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<p><b>Neue Seite</b></p><div>:'''Frankreich, westlich von Paris'''<br />
Fällt heute der Name Versailles, denken<br />
wir vorrangig an den Ort höfischer Prachtentfaltung<br />
der absoluten Monarchie Ludwigs<br />
XIV. Nach dem Ersten Weltkrieg jedoch<br />
war »Versailles« für alle Deutschen,<br />
welcher politischen Couleur auch immer,<br />
zum verhaßten Synonym für die als erniedrigend<br />
empfundene Friedensordnung<br />
des Systems der Pariser Vorortverträge geworden,<br />
das im Jahre 1919 den Verlierern<br />
– Deutschland, Österreich, Ungarn und der<br />
Türkei – eher auferlegt, die Zeitgenossen<br />
sagten »diktiert«, als mit diesen ausgehandelt<br />
worden war.<br />
<br />
Der heutige Pariser Vorort fand spätestens<br />
seit der Errichtung des klassizistischbarocken<br />
Schlosses Ludwigs XIV. ab 1661<br />
allgemeines Interesse. Doch aus der deutschen<br />
Perspektive blieb Versailles stets mit<br />
ambivalenten Wahrnehmungen behaftete.<br />
So imitierten Deutschlands Fürsten einerseits<br />
die herrschaftliche Prachtentfaltung<br />
des Sonnenkönigs, mit der Folge, daß wir<br />
noch heute manches Klein-Versailles auf<br />
deutschem Boden finden – Herrenchiemsee<br />
als Quasi-Kopie in erster Linie (➞ ''[[Neuschwanstein]]'').<br />
Andererseits galt Versailles<br />
als der Inbegriff französischer Dekadenz<br />
des Ancien régime, und dies schon seit den<br />
Schilderungen der berühmten Schwägerin<br />
des Sonnenkönigs, Liselotte von der Pfalz.<br />
<br />
Zum deutschen Ort wird Versailles aber<br />
durch die räumliche Bindung des [[Bismarck]]-<br />
Reichs an den Spiegelsaal (frz. galerie<br />
des glaces) des Schlosses, in dem sich<br />
Gründung und Ende des Reiches räumlich,<br />
wenn auch zeitlich um 48 Jahre versetzt,<br />
verdichten. Die Daten des 18. Januar 1871<br />
und des 28. Juni 1919 haften dem Spiegelsaal<br />
untrennbar an.<br />
<br />
Proklamiert wurde Wilhelm I. (➞ ''[[Kyffhäuser]]'')<br />
zum deutschen Kaiser an jenem<br />
18. Januar, dem preußischen Krönungstag<br />
von 1701 (➞ ''[[Königsberg]]''). Es ist damit<br />
vor allem ein preußisches Datum, dem allerdings<br />
keine staats- oder verfassungsrechtliche<br />
Bedeutung innewohnte, denn<br />
das Deutsche Reich war bereits als Völkerrechtssubjekt<br />
zum 1. Januar 1871 ins<br />
Leben getreten. Die Zeremonie selbst war<br />
kurz und militärisch geprägt, wie es der<br />
Lage der Dinge entsprach, denn das Schloß<br />
zu Versailles, vor den Toren der belagerten<br />
Hauptstadt Paris, aber außerhalb der<br />
Reichweite französischer Artillerie gelegen,<br />
diente seit Anfang Oktober 1870 der<br />
preußischen Armee als Hauptquartier –<br />
und dies vor allem aus militärisch-praktischen<br />
Gründen, denn die schon lange nicht<br />
mehr zu repräsentativen Zwecken genutzte<br />
Anlage bot die für ein Armeehauptquartier<br />
erforderliche Infrastruktur. Über eine<br />
besondere Absicht, Frankreich zu erniedrigen,<br />
schweigen die Quellen, obgleich der<br />
Kontrast zum Bildprogramm des Schlosses,<br />
das die Siege Ludwigs XIV. verherrlicht,<br />
zum vorherrschenden Preußischblau<br />
und den orangefarbenen Schärpen<br />
des Schwarzen Adlerordens den Beteiligten<br />
und der Nachwelt nicht entging und<br />
den Gestus des Triumphierens nicht verleugnen<br />
kann. Fürsten und Militärs hoben<br />
Wilhelm I. auf den Schild, und für die<br />
Selbstwahrnehmung und fernere -darstellung<br />
des neuen Reiches wirkte diese Szene<br />
– ohne Zivilpersonen – präfigurierend. Der<br />
Maler Anton von Werner charakterisierte<br />
die Zeremonie als prunklos und kurz. Erst<br />
die Rezeption durch die französische und<br />
deutsche Nationalgeschichtsschreibung<br />
akzentuiert die symbolische Erniedrigung<br />
Frankreichs immer deutlicher.<br />
<br />
Anders verhielt es sich 48 Jahre später,<br />
als Frankreich das Schloß sehr bewußt<br />
zum Ort des Friedenskongresses<br />
bestimmte, der, nunmehr zum Tribunal<br />
ausgestaltet, die Unterlegenen nicht mehr als gleichberechtigte Gegner anerkannte,<br />
wie dies der Tradition europäischer Friedensschlüsse<br />
seit 1648 entsprochen hätte.<br />
Nicht von ungefähr begann der Kongreß<br />
am 18. Januar 1919 und selbst dem<br />
