Aachen – Kaiserpfalz und Dom

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Aachener Dom, Nordfassade, Blick vom Rathaus über den Katschhof

Einhard, der Biograph Karls des Großen, schwärmte vom »Wunderwerk der Kirche zu Aachen«, die nördlich der Alpen einzigartig ist und noch heute durch das hochaufragende Oktogon Bewunderung hervorruft. Sie krönt den Ort, den Karl zum Mittelpunkt des fränkischen Reiches und damit zur obersten Reichspfalz erhob. Diese herausragende Relevanz zeigt sich auch in der Pfalzkirche, heute Bestandteil des Doms, die über lange Zeit als Krönungsstätte der deutschen Herrscher fungierte. Das Urteil, die Aachener Pfalz sei die »nach geschichtlicher Bedeutung und Bauformen wichtigste deutsche Königspfalz« (Günther Binding), ist nicht strittig.

Ausmaße und Umfang der Aachener Königspfalz sind nicht leicht zu ermitteln. Bis ins 20. Jahrhundert hinein galt nur die Königshalle als Pfalz. Heute nimmt man üblicherweise einen Pfalzbezirk an, zu dem folgende Bestandteile gehörten: Pfalzkirche, Königshalle (in späterer Zeit oft als »Aula« bezeichnet), Atrium, Querbau, von dem zwei Verbindungsgänge nach Norden (zur Aula) und nach Süden (zum Atrium) führen. Dazu kommen einige Annexbauten wie der Granusturm, der mit der Königshalle in einem Bauverbund steht, dazu der nördliche Annexbau und der südliche, die beide an die Pfalzkapelle anschließen.

Schwierigkeiten bereiten der Forschung Funktion und Lage einiger der Gebäude. Manche lassen sich nachweisen, die Funktion ist aber nicht bekannt. Manche Gebäude sind dem Namen nach überliefert, aber ihre Lage ist schwer zu bestimmen.

Vorläufer der Bauwerke gab es schon im römischen Reich, als man hier in Aachen die Thermalbäder außerordentlich schätzte. Es existierten ältere Reste einer Hofanlage. Sie haben sich bisher nicht zuordnen lassen, boten aber eine Grundlage für die neuerrichteten Bauten unter der Herrschaft Karls. Umstritten ist der Beginn der Bauarbeiten zur karolingischen Pfalz. Ein Kenner der Materie wie Günther Binding nimmt die 780er Jahre an (entgegen der früher häufig geäußerten Lehrmeinung von einem Jahrzehnt später). Die Dauer der Bauzeit ist unbekannt. Wesentlicher Grund für die Errichtung der Anlage dürfte im Aufenthalt König Pippins des Jüngeren liegen. Er hat nach Maßgabe der Quellen in Aquis villa und Aquisgranum Weihnachten und Ostern gefeiert. Später wird der Ort als palatium bezeichnet. Die beiden Söhne, Karl und Karlmann, setzten diese Tradition kurz nach dem Tod des Vaters fort. Jedoch erst nach zwanzigjähriger Unterbrechung ließ sich Kaiser Karl, nach einigen Aufenthalten im Winter, dauerhaft in Aachen nieder. Gründe für die Bevorzugung der Seßhaftigkeit lagen auf der Hand: Die Feldzüge wurden weniger oder hörten gar auf, Rivalen konnten ausgeschaltet werden, innerer und äußerer Friede stellte sich ein.

Die baulichen Tätigkeiten aus der Zeit Karls lassen eine wichtige Voraussetzung erkennen, die Notker von St. Gallen überliefert hat. Er erwähnt die Pflicht der weltlichen und kirchlichen Großen während der Regierung Karls, sich an der Errichtung und Erhaltung von öffentlichen Bauten zu beteiligen. In dieser Mitwirkung, auch aus anderen Quellen belegt, ist einer der Gründe für die außergewöhnliche Größe der Anlage zu suchen.

Wesentlicher Bestandteil des Pfalzbezirks ist neben der Königshalle die Pfalzkirche (Marienkirche). Diese ist der Kern des heutigen Domes. Als wesentliches Vorbild für sie diente San Vitale in Ravenna. Der spätantike Zentralbau wurde nach dem Formverständnis der frühmittelalterlichen Baumeister abgewandelt. Die Anknüpfung an spätantikes Kulturerbe macht die Pfalzkirche zu einem herausragenden Beispiel der karolingischen renovatio. Die Pfalzkirche besteht aus einem achteckigen, überkuppelten Raum und einem niedrigeren zweigeschossigen Umgang mit sechzehneckiger Umfassungsmauer. Ein Gesims trennt klar Ober- und Untergeschoß voneinander. Das Untergeschoß ist gegenüber dem Obergeschoß wuchtig und gedrungen, da die Rundbogenöffnungen nur halb so hoch sind wie im Obergeschoß.

