Der Faschismus in seiner Epoche: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 4. Januar 2017, 19:36 Uhr

Der Faschismus in seiner Epoche.
Ernst Nolte, München: Piper 1963.

Hinter dem nüchternen Titel der 1963 erschienenen umfangreichen Arbeit, mit welcher der seinerzeit noch unbekannte Ernst Nolte sich im darauffolgenden Jahr habilitierte, verbarg sich ein kühner Wurf, in dem bereits alle großen Leitmotive seines Lebenswerkes angestimmt werden. Die ideologiehistorische Perspektive wie die philosophische Problemstellung haben den Faschismus in seiner Epoche selbst zu einem epochalen Werk werden lassen.

Ein geschichtswissenschaftliches Novum stellte die Einführung des marxistisch kontaminierten Faschismuskonzepts dar, mit dem Nolte sich der seit den fünfziger Jahren vorherrschenden Totalitarismustheorie offensiv entgegenstellte. Mit Hilfe der typologischen Methode Max Webers entwickelt er gegen den gängigen »singularisierenden« Faschismusbegriff, welcher der Bewegung Mussolinis vorbehalten war, einen »generischen« Begriff des Faschismus, der auf einem »faschistischen Minimum« von Merkmalen basiert, die zahlreichen politischen Bewegungen im Zeitalter der Weltkriege gemeinsam waren. Seine europäische Perspektive erlaubt es Nolte, die tiefsten ideologiegeschichtlichen Ursprünge des Faschismus in der französischen Gegenrevolution aufzuspüren und so zugleich das negativ nationalistische Paradigma des deutschen Sonderweges für die Interpretation des Nationalsozialismus zurückzuweisen. Mit seiner Gesamtdarstellung der großen Hauptströmungen des Faschismus bietet Nolte ein grandioses Stück vergleichender Geschichtsbetrachtung: Die Action française, der italienische Faschismus und der Nationalsozialismus finden sich als »Frühfaschismus «, »Normalfaschismus« und »Radikalfaschismus« zu einer epochalen Trias zusammengestellt, als deren charakteristischstes Wesensmerkmal ein radikaler Antimarxismus hervorsticht.

Für die linke Prämisse der rechten Konsequenz steht schon Mussolini selbst ein, dessen marxistische Lehrjahre dialektisch in die Kindheitsjahre der faschistischen Bewegung übergingen und der noch als Duce eine feindliche Nähe zu Lenin empfand. Darüber hinaus sucht Nolte den für alle europäischen Faschismen konstitutiven Antimarxismus als späteste und radikalste Ausprägung jener gegenrevolutionären Geistestradition auszuweisen, die sich nach der Französischen Revolution herausgebildet hatte. Bereits Graf Gobineau stellte dem historischen Begriff der bürgerlichen »Klasse« den aristokratischen einer natürlichen »Rasse« entgegen, und Eduard Drumont parierte das linke Feindbild des »Kapitalisten« mit dem rechten des »Juden«. Die Geschichte dieses von selbstkritischem Liberalismus zu einem antiliberalen Konservatismus sich radikalisierenden Antimodernismus bildet die Vorgeschichte der Action française, deren geistiger Anführer Charles Maurras diese rassistischen und antisemitischen Strömungen in sich aufnahm und in frühfaschistische Bahnen lenkte. Maurras’ militantes Bekenntnis zu einer »konservativen Revolution« zeugt von einem verbitterten Widerstand der alten aristokratischen Lebensordnung gegen die modernen Fortschrittsideen des Liberalismus und Sozialismus, als deren historisches Urbild er den jüdischen Prophetismus mit seinem lebensfeindlichen Transzendenzpostulat attackierte.

»Faschismus ist Antimarxismus, der den Gegner durch die Ausbildung einer radikal entgegengesetzten und doch benachbarten Ideologie und die Anwendung von nahezu identischen und doch charakteristisch umgeprägten Methoden zu vernichten trachtet, stets aber im undurchbrechbaren Rahmen nationaler Selbstbehauptung und Autonomie.«

Hitler schließlich brachte die der gegenrevolutionären Ideologie Frankreichs entwundene antisemitische Rassenlehre als einen deutschen Gegenentwurf zur marxistischen Revolutionslehre in Stellung. Im Zuge der biologistischen Imitation des sozialistischen Feindes indessen sollte der Nationalsozialismus den Charakter eines rassenantisemitisch zugerüsteten »Bolscho- Nationalismus« annehmen, was eine ebenso paradoxe wie tragische Selbstaufgabe Deutschlands bedeutete, da »der schärfste deutsche Selbstbehauptungskampf gebunden war an eine geistige Kapitulation von nichts verschonender Radikalität «. Gleichwohl erteilt Nolte unter Einsatz seiner alle Befangenheiten ausklammernden phänomenologischen Methode der »Sache selbst« der nationalsozialistischen Ideologie das Wort, und sofern sie nur die letzten Konsequenzen aus der bestechenden Logik des gegenrevolutionären Denkens zog, imponiert Hitlers Weltanschauung als »ein Ideengebäude, dessen Folgerichtigkeit und Konsistenz den Atem verschlägt«.

