Gedanken und Erinnerungen: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 12. Januar 2017, 21:54 Uhr
- Gedanken und Erinnerungen.
- Otto von Bismarck, 3 Bde., Stuttgart/Berlin: Cotta 1898–1919:
- 1. Gedanken und Erinnerungen (2 Bde., 1898);
- 2. Erinnerung und Gedanke (1 Bd., 1919).
Bereits 1877 hatte sich Bismarck gegenüber seinem Mitarbeiter Lothar Bucher erstmals über seine Absicht geäußert, Memoiren zu schreiben. Wirklich in Angriff genommen wurde das Vorhaben jedoch erst nach seinem Sturz im März 1890. In dem Vertrag, den Bismarck im Juli desselben Jahres mit dem Cotta-Verlag schloß, waren die Erinnerungen auf sechs Bände angelegt. An dem in der Folgezeit entstandenen Werk hat Lothar Bucher maßgeblichen Anteil. Er nahm Bismarcks Diktate auf, ordnete die zum Teil unsystematischen Ausführungen und ergänzte sie sachlich.
Bismarck war – sehr zum Mißfallen Buchers – nicht in erster Linie an einer möglichst objektiven Darstellung seines Wirkens und seiner Zeit gelegen, sondern vor allem daran, sein Bild für die Nachwelt zu formen und die Richtigkeit seiner politischen Konzeptionen herauszustellen. Für Mißlungenes schob er die Verantwortung anderen zu. Viele Passagen verdanken sich der nicht immer zuverlässigen Erinnerung Bismarcks, auch vor absichtlichen Entstellungen schreckte er nicht zurück. Die Memoiren schritten nur langsam voran; nach dem Tod Buchers im Oktober 1892 wurde das Werk nicht weiter fortgeschrieben.
Der Verleger drängte, Bismarck nahm Überarbeitungen vor, konnte sich jedoch nicht entschließen, den Text für die Veröffentlichung freizugeben. Ausschlaggebend dafür scheint vor allem seine scharfe Kritik an Wilhelm II. gewesen zu sein: Einerseits mißbilligte er dessen Politik, im persönlichen Bereich wirkten Tatsache und Umstände seiner »Entlassung« nach, andererseits kamen ihm prinzipielle Bedenken, daß er die Monarchie durch seine Veröffentlichung beschädigen könnte, zumal es 1894 zu einer »Versöhnung« zwischen dem Kaiser und Bismarck gekommen war. Schließlich bestand das Erinnerungswerk beim Tode Bismarcks am 30. Juli 1898 aus zwei unveröffentlichten, als Fahne bzw. handschriftliches Manuskript vorliegenden Bänden.
»Absolutismus der Krone ist ebenso wenig haltbar wie Absolutismus der parlamentarischen Majoritäten, das Erforderniß der Verständigung beider für jede Aenderung des gesetzlichen status quo ist ein gerechtes …«
Der erste Band erschien nach nochmaliger Überarbeitung durch Horst Kohl, unterstützt durch Herbert von Bismarck, dann jedoch bereits am 30. November 1898, aufgrund des Umfangs unterteilt in zwei Bände unter dem Titel Gedanken und Erinnerungen. Für den letzten, nunmehr dritten Band war vereinbart worden, ihn erst nach dem Tode Wilhelms II. erscheinen zu lassen. Nach der Abdankung des Kaisers sah der Verlag diese Vereinbarung als gegenstandslos an, so daß der verbleibende Band bereits kurz nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, gegen den Willen der Familie Bismarck, veröffentlicht wurde.
Schon zeitgenössische Historiker machten darauf aufmerksam, daß der Wert der »Gedanken« in Bismarcks Memoirenwerk denjenigen der stets mit anderweitiger Überlieferung abzugleichenden »Erinnerungen « weit übersteigt. Das für Bismarck stets handlungsleitende Diktum fert unda nec regitur wird zwar in den Gedanken und Erinnerungen nicht ausdrücklich zitiert, kommt aber bei Darstellung und Kommentierung der Vorgänge deutlich zum Ausdruck.
