Nation: Unterschied zwischen den Versionen
Admin (Diskussion | Beiträge) Keine Bearbeitungszusammenfassung |
Admin (Diskussion | Beiträge) K (1 Version importiert) |
(kein Unterschied)
|
Aktuelle Version vom 21. September 2016, 19:18 Uhr
Nation wird vom lateinischen nasci, das heißt »geboren werden«, abgeleitet. Dementsprechend verstand man unter Nation traditionell eine Herkunftsgemeinschaft. Im Mittelalter deutete sich zum ersten Mal eine politische Auffassung der Nation an, als bei Konzilien oder an Universitäten die Gruppen nach nationes unterschieden wurden. Es kam gelegentlich zur Annäherung an das moderne Verständnis von Nation, aber sehr oft war das Ordnungsschema ein sehr grobes. Das besagt natürlich nichts dagegen, daß es auch im Mittelalter (und ausnahmsweise in der Antike) etwas wie ein Nationalbewußtsein gab; die Zahl entsprechender Belege ist groß und widerspricht der verbreiteten Annahme, daß die Nation ein Produkt der Neuzeit ist.
»Eine Nation ist nicht die einfache Addition der Einzelnen, aus denen sie zusammengesetzt ist; das ist eine Seele, ein Bewußtsein, eine Person, eine lebende Resultante. Diese Seele kann in einer sehr kleinen Zahl von Menschen lebendig sein …«
Zugegeben sei aber, daß das Nationalbewußtsein erst seit dem 18. Jahrhundert massenhaft werden konnte und die Nation deshalb erst in der Folgezeit zur ausschlaggebenden politischen Ordnungsgröße aufstieg. Das hatte wesentlich mit der Französischen Revolution zu tun, die den Nationalismus als entscheidendes Mittel zur Integration der Massen entdeckte. Aufgrund der weit zurückreichenden Tradition französischer Staatlichkeit lag es nahe, die Nation mit dem Staat und Zugehörigkeit zur Nation und Staatsbürgerschaft zu identifizieren.
Insofern kann man die in Frankreich zuerst durchgesetzte Auffassung des Begriffs Nation nicht sinnvoll als »subjektive« bezeichnen. Zwar hat es immer wieder Aufnahmen von Fremden in die französische Nation gegeben, die wegen ihres Bekenntnisses zu dieser Schicksalsgemeinschaft akzeptiert wurden, aber die berühmte Formel Ernest Renans – »Die Nation ist ein tägliches Plebiszit« – bezog sich immer darauf, daß die Abstimmung der vielen im Sinne ihrer Zugehörigkeit zur Nation nur sinnvoll war, weil sie über etwas Bekanntes – nämlich das historisch und aktuell-politisch faßbare Frankreich – erfolgte.
Die Idee, daß das französische oder westliche Verständnis von Nation dem Prinzip der Freiwilligkeit und individuellen Entscheidung folge, ist auch deshalb abzulehnen, weil so die massiven – teilweise gewaltsamen – Assimilierungsversuche gegenüber nationalen Minoritäten (den Bretonen, Elsässern, Korsen etwa) nicht erklärbar sind. Tatsächlich ist das Konzept in erster Linie etatistisch. Dem Akzent auf der Staatlichkeit steht das deutsche Verständnis von Nation entgegen, das gemeinhin als »völkisch« bezeichnet wird, weil hier die Nation als das zu seinem politischen Selbstbewußtsein gelangte Volk, das heißt eine Herkunfts- und Kulturgemeinschaft, betrachtet wird. »Objektiv« ist diese Zuordnung insofern, als die Deutschen bis ins 19. Jahrhundert keinen Nationalstaat hatten, aber trotzdem auf sie als Nation Bezug genommen werden konnte. Erst nach der Gründung des Bismarckreiches näherte man sich der westlichen Auffassung an, hielt allerdings an der Betonung des Abstammungsprinzips fest.
»Um im politischen Entscheidungsfall tatsächlich die Geschehenseinheit, die soziale Mobilisierungsgrenze darzustellen, muß daher die nationale Verbindlichkeit einen Vorzugswert vor anderen Verbindlichkeiten besitzen. Die Orientierung an ihr muß andere Orientierungsweisen überwiegen. Die Geschichte der modernen Nation kann daher aufgefaßt werden als die Ausbildung eben dieses Primats an sozialer Legitimität.«
Die deutsche Nationalstaatsbildung wird oft »verspätet« genannt, wenngleich man festzustellen hat, daß die meisten Nationalstaaten überhaupt erst im 20. Jahrhundert gegründet wurden. Es lassen sich dabei drei große Wellen unterscheiden: nach 1918, infolge des Zusammenbruchs der Vielvölkerstaaten Rußland, Österreich-Ungarn und Osmanisches Reich; nach 1945, infolge des Kollapses der kolonialen Imperien und nach 1989, infolge des Untergangs der Sowjetunion. Die universale Ausdehnung des nationalstaatlichen Musters kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Durchsetzung eines entsprechenden Konzepts außerhalb Europas oder der europäisch geprägten Gebiete kaum möglich war. Daran hat auch die modische Vorstellung von der »Konstruktion« einer Nation nichts geändert, denn für das Scheitern des nation building gibt es schwerwiegende Gründe, von denen die wichtigsten sind:
- fehlende Modernität und Nachwirken des »Tribalismus«,
- keine Teilhabe an der Aufklärung und dem Aufstieg des demokratischen Gedankens,
- Fremdheit gegenüber dem christlichen Prinzip der Brüderlichkeit und der abendländischen Tradition kultureller Sonderung.
Bereits vor dem Ersten Weltkrieg wurde der Nationalstaat totgesagt, und seitdem hat man mit Hinweis auf die Bedeutung supranationaler Zusammenschlüsse und globalisierter Wirtschaftszusammenhänge dessen vollständigen Bedeutungsverlust behauptet. Allerdings zeigen gerade große Krisen, daß die Nation weiterhin eine entscheidende politische Bezugsgröße und der Nationalstaat noch am ehesten in der Lage ist, gegenzusteuern.
Literatur
- Kurt Hübner: Das Nationale, Graz 1991.
- Michael Jeismann und Henning Ritter: Grenzfälle. Über neuen und alten Nationalismus, Leipzig 1993.
- Larlheinz Weißmann: Nation?, Bad Vilbel 2001.
- Bernard Willms: Die Deutsche Nation. Theorie – Lage – Zukunft, Köln-Lövenich 1982.
- Heinz O. Ziegler: Die moderne Nation, Tübingen 1931.