Leistung

Aus Staatspolitisches Handbuch im Netz
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Leistung ist nur im Bereich der Naturwissenschaft, vor allem der Physik – Arbeit beziehungsweise Energie pro Zeiteinheit – ganz eindeutig zu definieren. Ansonsten besteht das Problem, wie man eine Leistung bewertet, und das hängt wiederum von Maßstäben ab, die selbst nicht mit der Leistung als solcher zu tun haben.

»… lassen Sie also, liebster Freund, Ihren schwärmerischen Gedanken von der Glückseligkeit eines Staates fahren, worin alles nach Verdiensten gehen sollte. Wo Menschen herrschen und Menschen dienen, ist Geburt und Alter oder das Dienstalter immer noch die sicherste und am wenigsten beleidigende Regel zu Beförderungen. Dem schöpferischen Genie oder der eigentlichen Virtù wird diese Regel nicht schaden; aber eine Ausnahme von dieser Art ist sehr selten und wird auch nur schlechte Herzen kränken.«

Justus Möser

In der Politik begann die Karriere des Leistungsbegriffs irritierenderweise als »allgemeiner Nivellierungsbegriff« (Walter Leisner). Das Bürgertum setzte sein Recht auf Mitsprache durch unter Hinweis auf seine Leistung, das heißt seine Steuerleistung, für den Staat. Klerus und Aristokratie – so Emmanuel Sieyès in seinem berühmten Pamphlet Was ist der Dritte Stand? – seien nicht würdig, als Teile der Nation zu gelten, da sie für deren Bestand nichts leisteten, sondern Vorrechte in Anspruch nähmen wie etwa die Steuerfreiheit. Wollten sie zukünftig als Glieder des größeren Ganzen betrachtet werden, müßten sie ihre Privilegien aufgeben und sich dem allgemeinen, also dem Leistungsprinzip unterwerfen. Was selten erwähnt wird, ist eine zweite Stoßrichtung der Argumentation von Sieyès, die sich gegen die canaille richtete, also die Menge der Armen, die wegen ihres geringen Besitzes und Einkommens nicht steuerpflichtig waren.

Der Bezug auf die Leistung ist also nicht egalitär im eigentlichen Sinn, geht aber von einer allgemeinen Gleichheit der Chancen aus und erweist sich so als typisches Produkt des aufklärerischen und bürgerlichen Denkens. Dabei kann gar nicht übersehen werden, daß Leistung auch in früheren Zeiten immer ein wichtiger Grund für die Anerkennung von Über- und Unterordnung war. Das gilt von Anfang an für besondere religiöse oder militärische Kompetenz, wobei in allen krisenhaften Phasen der Geschichte entsprechende Leistung besonders hoch gewertet wurden, während bei zunehmender Institutionalisierung das Moment der individuellen Leistung zurücktrat gegenüber Auswahl und Förderung aufgrund von Konformität.

»Der Mensch … sucht … in jedem Tun die Verwirklichung eines konkreten, objektiven, unpersönlichen Zieles. Deshalb ist er von der Freude an »greifbaren« Ergebnissen besessen und haßt die nutzlose Anstrengung. Er schätzt Brauchbarkeit und Leistung, verachtet hingegen vergebliches Tun, Unfähigkeit und Vergeudung. Diese Fähigkeit oder Neigung wollen wir als Werkinstinkt bezeichnen.«

Thorstein Veblen

Versuche, auch unter solchen Umständen das Leistungsprinzip in Geltung zu halten, hat es gerade in der europäischen Geschichte immer wieder gegeben. Das gilt in gewissem Sinn schon für das vorklassische und das klassische Griechenland mit dem Ideal des agon, aber in noch ganz anderem Maß für das bürgerliche Zeitalter (Bürger), das heißt vornehmlich das 19. Jahrhundert. Die problematischen Aspekte des Grundsatzes der Leistung wurden dabei häufig übersehen, vor allem wenn es um den Hinweis ging, daß sich die Leistung im allgemeinen nur dann hinreichend deutlich bestimmen ließ, wenn sie im ökonomischen Bereich erbracht wurde, womit eine materialistische Tendenz freigesetzt war, die der bürgerlichen Lebenswelt insgesamt feindlich gegenüberstand.

Infolgedessen sind aus dem Bürgertum immer wieder antibürgerliche Bewegungen entstanden, die entweder die Leistungsverweigerung der Aufsteiger – der »Klasse der Müßiggänger« (Thorstein Veblen) – oder die Orientierung an der Leistung überhaupt in Frage stellten und dagegen aristokratische oder subkulturelle Konzepte setzten, die Großgesinntheit oder Muße als eigentliche Bezugspunkte zur Bewertung menschlichen Handelns ins Feld führten. So legitim die Kritik einer Vereinseitigung des Leistungsprinzips sein mag, so muß doch festgehalten werden, daß die radikale Kritik am »sinnlosen Leistungszwang« (Alexander Mitscherlich) im Grunde nie eine echte Alternative aufgewiesen hat, weil sie erstens die Leistungsbereitschaft der anderen, die die Leistungsverweigerer mitversorgen, voraussetzt, und zweitens keine in vergleichbarem Maß gerechte Beurteilung von Qualifikationen vorzuschlagen hat, wenn die Bestimmung von Leistung oder Nichtleistung durch die Institutionen sachgerecht gewährleistet wird.

Literatur

  • Carl Friedrich von Siemens Stiftung (Hrsg.): Sinn und Unsinn des Leistungsprinzips. Ein Symposion, München 1974.
  • Walter Leisner: Der Gleichheitsstaat. Macht durch Nivellierung, Berlin 1980.
  • Helmut Schoeck: Ist Leistung unanständig?, Osnabrück 1971.
  • Thorstein Veblen: Theorie der feinen Leute [1899/1958], zuletzt Frankfurt a.M. 2004.