Dithmarschen
- 'Nördlich von Hamburg, zwischen Nordsee, Elbe, Eider und Nord-Ostsee-Kanal
Abseits der Bundesstraße liegt knapp hinter Meldorf die Dusenddüwelswarf. Warften sind künstliche Hügel, wie man sie an der norddeutschen Küste bis heute findet, angelegt, um im Marschland sichere Plätze für die Besiedlung zu schaffen. Die Dusenddüwelswarf, plattdeutsch für »Tausendteufelswarft«, ist unschwer zu erkennen, weil sich über ihr ein wuchtiges Denkmal erhebt, das aus Findlingen besteht. Ein an ein Hünengrab erinnernder Aufbau wird von einem gigantischen Block gekrönt, der die Inschrift trägt: »Wahr di Garr, de Bur de kumt« – »Hab acht, Garde, der Bauer, der kommt«. Dazu das Datum »17. Februar 1500 – 1900«, denn das Monument auf der Dusenddüwelswarf wurde zum 400. Jahrestag der Schlacht bei Hemmingstedt errichtet, als die Dithmarscher Bauernschaft das Heer des dänischen Königs mitsamt seiner »Schwarzen Garde« vernichtend schlug und so ihre Freiheit verteidigte.
Freiheit war für die Dithmarscher ein hohes Gut. Ihre »Bauernrepublik« zwischen Nordsee, Elbe und Eider, regiert von einer Art Thing – der Landesversammlung – und einem Ausschuß – den »Achtundvierzigern « –, kannte zwar keinen Egalitätsgrundsatz, aber die Gleichheit aller ansässigen Landbesitzer, kein Vorrecht des Individuums, denn ausschlaggebend waren die Siedlungsgenossenschaften der »Geschlechter«, aber einen zähen Stolz und Eigensinn, das heißt eine sehr konkrete Vorstellung von Freiheit, wie sie tief in der germanischen Überlieferung verwurzelt war und sich zum Teil durch das ganze Mittelalter erhielt, wo es Freibauern gab, die nicht in Abhängigkeit von Adligen geraten waren: in Ostfriesland genauso wie in Oberdeutschland und der Schweiz und eben in Dithmarschen. Ihre Unabhängigkeit nach außen hatten die Dithmarscher gegen wechselnde Herrscher immer wieder behauptet und zeitweise wie eine selbständige Macht mit den Großen Norddeutschlands und Skandinaviens verhandelt.
Noch 1473 sah sich der dänische König veranlaßt, mit der Republik einen Vertrag zu schließen, in dem er ihre Freiheiten garantierte. Allerdings erreichte er in demselben Jahr die Belehnung mit Dithmarschen durch den Kaiser. Daß er bzw. sein Nachfolger nach einiger Zeit versuchte, die daraus abgeleiteten Ansprüche durchzusetzen, führte zu dem Konflikt, der in der Schlacht bei Hemmingstedt gipfelte. Um die Dithmarscher zum Gehorsam zu zwingen, überschritt im Februar 1500 ein dänisches Söldnerheer von beinahe 20 000 Mann die Grenze der Bauernrepublik. Johann I. ging sicher von der Kapitulation seines Gegners aus, der kein Drittel seiner Heeresstärke aufbieten konnte. Tatsächlich besetzten die dänischen Truppen ungehindert Meldorf, das sie plünderten und dessen verbliebene Bevölkerung sie töteten. Dann befahl der König siegessicher den Vormarsch auf Heide über Hemmingstedt. Die Dithmarscher konnten aber die tiefen Gräben, die die Straße einfaßten, fluten, indem sie die Schleuse bei Ketelsbüttel öffneten, so daß für den langen dänischen Heerzug kein Ausweichen möglich war, und sie errichteten eine mit Kanonen bestückte Schanze nördlich der Dusenddüwelswarf, die den Weg blockierte. Die Witterung (es hatte Tauwetter eingesetzt) und die Kenntnis des Landes nutzten ihnen ebenso wie ihre Kampferfahrung, um den Feind in verwegenen Vorstößen zu besiegen: für die Zeit ein ungeheuerlicher Vorgang, daß der gemeine Mann den Edlen schlug. Der selbstgewisse Schlachtruf der »Schwarzen Garde« – »Wahr di Bur, de Garr de kumt« – hatte sich in sein Gegenteil verkehrt.
