Dresden – Frauenkirche
Die »Ecclesia Parochialis Beatae Mariae Virginis« oder »Kirche zu unser liuben Vrouwen«, zu Ehren der Mutter Gottes Maria geweiht, bildete im Frühmittelalter einen Ausgangspunkt missionarisch-deutscher Kolonisation im wendischen Flußund Waldland. Von der Beschaffenheit der Kirchgebäude jener Zeiten sind kaum Zeugnisse überliefert, wird sie doch erst 1289 urkundlich erwähnt. Allein die Umbauten des letzten Vorgängerbaus, einer spätgotischen Hallenkirche, sind verbürgt. Vor den eigentlichen Stadtmauern Dresdens gelegen, sank ihre Bedeutung als Pfarrkirche im ausgehenden Mittelalter jedoch in dem Maß, in welchem die Stadt weiter aufzublühen begann. Im Rahmen der reformatorischen Bewegung (➞ Tübingen, Wartburg, Wittenberg) 1539 evangelisch geweiht, blieb sie auch danach eine bescheidene Erscheinung. Selbst die Einbeziehung ihres Umfeldes ab 1546 änderte daran nichts. Während sich Dresden zu einer der schönsten Barockstädte Europas entwickelte, verlor die Frauenkirche an Ansehen und Bedeutung. Fast nur noch als Ort von Beerdigungen genutzt, baufällig und einsturzgefährdet, bildete ihr scheinbares Ende jedoch zugleich den Beginn ihres glanzvollen Ruhmes.
Am 27. Mai 1743 vollzog sich eine grandiose Wandlung. Auf dem Platz der Dresdner Vorstadt enthüllte sich mit dem Aufsetzen des Turmkreuzes die Pracht eines steinernen Kuppelmonuments mit vier gleichwertigen Glockentürmen. Seine Grundform, ein griechisches Kreuz, ließ es zu einem nach allen Seiten gleichermaßen ausstrahlenden Zentralbau werden, »ein Bildniß der Ausbreitung der göttlichen Lehre in alle vier Winde«, wie es schon im Handbuch des Architekten Leonhard Sturm, Von kleinen protestantischen Kirchen, hieß. Klein war dieser Dom mit seinen 91 Metern Höhe indessen nicht und wollte es auch nicht sein, denn in ihm spiegelte sich die Selbstbehauptung des sächsischen Protestantismus gegenüber dem wiedererstarkten Katholizismus des Dresdner Hofes. Das Geld des Baues erbrachten darum seine Bürger, und schon die Anfangsphasen der Erbauung wurden ein Kampf des Glaubens um seine Machbarkeit. Denn sein Erbauer, Ratszimmermeister George Bähr, plante das Ungeheuerliche; die ganze Kirche »von Grund auf bis oben hinauf gleichsam nur (als) einen einzigen Stein«. Ein Sinnbild der Wucht und Standhaftigkeit des lutherischen Bekenntnisses in deutschen Landen. Dabei galt es, zu wagen, was davor kaum möglich schien: eine Kuppel ganz aus Stein. Übertragen aus einer Zimmermannskonstruktion wurde die 12 000 Tonnen schwere, sich dennoch scheinbar schwerelos aufschwingende Steinkuppel schließlich zu seinem Meisterwerk, vergleichbar nur mit Kirchenbauten in Florenz und Rom.
Die »steinerne Glocke« vereinte schon früh die Besten aus deutschen Landen. Noch während der Rohbauarbeiten des Jahres 1732 wurde Gottfried Silbermann tätig, um eine seiner bedeutendsten Orgeln zu schaffen. Bereits 1736 gab Johann Sebastian Bach (➞ Köthen) darauf ein Konzert. Die Wucht des Klanges inspirierte den jungen Richard Wagner (➞ Bayreuth) zu einem Oratorium, das 1843 seine Uraufführung darin fand: Das Liebesmahl der Apostel. Von Erfolg gekrönt, blieb es das einzige geistliche Chorwerk in Wagners Schaffen. Der Klang des Kuppelrunds jedoch fand sein Vermächtnis im sakralen Schall der Gralstempel-Chöre des Parsifal.
