Die Besiegten von 1945: Unterschied zwischen den Versionen

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:Hans-Joachim Arndt, Berlin: Duncker & Humblot 1978.
:[[Hans-Joachim Arndt]], Berlin: Duncker & Humblot 1978.


Das schon im Titel angedeutete Skandalon,
Das schon im Titel angedeutete Skandalon,

Aktuelle Version vom 10. Oktober 2017, 10:30 Uhr

Die Besiegten von 1945. Versuch einer Politologie für Deutsche samt Würdigung der Politikwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland,
Hans-Joachim Arndt, Berlin: Duncker & Humblot 1978.

Das schon im Titel angedeutete Skandalon, das Arndts systematisch-historische Analyse der westdeutschen Politikwissenschaften für die hegemonialen Fachvertreter bis heute bildet, findet man im Schlußteil seiner komplexen, statistisch untermauerten Studie, wo Arndt für die späten siebziger Jahre bilanziert: »Wofür sind Schicksal und Lage der deutschen Bevölkerung in der Bundesrepublik ›typisch‹? – Als eine der möglichen Antworten darauf versuchten wir zu entdecken: für die Lage als Besiegte von 1945. Das bedeutet etwas ganz anderes als etwa die Antwort: für die Lage als ›Befreite von 1945‹, nämlich als durch die (westlichen) Verfassungsstaaten Befreite. Eine analoge oder reziproke Interpretation als ›Befreite von 1945‹ gibt es im übrigen für die Bevölkerung der DDR.«

Diesen letzten Hinweis spitzte er in der bald nach der Veröffentlichung entbrannten Debatte über sein Buch deutlicher zu: Es sei für die deutsche Lage symptomatisch, daß die »Befreiung« eben »nach zwei disparaten Richtungen – eindeutig von den Siegermächten bestimmt oder zugelassen – hin erfolgte, samt prompt erfolgender Spaltung der Besiegten. Für ›Deutschland als Ganzes betreffende Fragen‹ « trügen »bekanntlich immer noch allein die Sieger-Befreier-Mächte von 1945 ›die Gesamtverantwortung‹ «. Angesichts dieser aktuellen Lage des historisch in wechselnden Staatsgebilden organisierten Kollektivs »der Deutschen«, so wandte Arndt damals gegen Verfassungspatrioten wie Dolf Sternberger ein, sei es nicht angemessen, »vom Grundgesetz der Bundesrepublik als der (womöglich noch ›besten‹) ›Verfassung der Deutschen‹ zu sprechen«. Damit werde die Lage grundlegend verkannt und verfehlt, und das mit letztlich verheerenden Folgen: »Diejenige(n) Politik(en) – und Politologie(n) –, welche Verfassung und Sozialstruktur (›Freiheit‹) den Vorrang vor Staatlichkeit und Nationalität (›Einheit‹) geben, haben Deutschland nicht ›integriert‹ «, wie ein Kontrahent eingewandt hatte, »sondern gerade gespalten«. Die Politikwissenschaft in Westdeutschland hat Arndt zufolge also sowohl als Instrument zur Erkenntnis der Lage wie auch als Beratungsinstitution für praktische Politik versagt, weil sie »keine Politologie für Deutsche war, auch meist nicht sein wollte«.

In Abgrenzung dazu versteht sich Arndts eigener Ansatz als »Politische Lageanalyse «: Deren Zweck und Ziel liegt darin, »Erkenntnis über relevante Lagen und Objekte« zu erlangen und bereitzustellen. Bezugsgröße ist dabei jeweils eine historisch bestimmbare und konkrete kollektive Einheit: Standpunkt und Perspektive der Wissenschaft sind hier notwendig, aber reflektiert auf einen Standort festgelegt. Arndts Ansatz ist dabei zwar nicht normfrei, richtet sich aber gegen einen ahistorischen und abstrakten Normativismus in der Politologie.

