Ernstfall

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Ernstfall ist ein Begriff, der normalerweise in den Zusammenhang der Militärsprache gehört. Krieg ist der Ernstfall schlechthin, das heißt eine Situation, in der Entscheidungen unabdingbar werden, weil es um Leben oder Tod, Sein oder Nichtsein geht. Ähnliches gilt aber auch für andere Lagen, die durch besondere Gefährdung gekennzeichnet sind: Revolutionen, Naturkatastrophen, Angriffe auf das Individuum.

»Man hört soviel auf den Kanzeln von der Unsicherheit, Eitelkeit und Unstetigkeit zeitlicher Dinge sprechen, aber jeder denkt dabei, so gerührt er auch ist, ich werde doch das Meinige behalten. Kommt nun aber diese Unsicherheit in Form von Husaren mit blanken Säbeln wirklich zur Sprache und ist es Ernst damit, dann wendet sich jene gerührte Erbaulichkeit, die alles vorhersagte, dazu, Flüche über die Eroberer auszusprechen. Trotzdem aber finden Kriege … statt; die Saaten schießen wieder auf, und das Gerede verstummt vor den ernsten Wiederholungen der Geschichte.«

Georg Wilhelm Friedrich Hegel

Die besondere Problematik des Ernstfalls ist unmittelbar einsichtig, ebenso wie die Neigung des Menschen zur Ernstfallmeidung. In modernen Gesellschaften gibt es gigantische Apparate, die – von der sozialstaatlichen Versorgung bis zur Haushaltstechnik – keinem anderen Zweck dienen als dem, einen Ernstfall zu verhindern. Das unterscheidet sie von primitiven, die die Permanenz des Ernstfalls bestimmte: Das Ausbleiben der Jagdbeute oder des Fischfangs, der Fehlschlag von Ernten oder Tierzucht, der Ausbruch von unbekannten Krankheiten, die Attacke durch Feinde führten zwar auch hier dazu, daß man Vorsorge zu treffen suchte (die Religion spielte in dem Zusammenhang eine entscheidende Rolle), aber niemals konnte der Ernstfall in dem Maße ausgeschaltet werden wie in der heutigen Welt.

Für die »Unwahrscheinlichkeit unserer modernen Existenz« (Wilhelm E. Mühlmann) ist allerdings ein Preis zu bezahlen, der den wenigsten bewußt ist: Die Apparate, die vor dem Ernstfall schützen, nehmen dem Menschen gleichzeitig viel von seiner Selbständigkeit und sie deformieren ihn in der Weise, daß er die Möglichkeit des Ernstfalls überhaupt zu verdrängen sucht. Dem Gefährlichen wird seine Vernünftigkeit bestritten. Ein Slogan wie »Der Frieden ist der Ernstfall«, den die Bundeswehr lange propagierte, kann als Symptom einer solchen Verdrängung angesehen werden.

»Man muß die Feinde fürchten in der Ferne, um sie nicht mehr zu fürchten in der Nähe, und sich freuen, wenn sie heranrücken.«

Condé

Eine realistische Betrachtung vor allem der politischen Verhältnisse muß demgegenüber darauf beharren, daß der Ernstfall der cas réel – der »wirkliche Fall« (Rüdiger Altmann) ist. Nur im Ernstfall wird deutlich, was ein Staat, was eine Armee oder was ein einzelner taugt. Erst was sich in der Gefahr bewährt, kann als geprüft betrachtet werden. Das gilt vor allem für die politische Ordnung, die fähig sein muß, ihre Feinde zu bestimmen und – im Ernstfall – wirkungsvoll zu bekämpfen. Daher erklärt sich der Nachdruck Carl Schmitts, wenn er feststellte, daß »souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet«. Mit dem Ausnahmezustand wird der Ernstfall als gegeben erklärt.

Literatur

  • Gerd-Klaus Kaltenbrunner: Elite. Erziehung für den Ernstfall [1984], Kaplaken, Bd 10, Schnellroda 2008.
  • Anton Peisl und Armin Mohler (Hrsg.): Der Ernstfall, Schriften der Carl Friedrich von Siemens Stiftung, Bd 2, Frankfurt a. M., Berlin und Wien 1979.
  • Günter Rohr­moser: Der Ernstfall, Berlin 1994.