Geschichte der religiösen Ideen

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Geschichte der religiösen Ideen (frz. Histoire des croyances et des idées religieuses, 3 Bde., Paris 1976-83).
Mircea Eliade, 4 Bde., Freiburg: Herder 1978–1991:
1. Von der Steinzeit bis zu den Mysterien von Eleusis (1978);
2. Von Gautama Buddha bis zu den Anfängen des Christentums (1979);
3. Von Mohammed bis zum Beginn der Neuzeit (1983);
4. (hrsg. v. Ioan Culianu) Vom Zeitalter der Entdeckungen bis zur Gegenwart (1991).

Mit seiner monumentalen Religionsgeschichte hat Mircea Eliade am Ende seines Lebens ein langgehegtes Projekt realisiert und sein Opus magnum geschaffen. Das Werk gilt als geistige Summe, zieht es doch das Fazit aus einem ganzen Forscherleben. Bezeugen will Eliade die universelle Kreativität des religiösen Menschen, überall und zu jeder Zeit, und die tiefe Korrespondenz unserer existentiellen Verfassung mit den Tatsachen des Glaubens. Eliade will die historische Erinnerungsarbeit zur großen Überlieferung ausweiten. Ihre »königliche Funktion«, so Eliade über die Religionswissenschaft, sei, »die mythisch-religiösen Traditionen« zu bewahren, die »überall auf der Welt … verschwinden«. Das macht sie zu einem »Sammelbecken …, in dem sich alle überlieferten religiösen Werte und Modelle verbergen könnten«.

Als universale Religionshistorie steht Eliades Werk markant für sich, dokumentiert es doch den ambitionierten Versuch eines einzelnen im Zeitalter arbeitsteiliger Spezialisierung und entgrenzter Information. Ganze Disziplinen – so die Orientalistik, klassische Philologie, Theologie oder Völkerkunde – wirken in der modernen Religionskunde zusammen. Vor diesem Hintergrund erscheinen Synthesen im Sinn des 19. Jahrhunderts heute obsolet. Zwar gibt es einschlägige Abbreviaturen in knapper Form zu den Weltreligionen, doch werden mehrbändige Projekte in der Regel nur mehr im Team realisiert. Eliades Ehrgeiz zielte darauf, die Leistung James Frazers in der Gegenwart zu erneuern. Dem war mit seinem Goldenen Zweig (The golden Bough, 12 Bde., 1890–1915), der an den Mythos von Tod und Auferstehung anknüpft, ein Epos der religiösen Menschheit gelungen – und ein fulminanter Erfolg beim bürgerlichen Publikum dazu. Religiosität selbst bedeutete für Frazer allerdings nur ein »defizitäres Verhalten«, dessen irrtümliche Weltsicht zu überwinden war. Aufklärung und experimentelle Wissenschaft sollten Religion erübrigen.

Ganz anders ist Eliade von Wert und Eigenständigkeit des religiösen Anliegens überzeugt. Verweist es als anthropologische Konstante doch auf tiefer liegende Verhaltensmuster, ja mehr noch: auf ideelle Potenzen, die unsere Geschichte durchziehen. Das motiviert eine komparative Auswertung des historischen Materials und seine Deutung nach archetypischen Modellen.

Diese ahistorische Optik jedoch hatten ihm seine Kritiker stets vorgeworfen. Also sucht er in seinem Spätwerk, Entwicklung und Sein, Chronologie und Synopse, Längs- und Querschnitte, Genese und Struktur plausibel zu integrieren und eine dichte Synthese zu schaffen. Eingang darin fanden seine in Jahrzehnten erarbeiteten Spezialuntersuchungen: die Erkenntnis des hinduistischen Feldes, der Alchemie, des Schamanismus, der australischen Religionen oder der Kosmologien. Dergestalt verband er historische und systematische Aspekte und konstruierte sie zur Einheit.

Eliades dialektische Denkform setzt in der archaischen Bildwelt an und endet bei der coincidentia oppositorum des Nikolaus von Cues. Sie nimmt das historisch Konkrete auf; doch will sie erkunden, was das Phänomen uns »sagen will«, ja mehr noch, »was ein religiöses Faktum durch die Geschichte hindurch an Übergeschichtlichem offenbart«. In der Idee der Hierophanie, der Erscheinung des Göttlichen als des unendlichen Sinns, als der unbedingten Dimension im zeitlichen Moment, im relativen, dem Menschen faßlichen Ausdruck – sei es als heiliger Baum oder im Wunder der Inkarnation -, gewinnt sein Programm Gestalt, ist seine Religionskunde sinnhaft und methodisch verankert.

So entsteht eine fesselnde Tiefendeutung aus Vor- und Rückdeutungen, wobei das Ganze dem Autor stets gewärtig bleibt. Der zweite Band endet beispielsweise mit der göttlichen Demeter von Eleusis, deren Wiederkehr die Griechen 1940 bewegte. Das exotische Ereignis kann als paradigmatische Bestätigung der These Eliades von der »Umkehrbarkeit« der Zeit gelten. Sie wird ermöglicht durch die metaphysische Freiheit des Menschen: in jedem geschichtlichen Ort das Unvergängliche, die ewigen Gestalten des Seins zu erfahren. So verschmilzt der Historiker Eliade lineare Zeitlichkeit als »individuelle Entwicklung« (nicht aber als moralischen »Fortschritt«) mit dem Tiefengrund der »Urphänomene«: »Die Dialektik des Heiligen selbst geht auf endlose Wiederholung einer Reihe von Archetypen aus.« Ein »historischer Moment« kann strukturell so »eine um 1000 Jahre ältere oder jüngere Hierophanie« wiederbringen. In diesem Paradox gründet die Einheit der Religionsgeschichte.

»Die Erkenntnis einer wirklichen und sinnvollen Welt ist aufs innigste mit der Entdeckung des Heiligen verbunden. Denn durch die Erfahrung des Heiligen hat der menschliche Geist den Unterschied zwischen dem erkannt, was sich als wirklich, mächtig, bedeutsam und sinnvoll enthüllt, und dessen Gegenteil – dem chaotischen und gefahrvollen Fluß der Dinge, ihrem zufälligen und sinnlosen Aufgang und Untergang. Das »Heilige« ist also ein Element der Struktur des Bewußtseins und nicht ein Stadium in der Geschichte dieses Bewußtseins.«

Eliade hatte zunächst ein zweibändiges Werk geplant. Der überschaubare Text sollte ein dichtes Bild des Ganzen evozieren. Doch weitete das Projekt sich zu einem dritten und schließlich vierten Band aus, über dessen Vorarbeiten der Autor starb. So entstand faktisch ein komplettes Handbuch, das als enzyklopädisches Nachschlagewerk nutzbar ist. Literarisch gelesen wurde eher das Vergleichswerk seines Kollegen Joseph Campbell Die Masken Gottes (1959-68), deren Popularität indes seit den Achtzigern rasch schwand. Anders bei Eliade: Relativ frei von den Debatten um seine Phänomenologie und auch (politische) Biographie wird seine Religionshistorie rezipiert und konnte sich, vor allem im deutschen Sprachraum, als Lese-und Nachschlagewerk konkurrenzlos etablieren.

Ausgabe

  • Fünfbändige Taschenbuchausgabe (mit Quellenband), Freiburg: Herder 1993.

Literatur

  • Hans Kippenberg: Die Entdeckung der Religionsgeschichte. Religionswissenschaft und Moderne, München 1997.
  • Sezession (2007), Heft 16: Mircea Eliade.
Der Artikel wurde von Wolfgang Saur verfaßt.