Raum: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 21. September 2016, 19:18 Uhr

Raum bezeichnet im politischen Zusammenhang vor allem das Territorium, das beherrscht wird. Die Bedeutung des Raumaspekts für das Politische unterlag in der Geschichte zwar Schwankungen, der Raum war aber niemals bedeutungslos. Das gilt, obwohl der Mensch keinen »Lebensraum« (Friedrich Ratzel) hat wie andere Lebewesen. An seiner »Territorialität« ist trotzdem nicht zu zweifeln, die ihn zur Raumbindung und dem Schutz des eigenen Raumes gegen Eindringlinge zwingt. Die mit dem Bezug auf den Raum einhergehenden Gefühle, vor allem die emotionale Bedeutung der Heimaterde, auf der man lebt und in der die Vorfahren (Erbe) bestattet liegen, erklärt etwas davon, warum die Verteidigung des eigenen Raumes gegen Feinde gemeinhin aussichtsreich ist. Andererseits hat es früh einen imperialistischen Zug in der Menschheitsgeschichte gegeben, das heißt Versuche, sich fremde Räume gewaltsam anzueignen und so den eigenen Raum zu erweitern.

An Bedeutung gewann der Expansionsdrang allerdings erst, nachdem die menschliche Besiedlung der Erde eine gewisse Dichte erreicht hatte und der Bodenbesitz als solcher für Landwirtschaft und Viehzucht an Wichtigkeit gewann. Mit den frühen Hochkulturen entstanden dann Machtgebilde, die einen erheblichen Teil ihrer Kraft darauf konzentrierten, Grenzlinien festzulegen und besonders zu schützen. Das war der Anfang eines Prozesses, der zwar immer wieder unterbrochen wurde, aber letztlich zur Entstehung des Staates im modernen Sinn führte, den man als Organisation dauerhafter Machtausübung über einen bestimmten Raum definieren kann.

Die Kenntnis des eigenen Raumes und der Versuch diese Kenntnis vor potentiellen Feinden zu verbergen, die wachsende Einsicht in die Bedeutung der räumlichen Lage für die eigenen politischen und militärischen Handlungsmöglichkeiten kennzeichnet die Phase klassischer Staatlichkeit, die vom Ende des 17. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts reichte. Danach verlor der Staat an Bedeutung und es entstanden neuartige »Reiche«, die zwar auf gewisse ältere Mittel der Expansion verzichteten – also den fremden Raum nicht unbedingt in den eigenen eingliederten –, aber gleichzeitig Interessensphären absteckten, die weiter gespannt waren als jedes Imperium der Vergangenheit. Typisch für dieses Vorgehen war die Beanspruchung der »westlichen Hemisphäre« (mit wechselnder Definition der Grenz­linie) durch die USA oder die Formulierung der »Breschnew-Doktrin« durch die Sowjetunion.

»Es mag uns höchst sonderbar erscheinen, daß die Bindung des Mannes zu seinem Grund und Boden stärker sein sollte als die Bindung zu der Frau, mit der er schläft. Wir können die Stichhaltigkeit der Behauptung vorläufig mit einer einzigen Frage erproben: Wie viele Männer kennen wir, die für ihr Land gestorben sind? Und wie viele starben für eine Frau?«

Robert Ardrey

Einige Beobachter haben in dieser Entwicklung einen Bedeutungsverlust der Raumaspekte der Politik gesehen, und tatsächlich wird man zugeben müssen, daß die von der »Geopolitik« als der Lehre vom Einfluß der Geographie auf die Politik ausgearbeiteten Theorien angesichts der technischen Entwicklung von Nachrichten-, Transport- und Kriegsmitteln immer weniger aussagekräftig waren. Die schon in der Zwischenkriegszeit häufig geäußerte Annahme, daß das Ende der Geopolitik gekommen sei, war allerdings verfrüht. Es machte sich nur die ältere Einsicht wieder geltend, daß »Raum ohne Deutung des Raumes … ein Nichts« (Adolf Grabowsky) ist. Raumfragen spielten für die Zeit des Kalten Krieges ebenso eine Rolle wie sie eine Rolle für die heutige, die »postamerikanische Welt« (Fareed Zakaria) spielen, in der man es mit klassischen Konzepten räumlicher Expansion zu tun hat, die neben neueren Methoden indirekter Herrschaft existieren, und auf der Mikroebene erhält der Raumaspekt schlicht dadurch Wichtigkeit, daß die Krise des Staates auch zum Verlust des Gewaltmonopols und zur Entstehung von no-go-areas geführt hat, die faktisch das Ende der allgemeinen Durchsetzungsmöglichkeit auf einem bestimmten Staatsterritorium signalisieren.

Literatur

  • Robert Ardrey: Adam und sein Revier [1966/1968], zuletzt München 1984
  • Frank Ebeling: Geopolitik. Karl Haushofer und seine Raumwissenschaft 1919-1945, Berlin 1994
  • Adolf Grabowsky: Staat und Raum, Weltpolitische Bücherei, Bd 1, Berlin 1928
  • Albrecht Haushofer: Allgemeine politische Geographie und Geopolitik, Bd I [mehr nicht erschienen], Heidelberg 1951
  • Yves Lacoste: Geographie und politisches Handeln. Perspektiven einer neuen Geopolitik, Berlin 1990
  • Josef Matznetter: Politische Geographie, Wege der Forschung, Bd CCCXXXI, Darmstadt 1977