Bismarck setzt mit der Schilderung seiner Erinnerungen 1832, dem Jahr seines Schulabgangs, ein. Im ersten Kapitel sind die persönlichen Ansichten und Prägungen vergleichsweise dicht erzählt. DieBismarck setzt mit der Schilderung seiner Erinnerungen 1832, dem Jahr seines Schulabgangs, ein. Im ersten Kapitel sind die persönlichen Ansichten und Prägungen vergleichsweise dicht erzählt. Dieses Kapitel stellt den Werdegang bis zum Wirken Bismarcks im Vereinigten Landtag 1847 dar. Anhand des Lebenswegs Bismarcks nehmen die Memoiren im Zusammenhang mit der Betrachtung von einzelnen Personen, etwa Wilhelms I., bald mehr und mehr die Einigungs- und Außenpolitik in den Blick; die Kapitel des dritten und letzten Bandes reichen schließlich über die Darstellung Wilhelms II. bis hin zum Wirken von Bismarcks Nachfolger Leo von Caprivi.
Von einer vollständigen Erfassung der Epoche ist das Werk weit entfernt, zudem enthält es zahlreiche Sprünge. Klar tritt zutage, daß es Bismarck um das Beharren auf seiner außenpolitischen Linie geht, etwa wenn er immer wieder auf die Bedeutung Rußlands hinweist. Innenpolitisch stellt er neben anderem den Kulturkampf dar und unterstreicht, daß es gerade für den protestantischen Staat keinen dauerhaften Frieden mit der katholischen Kirche geben könne, da es sich um zwei unabhängige Mächte handle. Auffällig ist das Schweigen Bismarcks zu den Aspekten (und damit seinen Leistungen) der Wirtschafts- und der Sozialpolitik. Auch dies zeigt, wie stark seine Arbeit an den Memoiren von dem Gedanken geleitet war, das von ihm geschaffene außenpolitische System (und damit das seit den Einigungskriegen »saturierte « Deutschland) als unbedingt erhaltenswert zu verteidigen. Zu lesen sind die Gedanken und Erinnerungen aber auch als »Diplomatenspiegel von großem Stile« (Erich Marcks).
Die Bedeutung von Programmen und Idealen von Gruppen oder Parteien schätzt Bismarck nicht allzu hoch ein. Selbst im Wissen um die Abhängigkeit von den Umständen zählt nach seinem Dafürhalten vor allem der einzelne, das Wirken der Persönlichkeit. So enthält das Werk eine Vielzahl von Personencharakteristiken – zwar meist prägnant, aber oft subjektivabschätzig. Auch hier sind die damit verbundenen allgemeineren Äußerungen von größerem Wert als das Urteil über die jeweilige Person.
Bismarcks Memoirenwerk war ein großer Erfolg. Ursprünglich hatten sich allein 43 Verlage um die Veröffentlichung bemüht. Als die ersten beiden Bände 1898 erschienen, waren innerhalb kürzester Zeit 300 000 Exemplare verkauft. Trotz des anhaltenden Interesses, welches mit der Publikation des dritten Bandes erneut angefacht wurde und ungeachtet der Vielzahl der vorliegenden Ausgaben, handelt es sich wohl um eines der gut verkauften, aber wenig gelesenen Werke, deren Titel dennoch geläufig sind.
Eine politische Theorie, die über mit konkreten Ereignissen verbundene Kommentare oder einzelne Handlungsmaximen hinausgeht, wird man den Gedanken und Erinnerungen nicht entnehmen können. Dagegen sprechen allein schon die Umstände der Entstehung des Werkes und seine offenkundige Intention. Für ein Gesamturteil über das politische Denken Bismarcks sind in jedem Falle seine anderen Schriften, die Vielzahl der Akten und Briefe, mit einzubeziehen. Ein abstraktes, widerspruchsfreies Denk- und Wertesystem wird sich jedoch auch hier nicht konstruieren lassen – dazu war Bismarck dem Gedanken der Nichtvorhersehbarkeit und der Realpolitik zu stark verpflichtet.
Ausgabe
- Mit einer Einführung von Hermann Proebst, München: Herbig 2007.
Literatur
- Manfred Hank: Kanzler ohne Amt. Fürst Bismarck nach seiner Entlassung 1890-1898, München 1980.
- Erich Marcks: Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen. Versuch einer kritischen Würdigung, Berlin 1899.
- Otto Pflanze: Bismarcks Gedanken und Erinnerungen, in: George Egerton (Hrsg.): Political Memoir. Essays on the Politics of Memory, London 1994.
Der Artikel wurde von Erik Lommatzsch verfaßt.