Der Untergang des Abendlandes: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 9. Oktober 2017, 14:22 Uhr
- Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte,
- Oswald Spengler: I. Band, Wien/Leipzig: Braumüller 1918; II. Band, München: C. H. Beck 1922; beide Bände (Endfasssung): ebd. 1923.
Spengler fragt in seinem epochemachenden Hauptwerk nach der »Logik der Geschichte «. Er will aufzeigen, daß »allem Historischen allgemeine biographische Urformen zugrunde« liegen. Das wiederum verlockt ihn zu dem Versuch, »Geschichte vorauszubestimmen«. Denn wenn sich Kulturen wie Organismen verhalten, sind sie in ihren Abläufen berechenbar.
Bislang habe es acht historisch bedeutsame Menschheitskulturen gegeben. Laut Spengler sind Kulturen »Lebewesen höchsten Ranges«, die in ihrer Lebensdauer von etwa tausend Jahren alle vier natürlichen Zyklen (Frühling, Sommer, Herbst und Winter) durchlaufen. Weil jede Kultur, wie jedes Leben, unweigerlich den Gesetzen der Wachstumsphasen unterworfen ist, haben auch alle Kulturen das gleiche »Schicksal«: Sie sinken am Ende in die Bedeutungslosigkeit des »Unhistorischen« herab, d. h. sie gehen in das Stadium der »Zivilisation« über, der Verfallszeit, in der sie unschöpferisch und gleichgültig dahinvegetieren.
Zur Verdeutlichung dieses Prozesses konzentriert sich Spengler auf die beiden großen eurasischen Kulturen, die »apollinische « Antike und das »faustische« Abendland, an denen er sein Modell der »Gleichzeitigkeit« historischer Entwicklungen zu belegen versucht. »Apollinisch« steht für die eher passive, genügsame Lebensauffassung antiker Völker, die über ein geringeres Raum-Zeit-Gefühl verfügten als der ruhelose, stets expansionsorientierte »faustische« Mensch, der um seine haltlose Stellung in der Welt weiß und sie deshalb rationalisieren will.
Für Spengler sind Kulturen »fensterlose Monaden«, die sich aufgrund ihrer wesentlichen Verschiedenheit untereinander gar nicht verstehen können. Konsequenterweise leugnet er jede mentale oder typologische Verwandtschaft zwischen Antike und Abendland. Gleichwohl durchlebten beide Kulturen aber geradezu frappierend analoge Entwicklungsstufen, was Spengler die Vorausschau auf den weiteren Gang des Abendlandes erlaubt.
Oft übersehen wird, daß es sich bei dem insgesamt 1200 Seiten starken Werk weder um Geschichtsschreibung noch um Philosophie im klassischen Sinne handelt, sondern um geschichtsphilosophische Dichtung. »Natur soll man wissenschaftlich behandeln, über Geschichte soll man dichten. « Der Untergang des Abendlandes ist nur ein Vorschlag zur Weltdeutung, indem er alles Seiende organisch verknüpft und so die Kulturen zu den eigentlichen Schauplätzen des Lebens erklärt. Nicht mehr Völker oder Epochen, wie bei Ranke, sondern Kulturen oder Kulturkreise bilden den Kern der Weltgeschichte, sind ihre treibenden Kräfte. Dabei setzt Spengler seinen Schwerpunkt eindeutig auf das »Seelische« der Kulturräume. Er will hinter die bloßen Kausalverhältnisse des geschichtlichen Lebens dringen und vertraut deshalb seiner Intuition mehr als reinen Fakten. Entsprechend »pathetisch« nennt er die Kapitel: »Vom Sinn der Zahlen«, »Schicksalsidee und Kausalitätsprinzip«, »Zur Form der Seele«, »Die Seele der Stadt« usw. Das Buch ist vor allem große spekulative Kulturpsychologie. Wer es anders zu lesen beabsichtigt, wird seiner Intention kaum gerecht.
