Leuthen: Unterschied zwischen den Versionen
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* ''Die Kriege Friedrichs des Großen'', Teil 3: ''Der Siebenjährige Krieg'', Bd. 6: ''Leuthen'', hrsg. v. Großen Generalstab, Berlin 1904. | * ''Die Kriege Friedrichs des Großen'', Teil 3: ''Der Siebenjährige Krieg'', Bd. 6: ''Leuthen'', hrsg. v. Großen Generalstab, Berlin 1904. | ||
* Bernhard Kroener: ''Die Geburt eines Mythos – die »schiefe Schlachtordnung« Leuthen, 5. Dezember 1750''7, in: Stig Förster/ | * Bernhard Kroener: ''Die Geburt eines Mythos – die »schiefe Schlachtordnung« Leuthen, 5. Dezember 1750''7, in: Stig Förster/Markus Pöhlmann/Dierk Walter: ''Schlachten der Weltgeschichte'', München 2001, S. 169–183. | ||
Markus Pöhlmann/Dierk Walter: ''Schlachten der Weltgeschichte'', München 2001, S. 169–183. | |||
* Johannes Kunisch: ''Friedrich der Große. Der König und seine Zeit'', München 2005. | * Johannes Kunisch: ''Friedrich der Große. Der König und seine Zeit'', München 2005. | ||
Aktuelle Version vom 25. Oktober 2016, 21:16 Uhr
- (poln. Lutynia) Niederschlesien, 20 km westlich von Breslau
Die Ortschaft Leuthen liegt abseits der Straße von Breslau nach Liegnitz. Heute gruppieren sich die Häuser des Örtchens um die von einer starken Mauer umschlossene, geradezu befestigte, Kirche, die 1757 eher frei stand. Im Umgriff des Kirchhofs erinnern heute Tafeln in deutscher und polnischer Sprache an jenes Geschehen vom 5. Dezember 1757: die Schlacht bei Leuthen. In dieser schlug Friedrich (➞ Oderbruch, Potsdam), der preußische roi connétable, die doppelt so starke österreichische Armee unter dem Kommando des Prinzen Karl von Lothringen, dem Schwager Maria Theresias, dem wohlweislich mit Feldmarschall Daun ein Berufssoldat zur Seite gestellt war. Doch waren beide in ihren Entschlüssen nicht so frei wie der König, der als sein eigener Kronfeldherr niemandem über sein Handeln Rechenschaft schuldete, während andere militärische Führer stets verpflichtet blieben, etwaige Niederlagen zu verantworten. Wie bekannt, ging gerade Friedrich mit erfolglosen Generalen wenig zimperlich um, das Beispiel seines 1757 in Ungnade gefallenen Bruders, August Wilhelm, steht hier vor Augen.
So konnte es nur Friedrich wagen, mit gerade 30 000 Mann den 60 000 Österreichern gegenüberzutreten. Sollte man es für übermütig halten, daß Friedrich aus solch numerischer Unterlegenheit heraus die Schlacht wagte? Was auf den ersten Blick tollkühn erscheint, relativiert der zweite: Denn nur einen Monat zuvor, am 5. November, hatte Friedrich bei Roßbach in Sachsen Franzosen und Reichsarmee in noch größerer Übermacht nachhaltig geschlagen, so nachhaltig, daß Frankreich als aktiver Gegner aus dem Siebenjährigen Kriege de facto ausschied. Der Nachhall der Niederlage von Roßbach wirkte in Frankreich dergestalt, daß die französische Öffentlichkeit den Sieg von Jena und Auerstedt (1806) allgemein als die berechtigte und ersehnte Revanche für Roßbach betrachtete.
Friedrich eröffnete im Jahre 1756 präventiv den Krieg gegen eine überlegene Koalition halb Europas mit dem Angriff auf Sachsen und griff im Jahre 1757 die Österreicher in Böhmen an. Doch mit der Niederlage von Kolin verlor er das Gesetz des Handelns, und den Nimbus des ewigen Siegers. Friedrichs Verluste des Jahres 1757 waren enorm, vor allem betrafen sie den Bestand vorzüglich ausgebildeter und bewährter Führer, wie des Generals Hans von Winterfeldt. Schon spät im Jahr ergriff er noch einmal die Initiative. Auf der »inneren Linie« fechtend, schlug er zuerst die Franzosen, dann bot er den Kaiserlichen in Schlesien die Stirn, die sich u. a. Breslaus und anderer wichtiger Oderfestungen bemächtigt hatten.
Am Vorabend der Schlacht versammelte Friedrich seine Generale und Stabsoffiziere in der Nähe der Ortschaft Parchwitz, wo er sie alle »beim Portépée« packte und in rhetorisch-psychologisch brillanter Weise auf die kommende Schlacht einschwor, daß keiner gewagt hätte, von der Fahne zu gehen. Noch heute können wir die Szene in Adolph von Menzels unfertigem Gemälde in der Nationalgalerie in Berlin bewundern – wenngleich der König in der Bildmitte nur unvollendet zu sehen ist. Am nächsten Morgen in der Früh um vier Uhr brach die preußische Armee auf, um sich – im gut erkundeten und bekannten Gelände – mit den Österreichern zu messen. Das folgende Geschehen ist vielfach beschrieben und soll hier nur kursorisch referiert werden. Karls ordre de bataille erstreckte sich rückwärts der Ortschaft Leuthen, die ungefähr die Mitte ihrer Stellung bildete, in zwei Treffen auf einer Länge von ca. neun Kilometern in nord-südlicher Richtung. Statt aber, nach dem zeitgenössischen Stand der Kriegskunst, frontal anzugreifen, was sich mit unterlegenen Kräften ohnehin verbot, vollzog Friedrich vielmehr ein komplexes und zeitaufwendiges Schwenkungsmanöver um die österreichische Stellung herum, an dessen Ende der linke Flügel der Kaiserlichen schutzlos vor der gestaffelt, das heißt »schief« deployierten preußischen Armee lag. Dieses Manöver zuzulassen, ohne die schwächeren und damit in der Bewegung höchst verwundbaren Preußen anzugreifen, war der entscheidende Fehler Karls und Dauns an diesem Tage.
