Irenäus Eibl-Eibesfeldt
- Eibl-Eibesfeldt, Irenäus,
- geb. 15. Juni 1928 Wien.
Irenäus Eibl-Eibesfeldt ist der Begründer der Humanethologie, der Naturwissenschaft vom menschlichen Verhalten. Als solcher hat er überzogene Vorstellungen von der ausschließlichen Kulturbedingtheit des menschlichen Verhaltens bekämpft und zahlreiche Beweise für die stammesgeschichtliche Bedingtheit des menschlichen Verhaltens erbracht. Gleichzeitig ist er als konservativer Zeitkritiker aufgetreten.
Eibl-Eibesfeldt wuchs in der ländlichen Umgebung von Wien auf und zeigte früh Interesse an Tieren. Er studierte Biologie in Wien, wo er 1949 promovierte. Von 1951 bis 1969 war Eibl-Eibesfeldt wissenschaftlicher Assistent von Konrad Lorenz, zuerst an der Forschungsstelle für Vergleichende Verhaltensforschung in Buldern (Westfalen) und ab 1957 am Max-Planck- Institut für Verhaltensphysiologie in Seewiesen (Oberbayern). Dort beschäftigte er sich zunächst noch mit Tierethologie und nahm an Expeditionen, u. a. zu den Galapagosinseln, teil. Mitte der sechziger Jahre begann Eibl-Eibesfeldt mit dem Aufbau eines kulturvergleichenden humanethologischen Forschungsprogrammes. Seitdem führte er zahlreiche Forschungsreisen zu von der modernen Zivilisation noch weitgehend unbeeinflußten Völkern in Afrika, Südamerika, Neuguinea, Indonesien und Polynesien durch. Mit Hilfe des von Hans Hass entwickelten seitlichen Spiegelobjektivs war es ihm möglich, deren ungestelltes Alltagsleben filmisch zu dokumentieren. Eibl-Eibesfeldt wurde 1970 zum Professor ernannt und übernahm 1975 die Leitung der Forschungsstelle für Humanethologie der Max-Planck-Gesellschaft (seit 1988 in Andechs, Oberbayern), die er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1996 innehatte.
Durch den Nachweis von Universalien, d. h. von in allen Kulturen gleich ablaufenden Verhaltensmustern, gelang es ihm, die Existenz stammesgeschichtlich entstandener Verhaltensprogramme auch beim Menschen nachzuweisen. Das betrifft vor allem Verhaltensweisen der nonverbalen Kommunikation, Mimik und Körpersprache, Lächeln und Lachen. Taub und blind geborene Kinder, die keine Möglichkeit haben, die Mimik anderer Menschen nachzuahmen, zeigen dasselbe mimische Ausdrucksverhalten wie andere Kinder. Schon Kleinkinder verfügen über eine ausgesprochene soziale Kompetenz, die über ihre jeweilige kognitive Kompetenz weit hinausgeht. Sie bieten von sich aus Geschenke an und verfügen über nichterlernte soziale Strategien des Gebens und Nehmens. Darüber hinaus weist das menschliche Verhalten soziale Universalien auf. Zu diesen gehören: die (Klein-)Familie, die enge Mutter-Kind-Beziehung, trotz verbreiteter Polygamie die Tendenz zur Monogamie, die geschlechtliche Scham – freie sexuelle Polygamie gibt es in keiner Kultur –, die Arbeitsteilung der Geschlechter – Jagd, Krieg und politische Führung der Männer, Kinderfürsorge und innerer Gruppenzusammenhalt der Frauen –, das Leben in beständigen Gruppen (keine »offenen« Gesellschaften), die Beanspruchung und Verteidigung eines bestimmten Territoriums, das Streben nach Ansehen und die Angst, das Gesicht zu verlieren, die Neigung zum Einsatz von Gewalt ebenso wie die Tötungshemmung. Auch dieses komplexere soziale Verhalten folgt universalen Aufbauprinzipien, denen biologische Regelsysteme zugrunde liegen.
»Grundsätzlich gilt, daß die verschiedenen Ethnien nicht nur das Recht, sondern auch die Verpflichtung haben, ihre eigene Existenz abzusichern.«
Die Existenz von stammesgeschichtlichen Verhaltensprogrammierungen bedeutet nicht, daß das menschliche Verhalten nicht durch Lernen beeinflußt werden könnte. Der Mensch ist durchaus in der Lage, sich von seinen biologischen Antrieben zu distanzieren. In allen Kulturen gibt es Normen und Bräuche, die der Bändigung aggressiver und sexueller Antriebe dienen.
In seinem Buch Der Mensch – das riskierte Wesen (1988) wies Eibl-Eibesfeldt auf die Gefahren hin, die sich aus der fehlenden Anpassung des Menschen an die Lebensbedingungen in der modernen Massengesellschaft ergeben. Evolutionär sinnvolle Verhaltensprogramme wie die Gruppenbindung, das Dominanz- und Wachstumsstreben, die Bereitschaft zur Indoktrination und die infantilisierende Wirkung von Ängsten bergen gesellschaftliche Gefahren. Deren kulturelle Kompensation setze jedoch das Wissen um die biologischen Voranpassungen des Menschen voraus. Nicht die Tabuisierung und Leugnung, sondern die von Wunschbildern freie Erkenntnis der menschlichen Natur sei die Voraussetzung einer vernünftigen Gesellschaftsplanung. So gelte es z. B., die natürliche Anlage zur Gruppenbindung und Fremdenfurcht nicht durch willkürlich geförderte Einwanderung zu überfordern.
Viele Fehlanpassungen des Menschen in der modernen Zivilisation werden durch politische Ideologien zusätzlich verschärft, die einem behavioristischen Menschenbild anhängen, das an eine fast unbegrenzte Planbarkeit des Menschen glaubt. Irenäus Eibl-Eibesfeldt hat Entscheidendes dazu beigetragen, die Grundannahmen dieser Ideologie zu widerlegen. Das ist ein wissenschaftlicher Fortschritt, hinter den auch linke Intellektuelle nicht mehr zurück können, wenn sie ernst genommen werden wollen.
Schriften
- Grundriß der vergleichenden Verhaltensforschung – Ethologie, München 1967.
- Liebe und Haß, München 1970.
- Der vorprogrammierte Mensch, Wien 1973.
- Krieg und Frieden aus der Sicht der Verhaltensforschung, München 1975.
- Menschenforschung auf neuen Wegen, Wien 1976.
- Die Biologie des menschlichen Verhaltens, München 1984.
- Der Mensch – das riskierte Wesen, München 1988.
- Das verbindende Erbe, Köln 1991.
- Und grün des Lebens goldener Baum. Erfahrungen eines Verhaltensforschers, Köln 1992.
- Zukunft multikulturelle Gesellschaft?, in: Einwanderungsland Europa?, Graz 1993.
- Wider die Mißtrauensgesellschaft, München 1994.
- In der Falle des Kurzzeitdenkens, München 1998.
Literatur
- Christa Sütterlin/Frank K. Salter (Hrsg.): Irenäus Eibl-Eibesfeldt. Zu Person und Werk, Frankfurt a. M. 2001.
Der Artikel wurde von Andreas Vonderach verfaßt.