Am Ende einer jeden Kultur steht das Zeitalter der »Weltstädte« (Babylon, Theben, Alexandria, Rom – Paris, London, Berlin, New York), in denen die »formlosen Wählermassen« zu Hause sind, genußsüchtig und dekadent, abgeklärt und seelenlos, künstlerisch nur noch zum Eklektizismus fähig. Auf der letzten Stufe ist das Geld endgültig zur Herrschaft gelangt, der Geist hat stark an Bedeutung verloren, und das Ideal der Meinungsfreiheit sei zur Farce geworden, da die Massenmedien, zum Mittel der Parteiendiktatur verkommen, der Menge vorformulieren, was sie wollen soll.
Dieser, oberflächlich betrachtet, stark pessimistische Duktus brachte Spengler von Anfang an den Ruf ein, Fatalist zu sein. Der plakative Titel des Buches tat sein übriges. Doch meinte Spengler, wenn er von »Untergang« sprach, eigentlich »Vollendung« des Abendlandes. Er legte Wert darauf, den »Untergang« einer Kultur nicht mit dem eines Ozeandampfers zu verwechseln. »Nein, ich bin kein Pessimist. Pessimismus heißt: keine Aufgaben mehr sehen. Ich sehe so viele noch ungelöst, daß ich fürchte, es wird uns an Zeit und Männern für sie fehlen.« (Pessimismus?, 1921).
Deshalb empfiehlt Spengler, den alten Idealen aus der »Kultur« nicht länger nachzutrauern, sondern sich an die Spitze der »Zivilisation« zu stellen und den Imperialismus als neue Lebensform anzuerkennen: »Wenn unter dem Eindruck dieses Buchs sich Menschen der neuen Generation der Technik statt der Lyrik, der Marine statt der Malerei, der Politik statt der Erkenntniskritik zuwenden, so tun sie, was ich wünsche, und man kann ihnen nichts Besseres wünschen.«
»Aber »die Menschheit« hat kein Ziel, keine Idee, keinen Plan, so wenig wie die Gattung der Schmetterlinge oder Orchideen ein Ziel hat. »Die Menschheit« ist ein zoologischer Begriff oder ein leeres Wort.«
Der Einfluß, den das Werk – oder doch zumindest sein Titel und einige griffige Schlagworte aus dem Inhalt – auf die Intellektuellen- und Künstlerkreise der Weimarer Republik ausgeübt hat, ist kaum zu überschätzen. Der Untergang des Abendlandes hatte nach dem Schock der Niederlage von 1918 den Nerv der Zeit getroffen. Aufgrund seines einnehmenden Prosastils und seiner phantastischen Fülle an eigenwilligen Deutungen löste der »intellektuale Roman« (Thomas Mann) häufig auch bei solchen Lesern Begeisterung aus, die dem Inhalt gar nicht folgen konnten oder wollten. Als Ganzes zwar (bis heute) wenig, und noch weniger gründlich gelesen, wurde Der Untergang des Abendlandes dennoch bald zum geflügelten Wort, das die Gemüter polarisierte. Ablehnung von Seiten der Fachwissenschaft und Spott von Seiten der marxistischen Linken trafen den Autor in beinahe gleicher Intensität wie die (zeitweilige) kultische Verehrung seitens konservativer und kulturpessimistischer Schwärmer. Trotz mancher Ungenauigkeiten, Widersprüche und schiefer Analogiebildungen hat das Werk bis heute nichts an suggestiver Kraft und geschichtsphilosophischer Anschaulichkeit verloren.
Ausgabe
- Ungekürzte Sonderausgabe in einem Band, mit einem Nachwort von Detlef Felken, München: C. H. Beck 1998.
Literatur
- Frits Boterman: Oswald Spengler und sein ›Untergang des Abendlandes‹, Köln 2000.
- Eduard Meyer: Spenglers ›Untergang des Abendlandes‹, Berlin 1925.
Der Artikel wurde von Frank Lisson verfaßt.