Die Frauenkirche, ein wahrhafter Gralsbau, inspirierte Maler aller Epochen wie den Venezianer Bernardo Bellotto oder den Romantiker Caspar David Friedrich, den Zeichner Adolph Menzel oder den Impressionisten Gotthardt Kuehl. Eine weithin sichtbare Trutzburg schien sie selbst in Zeiten der Not. Johann Wolfgang von Goethe (➞ Weimar) sah im Juli 1760 von ihrer Plattform erschüttert auf die verheerenden Zerstörungen der Stadt durch preußische Artillerie. Doch an der steinernen Kuppel des Domes glitten die Kanonenkugeln ab, worauf selbst Preußenkönig Friedrich II. (➞ Leuthen, Oderbruch, Potsdam) dem »Dickkopf« Hochachtung zollte. Im Kriege 1813 von französischen Truppen halb verwüstet zurückgelassen, wurde sie mit der vereinten Kraft der Dresdner Bürgerschaft erneuert und in zwei Festgottesdiensten 1813/14 zum Ausgangspunkt der Entstehung freiwilliger Landwehr-Bataillone. Der neue Geist einer Einheit aller Deutschen wehte nun durch den sakralen Bau und weit bis in das 20. Jahrhundert hinein fand er im Dresdner Dom seinen religiösen Dank- und Weiheort. So erstrahlte das Gemäuer auch am 300. Jahrestag des Lutherschen Thesenanschlages in einem Kerzenmeer, und eine Woge reformatorischen Neuaufbruchs brach sich Bahn. In gleichem Sinne fand drei Jahrzehnte später hier auch der »deutsche Freiheitskämpfer « Robert Blum ein würdiges Gedenken. Den 400. Geburtstag des großen Reformators schließlich illuminierten Tausende Lichter das Kirchenhaus, und 30 000 Dresdner fanden sich zu einer erhebenden Feier ein. Zugleich wuchs das Ansehen der Kirche durch anspruchsvolle kirchenmusikalische Veranstaltungen in das neue Jahrhundert hinein und führte 1925 zur Gründung eines konzertanten Kirchenchors. Der »Mythos Frauenkirche« als Seele und Krone der Stadt, als Bollwerk des deutschen Protestantismus und kultureller Mittelpunkt stand in seiner Blüte.
Der Streit um Wesen und Wirkung der Kirche führte in den Jahren nach der Machtergreifung 1933 zur zunehmenden Einverleibung des seit 1934 offiziell als »Dom« geweihten Kirchenbaus in die NS-Kirchenpolitik. Ihrer kulturpolitischen Anerkennung war es indessen zu verdanken, daß das Kirchgebäude trotz einsetzender Kriegswirtschaft bis 1942 umfangreich restauriert werden konnte und seinen Ewigkeitscharakter zu erhalten schien. Denn die Legende ihrer Unzerstörbarkeit blieb auch in der Bombennacht des 13. Februar 1945 bestehen. Wie einst im Jahre 1760 prallten die Bomben auch diesmal am steinernen Gewölbe ab, doch drang der Brand durch die zerstörten Kirchenfenster und ließ die Innenarchitektur in Flammen aufgehen. Die Krypta gewährte zu diesem Zeitpunkt etwa 300 Dresdnern und Flüchtlingen als Luftschutzkeller Unterschlupf – sie überlebten. Am Morgen des 15. Februar indessen neigte sich die mächtige Steinkuppel des Domes nach Süden. Zunächst mit einem leisen Knistern, doch dann mit einem ohrenbetäubenden Knall barst die Kirche auseinander und eine nachtschwarze Staubwolke umhüllte die Umgebung. »Wer das Weinen verlernt hat, der lernt es wieder beim Untergang Dresdens«, notierte Gerhart Hauptmann (➞ Agnetendorf) in jenen Februartagen.
