Tradition: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 21. September 2016, 19:18 Uhr
Tradition ist schon dem Wortsinn nach die »Überlieferung«, also die Menge dessen, was von den Vorfahren auf uns kommt. Traditionsbildung ist dabei etwas spezifisch Menschliches, da das Tier die Weitergabe des einmal Gewußten nicht sicherzustellen vermag. Die Sprache beziehungsweise deren Aufzeichnung durch Bild und Schrift sind entscheidende Grundlagen der Tradition Gemeinschaften, die unfähig waren, Tradition zu schaffen und zu erhalten, sind in der Menschheitsgeschichte regelmäßig ausgelöscht worden, das Festhalten der radition mußte schon deshalb als elementare Klugheitsregel gelten. Typisch ist der römische Bezug auf den mos maiorum – die »Sitte der Alten« – als entscheidendes Argument in jeder Debatte um das Wohl des Staates.
»Ein Staat … ist nicht bloß eine Gemeinschaft in Dingen, deren die grobe tierische Existenz des vergänglichen Teils unseres Wesens bedarf, er ist eine Gemeinschaft in allem was wissenswürdig, in allem was schön, in allem was schätzbar und gut und göttlich im Menschen ist. Da die Zwecke einer solchen Verbindung nicht in einer Generation zu erreichen sind, so wird daraus eine Gemeinschaft zwischen denen, welche leben, denen, welche gelebt haben, und denen, welche noch leben sollen.«
Dieser Zusammenhang galt bis zum Beginn der Moderne unbestritten. Erst dann stellte der »Fortschritt« den Wert der Tradition grundsätzlich in Frage. Dabei ging es nicht nur um Zweifel an einzelnen Überlieferungsbeständen, sondern um das »Recht auf Vergangenheit« (Gustav Hillard), das heißt um die Infragestellung von Tradition zwecks Legitimation der Wertsetzungen oder Einrichtungen und deren Unterwerfung unter einen rationalen Begründungszwang.
Ganz erfolgreich war dieser Vorstoß aber nicht, denn es erwies sich die Lebensfremdheit einer prinzipiellen Traditionsfeindschaft, die die »Begründungskapazität« (Odo Marquard) des Menschen als Individuum wie als Glied einer sozialen Einheit überschätzt. Die Kürze unseres Lebens und die Unübersichtlichkeit des gesellschaftlichen Gefüges machen es unmöglich, alles in Frage zu stellen, nur weil es qua Tradition Geltung beansprucht.
»Das Abreißen der Tradition. Es wird dadurch bewirkt, daß ein kritischer Punkt erreicht ist, an dem es der jüngeren Generation nicht mehr gelingt, sich mit der älteren kulturell zu verständigen, geschweige denn zu identifizieren. Sie behandelt diese daher wie eine fremde ethnische Gruppe und begegnet ihr mit nationalem Haß. Die Gründe für diese Identifikations-Störung liegen vor allem in mangelndem Kontakt zwischen Eltern und Kindern, was schon im Säuglingsalter pathologische Folgen zeitigt.«
Was aber noch schwerer wiegt, ist die Unfähigkeit zu schöpferischen Handlungen ohne Bezug auf die Tradition Das gilt vor allem für den politischen| und den religiösen Bereich. Die Erfahrungen, die auf diesen Gebieten mit radikalen Traditionsabbrüchen gemacht wurden, sprechen gegen solche Experimente. Hier wie dort geht es immer um ein Anknüpfen an die Überlieferung.
Damit ist allerdings keine Geltung von Tradition per se verteidigt, die es auch in der Vergangenheit nicht gegeben hat. Jede Tradition entstand durch Auswahl dessen, was tradiert werden sollte. Insofern bleibt eine Grenze zu ziehen, nicht nur gegenüber den Neuerungssüchtigen, sondern auch gegenüber einem »objektiven« Traditionalismus, der entweder rein formal alles bewahren will oder einen bestimmten Zustand ohne Wenn und Aber für maßgeblich und »ewig« erklärt, so daß die Berufung auf die Tradition jede Erwägung über notwendige Veränderungen im Strom der Geschichte überflüssig macht. Letztlich hat es jede Traditionsbildung mit einer Entscheidung darüber zu tun, was der Erhaltung wert ist, weil es dauern sollte, und was diese Anstrengung nicht lohnt, weil es ohne dauernden Wert ist.
Literatur
- Edmund Burke: Betrachtungen über die Revolution in Frankreich [1790], zuletzt Zürich 1987
- Marcel de Corte: Das Ende einer Kultur [1949], München 1957
- Gustav Hillard: Recht auf Vergangenheit [1966], zuletzt Hamburg 1970
- Thomas Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen [1918], zuletzt Frankfurt a.M. 2001
- Leopold Ziegler: Überlieferung [1936], zuletzt München 1949