Obwohl die so gewonnene Unabhängigkeit der Dithmarscher nicht sehr lange aufrechtzuerhalten war (1556 kam es zur »letzten Fehde«, in der die Bauern unterlagen und die Republik ihr Ende fand), blieb die Erinnerung an Hemmingstedt und an die legendären Figuren der Telse – einer kämpferischen Jungfer, die das Marienbanner in den Kampf getragen hatte – oder des Wulf Isebrand – der die Bauern anführte – oder des Reimer von Wiemerstedt – der den Junker Slentz, den Führer der Garde, erschlug – volkstümlich. Aber erst im 19. Jahrhundert wurde aus dem regionalen Bezug ein gesamtdeutscher. Man kann das etwa an Theodor Fontanes Gedicht »Der Tag von Hemmingstedt« ablesen. Für die nationaldemokratische Bewegung spielte vor allem die Idee des typisch germanischen und mithin deutschen Freiheitssinns eine Rolle, aber auch die, daß in der Selbstbehauptung der Dithmarscher der Volkstumskampf in Schleswig- Holstein zwischen Deutschen und Dänen vorweggenommen worden sei. Schließlich fand sich diese Tradition seit der Wilhelminischen Zeit auch in das Denken der Völkischen und der Jugendbewegung überführt. Damals konnte der Denkmalsplan für die Dusenddüwelswarf endlich ausgeführt werden, der zuletzt an den Wirren der Revolution von 1848 (➞Frankfurt) gescheitert war.
Noch wirksamer dürfte aber die Tatsache gewesen sein, daß diese spröde Landschaft vor den Toren Hamburgs eine erstaunliche Zahl begabter Schriftsteller hervorgebracht hatte, unter denen schon Friedrich Hebbel zu nennen war, jetzt aber vor allem Gustav Frenssen und Adolf Bartels, Autoren, deren Werke eine außerordentliche Verbreitung fanden. Beide kann man dem völkischen Lager zurechnen. Bartels hat mit seinem Roman Die Dithmarscher nicht nur seiner Heimat ein Denkmal gesetzt, sondern auch die Vorstellung vom Freiheitskampf der Dithmarscher als Teil der deutschen Geschichte ausgeführt. Wenn sich die Landvolkbewegung am Ende der zwanziger, zu Beginn der dreißiger Jahre neben den Bauernkriegen (➞Bad Frankenhausen) auch auf die Dithmarscher berief – und eine Zeitung mit dem Titel Dusendüwelswarf besaß –, gehört das sicher in den Zusammenhang dieser Wirkung.
Umgekehrt mußte diese und dann die Inanspruchnahme durch die Nationalsozialisten viel dazu beigetragen haben, Dithmarschen nach 1945 in Vergessenheit geraten zu lassen. Bezeichnenderweise hat nur die DDR einen Versuch gemacht, sich der Tradition im Rahmen ihrer »Erbe-Politik « zu bemächtigen (mit dem historischen Roman von Otto Gotsche: Der Tag von Hemmingstedt, Leipzig 1982), ansonsten überließ man im Westen das Ganze der Lokalgeschichte und der Folklore. Wenigstens hat Heiner Egge, heute wohl der bekannteste Autor der Gegend, das Thema aufgegriffen, und sein Stück Sag dem König gute Nacht oder Das alte Lied von der Freiheit wird traditionell bei der Feier des Marktfriedens im Dithmarscher Hauptort Heide aufgeführt. Ansonsten harrt hier eine stolze Erinnerung der Wiederentdeckung.
Literatur
- Adolf Bartels: Die Dithmarscher. Historischer Roman in vier Büchern, Hamburg 1934.
- Otto Gotsche: Der Tag von Hemmingstedt, Leipzig 1982.
- Volker Griese: Schleswig-Holstein. Denkwürdigkeiten der Geschichte. Historische Miniaturen, Norderstedt 2012.
- Hermann Lübbing: Stedinger – Friesen – Dithmarscher. Freiheitskämpfe niederdeutscher Bauern, Jena 1929.
Der Artikel wurde von Karlheinz Weißmann verfaßt.