Der Bau zerbrach, jedoch sein Mythos blieb. Als offene Wunde lag die Ruine nun im Herzen Dresdens, und ihre Mauerstümpfe klagten vom Opfer blinder Zerstörungswut. Im März 1945 barg man diverses Kunstgut, Kirchengerät und Archivalien. Anfang August fand schon die erste Wiederaufbausitzung statt. Die Bewahrung der Substanz bildete dabei ein zentrales Ziel. Erneut sammelten die Bürger für ihren Dom und eine archäologisch einmalige Beräumung begann, um das Steingut zu sichern. Doch die Geldmittel reichten kaum. Die Währungsreform und ein zunehmend politisch angespanntes Verhältnis stoppten das Vorhaben und führten immer wieder zu kleineren Sabotageakten, bei denen mehrfach Steine abtransportiert und an anderer Stelle verbaut wurden. Mit Protestschreiben und Eingaben stellten sich die Bürger jedoch entgegen. Ohnehin gingen auch alle Architektenwettbewerbe seit 1946 stillschweigend von einem Wiederaufbau aus. Ab 1951 erfolgte deshalb die weitere Sicherung der noch vorhandenen Substanz. 1953 beschäftigte sich die evangelische Landessynode mit dem Wiederaufbau, jedoch war die »derzeitige (politische) Lage kaum geeignet, an die Möglichkeit der Wiedererrichtung eines solchen Bauwerks zu denken «. Bürger wie Hans Nadler oder Fritz Löffler verteidigten indessen über die folgenden Jahrzehnte den Bestand des Trümmerbergs. Der Mythos lebte und ließ in den 1960er Jahren in staunenswerter Synchronie von Bürgerschaft und Politik fortan den Bestand des Domes als eine Mahnung gegen die Barbarei des letzten Krieges als gesichert gelten. Alljährlich, am Tag des Bombenüberfalls, gaben Gedenkveranstaltungen diesem Sinne Ausdruck, und selbst die SED-Führung konnte sich noch 1981 einen »eventuellen späteren Wiederaufbau « vorstellen. Doch war es ihre Zeit nicht mehr. Zivile Bürgerinitiativen setzten dem Trümmerberg eine erneuerte Bedeutung auf; am Abend des 13. Februar 1982 zogen junge Menschen zur Frauenkirchruine und bestückten ihren Fuß mit Kerzen des Protestes gegen SED-Willkür und neuerliche Kriegsgefahr. Der Mythos lebte und schuf einen Ausgangspunkt, der schließlich in die Einheit Deutschlands führte. Sich dessen wohl bewußt, hielt Kanzler Helmut Kohl in ihrem Schatten Ende 1989 eine Rede, die zugleich zum Wiederaufbau einer geteilten Nation mahnte.
Am 12. Februar 1990 wandte sich ein »Ruf aus Dresden« zum Wiederaufbau nun an alle Welt, und dieser Ruf verhallte nicht mehr ungehört. Ein Freundeskreis von Förderern entstand und führte 1991 zur Gründung der »Stiftung Frauenkirche «, deren Vorsitz der Trompetenvirtuose Ludwig Güttler übernahm. Durch beispiellose Benefizkonzerte warb er mit seinem Ensemble weltweit Spenden für den Wiederaufbau ein, und Freundeskreise in den Ländern der ehemaligen Feindmächte USA, England oder Frankreich, aber auch in Japan entstanden, dank deren Wirkens die aufwendige Finanzierung des »Jahrhundertbaus« überwiegend aus privater Hand getragen werden konnte (fast 180 Mio. Euro Baukosten). Zugleich standen Bürger Dresdens mit ihren Spenden dafür ein. Ziel war die Neuschöpfung der Kirche, so wie sie 1743 vollendet wurde. 1993 begann schließlich die erneute archäologische Enttrümmerung. Drei Jahre später schlossen die Bauleute die Wölbung der Unterkirche, die, als sakraler Raum geweiht, künftig begehbar war. Bis 2004 war der Außenbau abgeschlossen. Alte Sandsteine fügten sich dabei mit kunstvoll neubearbeiteten zu einem riesigen Puzzle zusammen und fanden am 22. Juni 2004 mit der Aufsetzung von Turmhaube und -kreuz ihre Vollendung.
Die ergreifende Weihe der Frauenkirche am 30. Oktober 2005 bildete schließlich mit einem »Fest der Freude« für Tausende Dresdner die erneuerte Krönung der Stadt. Sie gilt nun wieder als größter Sandsteinbau der Welt und spiritueller Ort christlichen Glaubens und europäischer Kultur. Doch neben Freunden wuchsen ihr in einer Zeit der Nationalphobie auch recht bizarre Gegner. Gruppen unterschiedlicher Couleur bilden so seit einigen Jahren die feindselige Spontikulisse gegen das »wiedererrichtete Drohmal« und gefährden die würdige Erinnerung vieler Dresdner an die Opfer der verheerenden Bombenangriffe und das versöhnende Gedenken zwischen den Kulturvölkern Europas. Jedoch können auch diese Aktionen den Mythos der Frauenkirche kaum treffen.
Literatur
- Elmar Arnhold/Sandor Kotyba (Hrsg.): Frauenkirche Dresden, Braunschweig 2012.
- Dorothee Baganz: Die Dresdner Frauenkirche, Petersberg 2009.
- Andreas Friedrich: Die Dresdner Frauenkirche, Pulheim 2006.
- Stiftung Frauenkirche Dresden: Die Frauenkirche zu Dresden. Werden, Wirkung, Wiederaufbau, Dresden 2005.
Der Artikel wurde von André Richter verfaßt.