Damit konnte Friedrich die Österreicher mit all seinen Truppen in deren tiefer linker Flanke fassen, hatte aber vor allem die numerische Überlegenheit Karls neutralisiert, denn diesem war es unmöglich, seine Armee hinreichend schnell umzugruppieren. Sodann rollte Friedrich in dieser – nachmals berühmten, aber schon seit Leuktra (371 v. Chr.) bekannten – Bewegung die Stellung der Österreicher auf und fegte sie vom Schlachtfeld. Indes hatten die Österreicher zwischenzeitlich wieder Front machen können und hielten sich insbesondere im blutig umkämpften Kirchhof von Leuthen, wo das Reichsregiment Rot-Würzburg gegen das II. Garde- Bataillon Ehre für die so oft geschmähte Reichsarmee einlegte. Doch die Würfel waren gefallen. Als der Tag sank, hatte Friedrich nicht nur eine Schlacht gewonnen, sondern einen Mythos geschaffen: jenen von der »schiefen Schlachtordnung« und der durch diese bewirkten punktuellen Überlegenheit des Schwächeren.
Daß ihm dieses Meisterstück der Manöverkunst nie wieder in gleicher Perfektion gelang, schmälert die Leistung nicht. Doch zeigt Friedrichs Beharren auf dieser Form der Gefechtsführung bereits eine gewisse doktrinäre Starrheit, die ihm nicht zuletzt die verheerende Niederlage von Kunersdorf (1759) eintrug. Obgleich die erschöpften preußischen Truppen zur Verfolgung außerstande waren, darf Leuthen dennoch als überragender Sieg gelten, der dem König den Besitz Schlesiens und seiner Winterquartiere wie auch die Herrschaft über die Oder als wesentliche Verbindungsund Versorgungslinie sicherte. Zum Rang einer Entscheidungsschlacht aber brachte es Leuthen nicht, mag auch die spätere Verklärung zu der Annahme verleiten. Unter den Toten und Sterbenden im blutgetränkten Schnee stimmten die Preußen auf der Walstatt den Choral »Nun danket alle Gott« an, der damit späterhin zu einer Art demütiger preußischer Siegeshymne avancierte.
Ähnlich wie Hannibals Sieg bei Cannae (216 v. Chr.) mit der doppelten Überflügelung – sprich: Einschließung – des Gegners zu einer immer wieder idealisierten Figur militärischen Planens und Operierens geriet, so auch Friedrichs »schiefe Schlachtordnung«. Der Friedrich-Kult, den nicht zuletzt der Sieg von Leuthen entfachte, fand neben zahlreichen literarischen Hervorbringungen einen besonderen Niederschlag in den Fridericus-Filmen der zwanziger bis vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts, die Hingabe und Aufopferungsbereitschaft der Truppe und die beharrliche Siegeszuversicht des Königs verherrlichten. Damit ist Leuthen nicht nur ein Ort auf der Landkarte, sondern zu einem besonderen Topos im Koordinatensystem der preußisch-deutschen Militärgeschichte bestimmt.
Einzuordnen ist der Sieg von Leuthen – mit seinen auch für das 18. Jahrhundert hohen Verlusten auf beiden Seiten – wie folgt: Mit Friedrich führte bei Leuthen die beherrschende Feldherrngestalt der Epoche, deren Strahlkraft zwar vom Prinzen Eugen und danach von Napoleon (➞ Waterloo) erreicht wurde, dem aber zu seiner Zeit kein kongenialer Gegner erwachsen war. Auf eine exzellente Truppe gestützt, die dem Feldherrn überhaupt derart anspruchsvolle Manöver erlaubte, zeigt Leuthen, was ein überragender militärischer Geist gegenüber der größeren Zahl zu leisten vermag. Zwar verlieh der Sieg von Leuthen Friedrich und seiner Armee eine unerhörte Gloriole, doch führte dies in der ferneren preußisch-deutschen Militärgeschichte zu der fehlgeleiteten Vorstellung, daß der Wille des militärischen Führers alle Widerstände zu überwinden vermöge. Nicht von ungefähr kommen daher die Rekurse auf Leuthen und das Mirakel des Hauses Brandenburg im Siebenjährigen Krieg in den Jahren 1944/45.
Literatur
- Die Kriege Friedrichs des Großen, Teil 3: Der Siebenjährige Krieg, Bd. 6: Leuthen, hrsg. v. Großen Generalstab, Berlin 1904.
- Bernhard Kroener: Die Geburt eines Mythos – die »schiefe Schlachtordnung« Leuthen, 5. Dezember 17507, in: Stig Förster/Markus Pöhlmann/Dierk Walter: Schlachten der Weltgeschichte, München 2001, S. 169–183.
- Johannes Kunisch: Friedrich der Große. Der König und seine Zeit, München 2005.
Der Artikel wurde von Dirk Reitz verfaßt.