Das tiefste Wesen des Faschismus erschließt sich jedoch nicht aus seinem rationalen Kern, sondern vielmehr aus seinem irrationalen Überschuß. Es ist die epochale Angst vor den revolutionären Umwälzungen der Moderne, die Nolte als »Quelle des Faschismus« ausmacht und die zumal für den deutschen Radikalfaschismus zum »allbeherrschenden Untergrund« werden sollte, nachdem sich Hitlers partikulare Angst vor dem Untergang des Deutschtums zu einer universellen vor der Verwüstung des Planeten durch den Marxismus ausgeweitet hatte. Das Umschlagen dieser Angst in Haß trieb den ideologischen Wahn zu irrationaler Gewaltsamkeit und ließ hinter dem »binnenpolitischen« Antimarxismus des Faschismus dessen »radikal politische «, das »Urwesen der Politik« selbst bloßlegende Bestimmung zum »Todeskampf der souveränen, kriegerischen, in sich antagonistischen Gruppe« hervorbrechen. Dieser partikularistische Rassenkampf der vorgeschichtlichen »Natur« des Menschen richtete sich schließlich gegen dessen exemplarisch vom Judentum verkörperte »widernatürliche« Geschichtsmächtigkeit und universalistische Weltoffenheit überhaupt. Derart offenbarte der Radikalfaschismus sein »transpolitisches « Wesen als verwilderter und vernichtungsbereiter »Widerstand gegen die Transzendenz«. Konsequent liegt für Nolte die Einzigartigkeit von Auschwitz darin beschlossen, daß die Juden, »die als Bazillen vertilgt wurden, nicht als unglückliche Objekte eines widerwärtigen Verbrechens starben, sondern als Stellvertreter bei dem verzweifeltsten Angriff, der je gegen das menschliche Wesen und die Transzendenz in ihm geführt wurde«.

Mit seinem existenzphilosophischen Begriff der »Transzendenz« sucht Nolte die in theoretischer Aufklärung wie im praktischen Fortschritt sich vollziehende »Selbstüberschreitung« des Menschen zu umreißen und derart nicht weniger als die conditio humana selbst als letztes radikalfaschistisches Vernichtungsziel freizulegen. Dieser Interpretation Noltes steht Nietzsche Pate, der das Schicksal des europäischen Nihilismus am radikalsten vorausgedacht hat, der aber aufgrund seiner apolitischen Radikalität gerade nicht als politischer Vorläufer firmiert, sondern vielmehr als »das spirituelle Zentrum, auf das hin aller Faschismus gravitieren muß«.

Die Wirkungsgeschichte des Nolteschen Hauptwerkes ist vielfältig: Die Einführung eines allgemeinen Faschismusbegriffs bereitete der vergleichenden Faschismusforschung den Weg, welcher Nolte selbst mit Die faschistischen Bewegungen (1966) einen gültigen Maßstab setzte. Zugleich schien Noltes Konzept dem neomarxistischen Antifaschismus zuzuarbeiten, was in der konservativen Geschichtswissenschaft ebenso für Irritation sorgte wie sein emphatischer Versuch, den Nationalsozialismus von Auschwitz her zu deuten. Angesichts der geschichtspolitischen Bedeutung des überaus erfolgreichen Werkes ist dessen phänomenologisch- philosophischer Horizont weithin unerschlossen geblieben.

Ausgabe

  • Taschenbuchausgabe mit einem »Rückblick nach fünfunddreißig Jahren«, München: Piper 2000.

Literatur

  • Siegfried Gerlich: Ernst Nolte. Portrait eines Geschichtsdenkers, Schnellroda 2009.
  • Volker Kronenberg: Ernst Nolte und das totalitäre Zeitalter. Versuch einer Verständigung, Bonn 1999.
Der Artikel wurde von Siegfried Gerlich verfaßt.