Xanten

Aus Staatspolitisches Handbuch im Netz
Version vom 16. November 2016, 17:08 Uhr von Admin (Diskussion | Beiträge) (Die Seite wurde neu angelegt: „:'''Nordrhein-Westfalen, 40 km nordwestlich von Duisburg''' Als die nahe der niederländischen Grenze gelegene Niederrheinstadt Xanten 1978 ihr 750. Stadtjubil…“)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Nordrhein-Westfalen, 40 km nordwestlich von Duisburg

Als die nahe der niederländischen Grenze gelegene Niederrheinstadt Xanten 1978 ihr 750. Stadtjubiläum feierte, spielte der bekannteste Sohn Xantens, Siegfried, nur eine untergeordnete Rolle. Man konzentrierte sich statt dessen auf die wirtschaftliche und politische Bedeutung Xantens im Mittelalter, die – für das heutige Stadtbild glücklicherweise – im 16. Jahrhundert relativ abrupt endete. Gleichzeitig betonte man die lange Vorgeschichte der Stadt, die mindestens bis in die römische Zeit zurückgeht.

Ende des ersten vorchristlichen Jahrhunderts wurde südlich des heutigen Xantens ein römisches Militärlager errichtet. Von hier wie von anderen am Niederrhein gelegenen Lagern aus unternahmen die Römer Feldzüge gegen die Germanen, denen es allerdings 70 n. Chr. gelang, das Lager anzugreifen und zu zerstören. Ein kleinerer römischer Neuaufbau diente anschließend in erster Linie der Verteidigung des Gebietes. Um 100 n. Chr. errichtete man in Lagernähe eine Siedlung, die – am Rhein gelegen – bald zu einem wichtigen Handelsplatz wurde. Die Siedlung hielt sich bis ins 5. Jahrhundert und verfiel, als das römische Reich selbst seinem Niedergang entgegenging.

Die Frage der Siedlungskontinuität ist für die Folgezeit umstritten; jedenfalls gehörte der Xantener Raum seit dem Ende des 6. Jahrhunderts zum fränkischen Reich. Das zwischen mehreren Stämmen und anfangs auch verschiedenen Religionen gelegene Gebiet gewann bald große strategische Bedeutung und wurde seit karolingischer Zeit zu einem Zentrum des Niederrheins. Mit Xanten wurden die Heiligen Viktor – dessen Gebeine in dem ihm geweihten Xantener Dom aufbewahrt werden – und Gereon aus spätrömischer Zeit in Verbindung gebracht, und auch der Stifter des Prämonstratenserordens, Norbert von Xanten, verschaffte der Stadt eine gewisse Popularität. Das führte u. a. dazu, daß der Verfasser des Nibelungenliedes im 12. Jahrhundert in Xanten den Königshof Siegfrieds verortete, des Drachentöters, der – fast unverwundbar – durch die Hand des »grimmen Hagen« mit einem Speer in den Rücken getötet wird. Auch im Falle des etwas früher entstandenen Rolandsliedes glauben manche, mit dem dort erwähnten Ort »Seinz« könnte Xanten gemeint sein.

Infolge der Verlagerung des Rheinbettes von der Stadt weg verlor Xanten seit der Mitte des 16. Jahrhunderts rasch an Relevanz. Die Stadt gehörte fortan zur rheinisch- katholischen Provinz, spielte eine – bescheidene – Rolle Ende des 19. Jahrhunderts im Kulturkampf zwischen dem (politischen) Katholizismus und dem von Preußen geschaffenen »heiligen evangelischen Reich deutscher Nation«, gewann aber niemals die Bedeutung zurück, die es im hohen Mittelalter gehabt hatte. Die Wiederentdeckung des Nibelungenliedes 1755 und die Germanenbegeisterung des 19. Jahrhunderts rückten Xanten zwar auch nicht unbedingt ins Zentrum der Aufmerksamkeit, sicherten der »Siegfriedstadt« aber doch ein gewisses Interesse.

Dessen Höhepunkt liegt in den 1930er Jahren, als die Suche nach historischen Spuren des Nibelungenliedes umfangreiche archäologische Ausgrabungen in und um Xanten ermöglichte und man dadurch genauere Kenntnis von der römischen Besiedlung des Gebietes gewann. Tatsächlich war der »Nibelungenmythos« des NS-Regimes ein wesentlich auf Siegfried bezogener. Zuvor waren es eher die Figur Hagens von Tronje und die »Nibelungentreue« in Etzels Halle gewesen, die als besondere Ausdrücke deutschen Wesens galten. Hitler (➞ München: Feldherrnhalle) allerdings gefiel der strahlende Held Siegfried besser, dessen Tod durch einen hinterrücks erfolgten »Dolchstoß« auch nahtloser in die politische Propaganda paßte als der heroische Untergang der Burgunden.

Die Fokussierung der NS-Führung auf Siegfried wird der Hauptgrund dafür gewesen sein, daß Xanten sich nach 1945 mit diesem Teil des Stadterbes schwertat. Im Rahmen des eingangs erwähnten 750. Stadtjubiläums wurde die weitgehende Aussparung Siegfrieds und des Nibelungenliedes allen Ernstes mit fehlenden archäologischen Funden erklärt; in Wirklichkeit dürften ideologische Gründe die Hauptrolle gespielt haben. Erst nachdem seit den 1980er Jahren ein neues Interesse am Nibelungenlied bemerkbar wurde, ist auch Xanten wieder dazu übergegangen, sich nicht mehr nur als »Römer- und Domstadt «, sondern eben auch als »Siegfriedstadt « zu präsentieren. Dazu hat man u. a. eine Gedenktafel an der Xantener »Kriemhild- Mühle« angebracht; auch einen »Nibelungen- Ring« für besondere Verdienste gibt es mittlerweile. 2010 wurde außerdem ein Siegfried-Museum eröffnet, das sich vor allem der Rezeptionsgeschichte des Nibelungenliedes widmet. Auch hier ist man allerdings etwas gehemmt durch die Angst, das Museum könnte zu einem »Wallfahrtsort« für »Rechte« werden, weshalb man vorsorglich mit besonderem Nachdruck auf den nationalsozialistischen »Mißbrauch« des Nibelungenliedes hinweist. Inwiefern aber Bugs Bunnys Ring der Niegelungen oder der Erotikstreifen Siegfried und das sagenhafte Liebesleben der Nibelungen den Originalstoff weniger mißbrauchen, leuchtet nicht unmittelbar ein. Immerhin stellt das Museum auch eine Rekonstruktion von Siegfrieds Schwert »Balmung « aus und ist bemüht, die ganze Breite des »Nibelungenmythos« abzubilden.

Literatur

  • Arndt Kleesiek: »Siegfrieds Edelsitz«. Der Nibelungen-Mythos und die »Siegfriedstadt« Xanten im Nationalsozialismus, Münster 1998.
  • Ingo Runde: Xanten im frühen und hohen Mittelalter. Sagentradition – Stiftsgeschichte – Stadtwerdung, Köln et al. 2003.
  • Holger Schmenk: Xanten im 19. Jahrhundert. Eine rheinische Stadt zwischen Tradition und Moderne, Köln et al. 2008.
Der Artikel wurde von Martin Grundweg verfaßt.