Questenberg

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Sachsen-Anhalt, Südharz

Der kleine Ort Questenberg liegt am südlichen Rand des Harzes. Den Namen gibt es im thüringisch-hessischen Gebiet mehrfach, aber nur in Questenberg hat sich ein als »Queste« bezeichnetes Symbol erhalten, dessen archaischer Charakter auf jeden Betrachter faszinierend wirkt. Oberhalb des Dorfes, am Rand einer steil aufragenden Felswand, steht der Questenbaum, ein geschälter, mit Holzkeilen im Boden befestigter Eichenstamm mit Querstab, an dem ein aus Birkenreisig geflochtener Kranz aufgehängt wird, darüber ein »Büschel«, links und rechts verziert mit zusammengebundenen Zweigen, den sogenannten »Questen«. Allerdings ist der Begriff Queste längst auf das ganze Gebilde übergegangen.

Jedes Jahr zu Pfingsten wird die alte Queste abgerissen und verbrannt und durch eine neue ersetzt. Die Ähnlichkeit mit den skandinavischen Mittsommerbäumen ist offensichtlich und Bezüge zu Sonnenverehrung und Fruchtbarkeitskult wahrscheinlich, wenngleich es bis heute keine präzise Klärung der Frage gibt, welchen Ursprung die Questenverehrung vor Ort hat. Eine Ursache dafür liegt in der Tatsache, daß die früheste sichere Überlieferung auf das 18. Jahrhundert zurückgeht und eine ältere Stufe der Entwicklung nicht mehr rekonstruierbar ist.

Traditionell wird der Brauch mit einer Sage erklärt, die davon handelt, daß der Herr der nahegelegenen Questenburg – Ritter Knut – eine Tochter mit Namen Jutta hatte. Die verirrte sich eines Tages im Wald und mußte von den Leuten des Ritters gesucht werden. Nach drei Tagen fanden sie das Kind im Wald vor einer Köhlerhütte, wo es Blumen gesammelt, zu einem Kranz gewunden, auf ein Holzkreuz gesteckt und mit zwei Questen versehen hatte. Das Gebilde reichte Jutta ihrem Vater voller Freude, der aus Dankbarkeit die große Queste machen und auf dem dann so genannten Questenberg aufstellen ließ. Die Einwohner des benachbarten Rotha aber, die bei der Suche nicht geholfen hatten, verpflichtete Ritter Knut, den Questenbergern in der Nacht vom ersten zum zweiten Pfingsttag ein Brot und zwei Käselaibe zu geben. Sie wurden dann von den Questenbergern bewirtet, mußten den Ort aber vor Sonnenaufgang verlassen haben. Wenn nicht, hatten die Questenberger das Recht, sich die schönste Kuh von der Weide in Rotha zu holen.

Zu den überlieferten Sitten des Questenfestes gehörte, daß schon am Himmelfahrtstag alle nötigen Bäume geschlagen wurden. Am ersten Pfingsttag holten die jungen Männer mit Beilen und Pferdewagen aus dem Wald dann die etwa zwölf Meter hohe »Setzmaie« und dazu zwanzig junge Birken. Die Setzmaie stellten sie auf dem Dorfplatz auf und errichten eine provisorische Hütte – die »Lauerhütte« –, um sie zu bewachen und das Kommen der Rothaer abzuwarten. Am zweiten Feiertag wurde um die Maie getanzt, in der folgenden Nacht der Stamm schweigend und feierlich auf den Questenberg getragen, die alte Queste in genau festgelegter Folge abgerissen und in einem großen Feuer verbrannt. Die ganze Festgemeinschaft wartete gemeinsam auf den nächsten Morgen. Sobald sich die Sonne zeigte, stimmte man das »Questenlied« an, einen alten Choral auf die Melodie von »Wie schön leuchtet der Morgenstern«:

»Dich seh ich wieder, Morgenlicht,
und freue mich der edlen Pflicht,
dem Höchsten Lob zu singen,
will, entbrannt von Dankbegier,
o mildester Erbarmer, dir
mit heil’gem Mut lobsingen:
Schöpfer, Vater, deine Treue
rührt aufs neue mein Gemüte!
Froh empfind’ ich deine Güte.«

Danach ging man wieder ins Tal hinab und suchte etwas Ruhe zu finden, bevor der Gottesdienst begann, zu dem die Männer mit Waffen und Fahnen erschienen. Im Anschluß zog die Gemeinde mit zahlreichen Gästen auf den Berg hinauf, und die Alten fertigten den neuen Kranz, der zur Mittagszeit – wenn die Sonne ihren höchsten Stand hatte – am Stamm befestigt wurde. Es folgte ein ausgelassenes Fest mit Pfingstbier und Tanz, das bis zum vierten Pfingsttag andauerte.

Das Questenfest war seit dem 19. Jahrhundert ein Ereignis von deutlich über den Ort hinausreichender Bedeutung. Dabei spielte ab einem nicht mehr klärbaren Zeitpunkt auch die romantische und völkische Idee eine Rolle, daß man es mit einer alten germanischen Überlieferung zu tun habe. Herman Wirth fand sogar erhebliche Resonanz mit seiner Behauptung, die Queste sei ein Überlieferungsrest der altnordischen Vorstellung vom Weltenbaum. Es lag insofern nahe, daß es in der NS-Zeit erhebliche Anstrengungen gab, das Fest ideologisch zu vereinnahmen. Um so überraschender wirkt, daß es trotzdem unter den Bedingungen der DDR überleben konnte und bis heute – wenn auch in deutlich reduzierter Form – weiterbegangen wird und sich die Queste nach wie vor weithin sichtbar auf dem Questenberg erhebt.

Literatur

  • Questenberg und sein Questenfest, Querfurt o. J.
  • Rat der Gemeinde Questenberg (Hrsg.): Das Questenfest – Gegenwart und Vergangenheit, Questenberg 1990.
  • Karlheinz Weißmann: Irminsul (= Kleine Schriften zur politischen Symbolkunde, 4), Göttingen 2012.
Der Artikel wurde von Karlheinz Weißmann verfaßt.