Also sprach Zarathustra: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 21. September 2016, 19:18 Uhr
- Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen,
- Friedrich Nietzsche, Chemnitz: Schmeitzner 1883 (1. und 2. Teil); Chemnitz: Schmeitzner 1884 (3. Teil); Leipzig: C.G. Naumann 1885 (4. Teil).
In Also sprach Zarathustra stellt sich der Dichter, ja der Musiker in Nietzsche über den Philosophen. Und das hat durchaus Methode. Denn Nietzsches Denken ist das Denken des tief inspirierten Künstlers, der nach immer neuen Formen des Ausdrucks sucht. Und das, was Nietzsche im Zarathustra zu sagen hat, verlangt, weil es sich rein theoretisch kaum fassen läßt, nach einem hohen Ton, verlangt nach Pathos. Es verlangt nach einem eigenen, innovativen Stil, wie er in Anlehnung an die Bibelsprache Luthers auch tatsächlich erreicht wurde. Das Buch ist keine Philosophie im klassischen Sinne, sondern philosophische Dichtung. Und als eben solche will es gelesen werden.
Daraus erklären sich die ungewöhnliche Form des Werkes und die Rolle des Propheten, der dort spricht. Es sind Nietzsches große spekulative Entwürfe und Leitideen, in die »Reden« Zarathustras gekleidet: die »Lehre« von der »ewigen Wiederkehr des Gleichen«, von der »Umwertung aller Werte«, vom »Willen zur Macht«, und die vom »Übermenschen«. Alles zusammen verstanden als »die höchste Formel der Bejahung, die überhaupt erreicht werden kann«. Nietzsche nannte den Text die »Vorhalle« seiner Philosophie, durch die man treten müsse, um Zugang zu den anderen Werken zu finden.
»Nicht, woher ihr kommt, mache euch fürderhin eure Ehre, sondern wohin ihr geht! Euer Wille und euer Fuß, der über euch selbst hinaus will, – das mache eure neue Ehre!«
Zugleich ist der Zarathustra ein Buch der »azurnen Einsamkeit«, der schicksalhaften Distanz, die den nach »höheren Menschen« suchenden vom kleinen, gewöhnlichen, vom »letzten Menschen« der willenlosen Herde trennt. Folglich ist es ein Buch des Ekels und der Aversion gegen den konkreten Menschen angesichts der Wirklichkeit, die er darstellt: »Der Mensch ist etwas, was überwunden werden will.« Alfred Bäumler hat deshalb vom Zarathustra als dem »Grundbuch der heroischen Humanität« gesprochen. In der Tat läßt sich auf jeder Seite das große »Trotzdem« vernehmen, das bald über das Mittel der Polemik, bald über das der Ironie, bald über das meditativer Lyrik eine ganz eigene Humanität beschwört, deren Heroismus eben darin besteht, daß zu ihrer Durchsetzung der Mensch buchstäblich über sich hinauswachsen müßte, ihre ethischen Forderungen sich also an ein erst noch zu erwartendes Geschlecht richten. Dessen ist sich Zarathustra durchaus bewußt, weshalb bei allem, was er sagt, ein gewisser Zynismus mitschwingt.
Laut Nietzsche ist es vor allem die christliche Gleichheits- und Mitleidsmoral gewesen, die den Menschen die Instinktsicherheit in ethischen Fragen geraubt und zu einer Schwächung des Lebens geführt hat. Deshalb fordert Nietzsche eine »Umwertung« aller bestehenden Werte, was bedeutet, daß die Moral der »Starken« und »Gesunden«, die von den »Schwachen« und »Kranken« für »böse« erklärt worden war, wieder umgekehrt als das »Gute« anerkannt werden soll. Zugleich plädiert er für eine »Liebe zum Schicksal«, wonach der Mensch das Leben als solches, d.h., mit allen seinen Widrigkeiten auf sich nehmen soll. Nur wer die »ewige Wiederkehr«, also auch die des selbst erfahrenen Schmerzes, bedingungslos akzeptiert, hat das Zeug zum »Übermenschen«. Folglich ist der »Übermensch« kein biologisches Zuchtexemplar mit besonderen (körperlichen) Qualitäten, sondern ein Mensch, der nicht daran verzweifelt, sich auf keine höhere Instanz wie Gott mehr berufen zu können: Sein eigener Wille genügt ihm, um selber die Welt mit Sinn zu erfüllen.
Der Name Zarathustra leitet sich von dem persischen Religionsstifter ab, der als erster dem Prinzip des Lebens den Dualis- mus von »gut« und »böse« zugrunde gelegt haben soll - weshalb er bei Nietzsche auch der erste sein muß, der mit dieser Katego-risierung gründlich bricht.
Nietzsche läßt seinen Zarathustra aus der Einsamkeit der Berge mehrmals zu den Menschen ins Tal hinabsteigen, um diesen seine Weisheiten zu lehren. Die Analogie zum Evangelium ist gewollt und evident. Nur predigt Zarathustra eben keine »Hinterwelt« oder gar ein kommendes Strafgericht, sondern verlangt, daß jeder nur sich selber folgt. Auf diesem Weg wird sich entscheiden, ob jemand über sich hinaus will oder zur »großen Herde« zählt.
In seiner ironisch-verbitterten Bilanz Ecce homo (1888) sagt Nietzsche über den Zarathustra, er habe »mit ihm der Menschheit das größte Geschenk gemacht, das ihr bisher gemacht worden ist. Dies Buch, mit einer Stimme über Jahrtausende hinweg, ist nicht nur das höchste Buch, das es giebt, das eigentliche Höhenluft-Buch – die ganze Thatsache Mensch liegt in ungeheurer Ferne unter ihm –, es ist auch das tiefste, das aus dem innersten Reichthum der Wahrheit heraus geborene«. Nachdem der Text zunächst quasi unbeachtet blieb, ging von ihm in der ersten Rezeptionsphase Nietzsches um 1900 eine kaum zu ermessende Wirkung aus. Durch die hohe Identifikationsbereitschaft, die der Zarathustra besonders unter den Vertretern des Symbolismus, Expressionismus, aber auch des frühen Existentialismus auslöste, avancierte er zum lebensphilosophischen Kultbuch für mehrere Generationen.
Ausgabe
- Sämtliche Werke (Kritische Studienausgabe), Bd. 4, München: dtv/de Gruyter 1980.
Literatur
- Karl Jaspers: Nietzsche. Einßhrung in das Verständnis seines Philosophierens, Berlin 1936; Gilles Deleuze: Nietzsche und die Philosophie, Hamburg 2002.
Der Artikel wurde von Frank Lisson verfaßt.