sie als Kulisse seines Films Die große Illusion (1937); der Tolkien-Illustrator John Howe – der sehr Nachdenkenswertes über die »Fantasy«-Fähigkeit Wilhelms II. geäußert hat – ließ sich für seine Zeichnungen zum Herrn der Ringe von ihr inspirieren. Um die symbolische Bedeutung der Hohkönigsburg noch einmal aufzugreifen: Der Burg also geht es heute immerhin gut. Wie es mit dem Reich aussieht, ist eine andere Frage.

Literatur

  • Benjamin Hasselhorn: Politische Theologie Wilhelms II., Berlin 2012.
  • N.N.: Der Kaiser auf der Hohkönigsburg, in: Der Burgwart IX (1908), S. 105–112.
  • Manfred Neugebauer: Die Hohkönigsburg im Elsaß, Wolfenbüttel 2010.
  • Paul Seidel: Der Kaiser und die Kunst, Berlin 1907.
Der Artikel wurde von Martin Grundweg verfaßt.