Markt

Aus Staatspolitisches Handbuch im Netz
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Markt bezeichnet grundsätzlich jeden Ort, an dem Waren ausgetauscht werden und es Käufer und Verkäufer geben kann. Tauschbarkeit setzt die Annahme von Gleichwertigkeit verschiedener Angebote voraus. Das Grundkonzept des marktförmigen Verhaltens gehört zu den ältesten Arten zwischenmenschlicher Beziehung. Ein M. im Sinn entwickelter Ökonomie konnte sich allerdings erst ausbilden, nachdem eine gewisse Siedlungsdichte erreicht und Verkehrsmöglichkeiten geschaffen waren und Überschüsse den Aufwand rechtfertigten, weiter entfernte Handelspartner aufzusuchen. Dieser Punkt wurde vor etwa fünftausend Jahren erreicht.

»Es ist bislang konkurrenzlos, weder Totalitarismus noch Theokratie brachten etwas Besseres zum Wohl der größtmöglichen Zahl zustande als dieses System der abgezweckten Freiheiten. Natürlich gilt das nur solange, als wir davon überzeugt sind, daß allein der ökonomische Erfolg die Massen formt, bindet und erhellt.«

Botho Strauß

Das bedeutet auch, daß eine stabile politische Ordnung und Markt etwa zeitgleich entstanden. Das Verhältnis zwischen beiden war allerdings von Anfang an gespannt. Einerseits konnte die Politik die Entstehung von Märkten fördern, in jedem Fall die dort geltenden Bedingungen kontrollieren und auch selbst als Akteur auftreten, um von der Existenz eines Marktes zu profitieren. Andererseits gab es früh eine Eigendynamik des Marktes, der Austausch von Käufer und Verkäufer erschien selbststabilisierend und von seiten der den Markt kontrollierenden Gruppen wurde ein Machtanspruch formuliert, der dem des politischen Systems entgegenstand.

Dieser latente Konflikt zwischen Markt und Politik hat sich als unaufhebbar erwiesen. Das hängt vor allem mit der »Heteronomie« (Rolf Peter Sieferle) des M. zusammen, der im freien Spiel der Kräfte Ergebnisse hervorruft, die kaum vollständig abzusehen sind. Im Idealfall ist der Markt ein pazifizierter, machtfreier Raum, in dem alles über das Spiel von Angebot und Nachfrage geregelt wird. Dagegen zielt die Politik auf gewollte Ordnungsstrukturen und deren dauernde Kontrolle, was automatisch zu Mißtrauen gegenüber der Autonomieforderung des Marktes führen muß.

»Voll ausgebaute Steuerstaaten reklamieren jedes Jahr die Hälfte aller Wirtschaftserfolge ihrer produktiven Schichten für den Fiskus, ohne daß die Betroffenen zu der plausibelsten Reaktion darauf, dem antifiskalischen Bürgerkrieg, ihre Zuflucht nehmen. Dies ist ein politisches Dressurergebnis, das jeden Finanzminister des Absolutismus vor Neid hätte erblassen lassen.«

Peter Sloterdijk

In der Konsequenz hat es weder politische Systeme gegeben, die sich dauerhaft halten konnten, ohne dem Markt gewisse Konzessionen zu machen, noch Märkte, denen es gelungen wäre, sich von jedem politischen Einfluß freizuhalten. Modelle, die eine vollständige Unterordnung der Ökonomie unter die politischen, vor allem militärischen Belange durchzusetzen suchten – vom spartanischen Kosmos bis zum Sowjetsystem – sind allerdings deutlicher gescheitert, wohingegen das in erster Linie von Liberalen propagierte System der freien Marktwirtschaft – im England des 19. Jahrhunderts und der Thatcher-Ära oder im Chile Pinochets – nur in Ausnahmefällen, nur kurzzeitig und nur annähernd zu verwirklichen war.

Das hatte seinen Grund einmal in ethischen Vorbehalten gegenüber der ungehemmten Entfaltung der Marktkräfte, aber auch in den Nebenfolgen des Konzepts, vor allem der steigenden gesellschaftlichen Desintegration oder der zunehmenden Belastung der Umwelt, die durch die Gesetze des Marktes nicht zu korrigieren waren.

Am erfolgreichsten erwiesen sich letztlich Systeme, die auf einen gewissen Ausgleich zwischen den Ansprüchen von Markt und Politik setzten, vom Bismarckschen Sozialstaat bis zum »rheinischen Kapitalismus« oder Ordoliberalismus. Indes zeigen auch diese im Lauf der Zeit Degenerationserscheinungen, die vor allem darauf zurückzuführen sind, daß die politische Ordnung zur konsequenten Ausbeutung der produktiven Schichten neigt, um die Unproduktiven bei Laune zu halten und innerhalb eines demokratischen Systems deren Loyalität zu erkaufen.

Literatur

  • Roland Baader: Geld, Gold und Gottspieler, München 2004.
  • Roland Baader: Wider die Wohlfahrtsdiktatur. Zehn liberale Stimmen, München 1995.
  • Helga Breuninger und Rolf Peter Sieferle (Hrsg.): Markt und Macht in der Geschichte, Stuttgart 1995.
  • Jürgen Elsässer: Nationalstaat und Globalisierung, Waltrop 2009.
  • Joseph Schumpeter: Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie [1942/1946], zuletzt Tübingen 2005.