Datum der Unterzeichnung wohnte Symbolkraft<br />
inne, denn es war jener 28. Juni,<br />
an dem vier Jahre zuvor der Weltkrieg mit<br />
dem Mord von Sarajevo seinen Ausgang<br />
genommen hatte. Anders als beim Wiener<br />
Kongreß 1814/15 stand in Versailles nicht<br />
mehr das Prinzip des Interessenausgleichs<br />
Pate, sondern die Schuld der Besiegten,<br />
die im berüchtigten Artikel 231 anzuerkennen<br />
war. Es nahm demgemäß keine<br />
deutsche Delegation an den Verhandlungen<br />
teil, sie wurde erst zur Verkündung<br />
der Bedingungen herbeizitiert, um diese,<br />
ultimativ durch die Wiederaufnahme der<br />
Feindseligkeiten bedroht, nach Abstimmung<br />
in der Nationalversammlung (23.<br />
Juni 1919) anzuerkennen.<br />
<br />
Zwar verdorrte nicht die Hand (Scheidemann),<br />
die jenen Vertrag unterschrieb,<br />
doch mit den Pariser Vorortverträgen<br />
war Europa eben keine tragfähige und auf<br />
Dauer gestellte Friedensordnung gestiftet<br />
worden, sondern nur ein »Waffenstillstand<br />
« im europäischen Bürgerkrieg. Heute<br />
läßt sich sagen, daß die Bedingungen<br />
des Friedens von Versailles, der erst am 10.<br />
Januar 1920 in Kraft trat, zwar hart, aber<br />
nicht hart genug waren, um Deutschland<br />
dauerhaft niederzuhalten, was allerdings<br />
den schmählichen Charakter der Niederlage<br />
für die Zeitgenossen nicht milderte. Mit<br />
dem Waffenstillstand von Compiègne vom<br />
11. November 1918 und dem Frieden von<br />
Versailles war der jungen deutschen Republik<br />
bereits jene Hypothek aufgebürdet,<br />
unter der sie 14 Jahre später zu Boden ging.<br />
Nicht zuletzt Versailles erleichterte es ihren<br />
Feinden, deren Repräsentanten mit<br />
der »Dolchstoßlegende« und den Kampfbegriffen<br />
des »Novemberverbrechers«<br />
und des »Erfüllungspolitikers« zu diskreditieren.<br />
Allerdings war der Kampf gegen<br />
Versailles und für dessen Revision ein<br />
Grundmotiv aller deutschen Politik in der<br />
Zwischenkriegszeit, das nicht alleine auf<br />
Hitler (München: Feldherrnhalle) und die<br />
Nationalsozialisten verengt werden darf.<br />
<br />
Verewigt ist die Erinnerung an die beiden<br />
kontrapunktischen Ereignisse durch<br />
das monumentale Gemälde Anton von<br />
Werners von 1877, das die Kaiserproklamation<br />
als einen militärisch geprägten<br />
Staatsakt illustriert, und das Bild »The<br />
Signing of Peace in the Hall of Mirrors«<br />
William Orpens von 1919, das die deutschen<br />
Bevollmächtigten, Hermann Müller<br />
(SPD) und Johannes Bell (Zentrum), gebeugt<br />
und weitgehend durch die Lehne<br />
eines Stuhls verdeckt, in einer Szene größter<br />
Demütigung zeigt.<br />
<br />
Anzumerken bleibt, daß die Liste wechselseitiger<br />
symbolischer Erniedrigungen<br />
1940 eine Fortsetzung fand, als Hitler die<br />
französische Waffenstillstandsdelegation<br />
in jenen Salonwagen einbestellte, der<br />
einst, im November 1918, Marschall Foch<br />
gedient hatte, um die deutschen Unterhändler<br />
zu empfangen.<br />
<br />
Weitere Gesten dieser Art blieben der<br />
deutsch-französischen Geschichte nach<br />
1945 erspart. Hier dominierte seitdem<br />
eine bewußt auf Versöhnung ausgerichtete<br />
Haltung: Es begann mit dem gemeinsamen<br />
Besuch der Messe in der Kathedrale<br />
zu Reims durch Adenauer und de Gaulle<br />
(1962) und fand mit dem Zusammentreffen<br />
Kohls und Mitterrands auf dem Douaumont<br />
bei [[Verdun]] einen Höhepunkt<br />
(1984). Seit dem Jahre 1989 fallen die Zeichen<br />
freundschaftlicher Verbundenheit<br />
spärlicher aus.<br />
<br />
== Literatur ==<br />
<br />
* Michael Fischer/Christian Senkel/Klaus Tanner (Hrsg.): ''Reichsgründung 1871. Ereignis – Beschreibung – Inszenierung'', Münster 2010.<br />
* Robert Lansing: ''Die Versailler Friedensverhandlungen'', Berlin 1920.<br />
* Viktor Schiff: ''So war es in Versailles'', Berlin 1929.<br />
* Hagen Schulze: ''Versailles'', in: Etienne Francois/Hagen Schulze (Hrsg.): ''Deutsche Erinnerungsorte'', Bd. I., München 2009, S. 421.<br />
* Thomas W. Gaethgens (Hrsg.): ''Anton von Werner. Die Proklamierung des Deutschen Kaiserreiches. Ein Historienbild im Wandel preußischer Politik'', Frankfurt a. M. 1990.<br />
<br />
{{Autor|Dirk Reitz}}<br />
<br />
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