Die Königshalle liegt auf der höchsten Stelle des Pfalzbezirks. Ihre Architektur steht in der Überlieferung römischer Bauten. Die Fundamente der Königshalle gingen in das im 14. Jahrhundert von der Bürgerschaft erbaute gotische Rathaus ein. Man kann ein Rechteck mit einer Länge von ca. 47 Metern und einer Breite von ca. 21 Metern annehmen. Die Aula diente zu repräsentativen Zwecken. Es wurden Versammlungen, Bankette und Empfänge abgehalten. Unsicher ist dagegen die Nutzung zu Reichsversammlungen.

Welche Bedeutung die Königshalle für das Reich der Karolinger hatte, wird in der historiographischen Einschätzung deutlich, nach der dieses Bauwerk vermochte, mit seinen »großen Ausmaßen wahrhaftig Mittelpunkt eines gewaltigen Reiches« zu sein. Das wird besonders klar, wenn man ein außerordentliches Gebäude wie die antike Palastaula in Trier zum Vergleich heranzieht.

Die Bedeutung der Pfalz konnte unter dem Sohn Karls des Großen, Ludwig dem Frommen, aufrechterhalten werden. Danach aber, vor allem bedingt durch andauernde Kriege unter den Erben, war der Niedergang der Residenz fast unvermeidbar. Von den Söhnen Ludwigs des Frommen (Karlmann, Ludwig der Deutsche und Karl der Dicke) sind nicht einmal die Krönungen in Aachen überliefert. Diese Entwicklung setzte sich fort. Die Teilung des Reiches marginalisierte die Lage Aachens. Konrad, der letzte Karolinger, erwählte seinen Gegner Heinrich von Sachsen zu seinem Nachfolger, weil er von ihm die Festigung der Reichseinheit erwartete. Dieser ließ sich ebenfalls nicht in Aachen krönen (Quedlinburg). Weder diverse Aufenthalte in der Pfalz noch die Einsetzung von Pfalzgrafen, die als oberste Stellvertreter des Kaisers bezüglich der richterlichen Gewalt fungierten und in Aachen residierten, änderten etwas am Rangverlust Aachens.

Die Zerstörungen, die ein Normanneneinfall im Jahre 881 angerichtet haben dürfte, werden wohl überschaubar gewesen sein. Otto I. (Lechfeld), Sohn Heinrichs I., intendierte, das Werk Karls des Großen wieder aufzugreifen und zu einer Einigung der wichtigen deutschen Stämme zu kommen. Er wollte die Einrichtung des Stammesherzogtums überwinden und ließ sich wieder in Aachen krönen. Bemerkenswert ist, daß auch in der Liturgie des Krönungsaktes Ottos Absicht der Restauration des karolingisch-germanischen Reiches zum Vorschein kommt.

Wenngleich Aachen noch manche Krönungsfeier erlebte, war diejenige Ottos eine der prunkvollsten. 1531 fand mit der Krönung Ferdinands I. die letzte Krönung zum römisch-deutschen König in Aachen statt. Die Geschichte der alten Königshalle, die stets neben der Marienkirche einen Mittelpunkt der Pfalz bildete, endete mit ihrem Abriß und einem Bau des Rathauses der Stadt Aachen an ihrer Stelle.

Literatur

  • Hans-Erich Kubach; Albert Verbeek: Romanische Baukunst an Rhein und Maas, Bd. 1, Berlin 1976, S. 1-13; Bd. 4, Berlin 1989, S. 21-29
  • Günther Binding: Die Aachener Pfalz Karls des Großen als archäologisch-baugeschichtliches Problem, in: Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 25/26 (1997/98), S. 63-85
  • Ludwig Falkenstein: Pfalz und vicus Aachen, in: Caspar Ehlers (Hrsg.): Orte der Herrschaft. Mittelalterliche Königspfalzen, Göttingen 2002, S.131-181
Der Artikel wurde von Felix Dirsch verfaßt.