»»Deutschland« – was immer das jetzt sein mag – wird heute, 1977, nach wie vor vom 8. Mai 1945 zentral bestimmt, vom Tag der bedingungslosen Kapitulation, der totalen Niederlage nach einem totalen Krieg. Dies Kern-Ereignis bestimmt darüber hinaus auch die heutige Lage, mindestens, in Mitteleuropa, dafür haben die anderen Völker und deren Staatsmänner offenbar ein sichereres Gespür als die Deutschen und manche ihrer Staatsmänner.«

Auch die fachhistorische Herleitung seiner Diagnose wurde Arndt in ihrer Pointierung übelgenommen. Die Etablierungsphase der westdeutschen Politologie nach 1945 sah er geprägt durch »Politologen der Ersten Stunde«, die sich vor allem aus den Geburtsjahrgängen bis 1912 rekrutierten; bei ihnen konstatierte Arndt aus verschiedenen Gründen »nicht so sehr viel Praxisnähe «, eine Fixierung auf Systeme und das »Überwiegen von ortloser Theorie« (mit Carl Schmitt). Durch die zunehmende Besetzung von Lehrstühlen mit Geburtsjahrgängen ab etwa 1934 – ohne die existentiellen Erfahrungen der ersten Generation, die Arndt mit viel Verständnis behandelte – setzte in den sechziger Jahren, etwa gleichzeitig mit der sozialliberalen Koalition, eine zweite Phase der Fachentwicklung ein: Sie stellte um auf eine »Kritik am Etablierten «, die sodann in einer »etablierten Kritik« resultierte. In den siebziger Jahren dominierte folglich eine »marxoide« oder erklärt marxistische »Kritische Politikwissenschaft «, zumindest »in der Wirkung gegenüber Studenten und der breiten Öffentlichkeit «. Auf diese Weise setzten sich in der BRD normative Ansätze und Fragestellungen fest, die besten Gewissens stets »auf den ›Menschen überhaupt‹, auf ›alle‹« als vage Basis und Ausrichtungsgröße rekurrierten. Damit verweigerte sich die westdeutsche Politikwissenschaft weitenteils der Wahrnehmung jener Koordinaten, die ihre eigenen Fragestellungen bedingten und sich eben – bis heute – aus dem Faktum der staatlichen Niederlage von 1945 erklären.

Drastisch bestätigt wurde Arndts Diagnose 1989: Folge jener Lagevergessenheit und eines nunmehr evidenten historischen Versagens der westdeutschen Politikwissenschaft war die totale Rat- und Konzeptionslosigkeit ihrer Fachvertreter ebenso wie die der Politik, als schließlich die deutsche Wiedervereinigung im kollabierenden sozialistischen Block vom Volk auf die Tagesordnung gesetzt und dann durch die Siegermächte zugelassen wurde.

Sucht man in einer neueren Geschichte der Politikwissenschaft in Deutschland nach Hans-Joachim Arndt, so findet man ihn mit seinem Hauptwerk Die Besiegten von 1945 immerhin als problematischen fachgeschichtlichen Vorläufer gewürdigt: Er habe zwar das »Generationenkonzept als erster auf die Nachkriegsgeschichte der Politikwissenschaft angewandt, aber auf fragwürdige Weise mit einem politischen Lagerkonzept verbunden«. Der »deutschnational inspirierten Kampfschrift von Hans-Joachim Arndt« sei eine »rechtsnationalistische Position« eingeschrieben, urteilt hier der 1940 geborene, seit seiner Emeritierung in Nordamerika lebende Wilhelm Bleek – womit er selbst die Befunde und die fortdauernde Gültigkeit von Arndts schon 1978 fachhistorisch fundierten »scharfe[n] Kritik des Faches« beispielhaft illustriert, zumal er seine Fachgeschichte den eigenen akademischen Lehrern Ernst Fraenkel, Karl Dietrich Bracher, Gerhard A. Ritter und Kurt Sontheimer widmete und so auch die von Arndt analysierte Genealogie des Fachs belegt.

Literatur

  • Hans-Joachim Arndt: Die Deutschen: besiegt oder befreit, – oder beides? Zu den Auseinandersetzungen um eine Fundamentalkritik der westdeutschen Politologie, in: Politische Vierteljahresschrift 21 (1980), Nr. 3.
  • Volker Beismann/Markus Josef Klein (Hrsg.): Politische Lageanalyse. Festschrift für Hans-Joachim Arndt zum 70. Geburtstag am 15. Januar 1993, Limburg/Lahn 1993.
  • Wilhelm Bleek: Geschichte der Politikwissenschaft in Deutschland, München 2001.
Der Artikel wurde von Adolph Przybyszewski verfaßt.