Opfer: Unterschied zwischen den Versionen

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* Institut für Staatspolitik  (Hrsg.): ''»Meine Ehre heißt Reue«. Der Schuldstolz der Deutschen'', Wissenschaftliche Reihe, Heft 11, Schnellroda 2007.
 
* Institut für Staatspolitik  (Hrsg.): ''»Meine Ehre heißt Reue«. Der Schuldstolz der Deutschen'', Wissenschaftliche Reihe, Heft 11, Schnellroda 2007.
 
* Gerardus van der Leeuw: ''Einführung in die Phänomenologie der Religion'' [1925], zuletzt Gütersloh 1961.
 
* Gerardus van der Leeuw: ''Einführung in die Phänomenologie der Religion'' [1925], zuletzt Gütersloh 1961.
* Joseph de Maistre: ''Über das Opfer'' [1821], zuletzt (mit einem Essay von E. M. Cioran) Leipzig und Wien 1997.
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* Joseph de Maistre: ''Über das Opfer'' [1821], zuletzt (mit einem Essay von [[E. M. Cioran]]) Leipzig und Wien 1997.
 
* Botho Strauß: ''Der Aufstand gegen die sekundäre Welt'' [1999], zuletzt München 2007.
 
* Botho Strauß: ''Der Aufstand gegen die sekundäre Welt'' [1999], zuletzt München 2007.
  
 
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Aktuelle Version vom 11. Oktober 2017, 11:01 Uhr

Opfer ist ein Begriff, den man seinem Wesen nach der religiösen Sphäre zuordnen muß. Das Opfer ist vor allem Gabe an den Gott als Ausdruck des Dankes für Schutz und Leben, eigentlich auch dafür, daß er seine Übermacht nicht gegen den Opfernden gebraucht. Das Opfer hat daneben auch eine soziale Dimension, gemeinschaftliche Opferhandlungen waren nicht nur Gottesdienst, sondern dienten auch der Festigung des Zusammenhalts. Das Opfer bewirkt eine »Kraft« (Gerardus van der Leeuw), die auf den Gott wie die Gruppe wirkt. Die dabei ins Spiel kommende Gewalt war keineswegs nebensächlich, sondern konstitutiv.

»Ist unsre Zeit gekommen, so wollen wir ritterlich sterben für unsre Brüder und unsrer Ehre keine Schande machen.«

Judas Makkabäus

Obwohl sich der Opfergedanke in allen Religionen findet und obwohl es in den Hochreligionen eine Tendenz zur Sublimierung des O. gibt (vor allem weg von blutigen Tieropfern, hin zu Repräsentationen, Pflanzen oder einer vollständigen Vergeistigung), bleibt doch eine prinzipielle Logik des Opfers, die besagt: Wenn du etwas Wertvolles erhalten willst, mußt du dafür etwas – Wertvolles – geben.

In diesem Sinn ist das Opfer nach wie vor Bedingung für den Bestand jeder menschlichen Sozialform. Von der Ehe und der Familie über Kirche und Armee bis zum Staat überhaupt geht es um die Bereitschaft, Opfer zu bringen. Das ist besonders deutlich im Kriegsfall, wenn der Staat von seinen Bürgern das Opfer des eigenen Lebens verlangt, aber das gilt im Prinzip auch für die Familie, in der zum Beispiel die Eltern Teile der Selbstentfaltung opfern müssen, um die Aufzucht der Kinder zu ermöglichen, von denen im Gegenzug erwartet wird, daß sie später eventuell die Pflege ihrer Eltern übernehmen, was wiederum nicht möglich ist ohne Einbußen an Geld und Zeit.

»Man muß jedoch – unter Wahrung der Rechtgläubigkeit – zugeben, daß die Geschichte den Menschen zu allen Zeiten von der erschreckenden Wahrheit durchdrungen zeigt, er lebe unter der Gewalt einer erzürnten Macht, und diese Macht könne nur durch Opfer versöhnt werden.«

Joseph de Maistre

In den alten Kulturen ist solche Opferbereitschaft grundsätzlich als ethisch »gut« betrachtet worden, während die Opferverweigerung als ethisch »böse« galt. Bezeichnend, daß im Dekalog das Gebot, die Eltern zu ehren das einzige war, das mit einer direkten Verheißung verknüpft wurde, noch bezeichnender, daß im Zentrum des Christentums die Lehre vom stellvertretenden Opfer des Gottessohnes steht. Dagegen hat die Moderne versucht, im Namen des Individuums die Legitimität des Opfers prinzipiell in Frage zu stellen und die damit einhergehende soziale Verpflichtung aufzulösen: durch Abstraktion einerseits – wenn ein Opfer verlangt wird, dann für die Menschheit, die Welt, die Zukunft –, durch Rekurs auf die rein materielle Existenz andererseits.

Als Perversion ist auch die geschichtspolitisch motivierte Verschiebung von »Opfer bringen« zu »Opfer sein« zu betrachten. Die nach dem Zweiten Weltkrieg in Gang gesetzte »Opferkonkurrenz«, bei der es darum ging, immer neue Opfer immer neuen Tätergruppen gegenüberzustellen, hat mit dem ursprünglichen Vorstellungszusammenhang nur noch Teile der Terminologie gemeinsam.

Überhaupt lassen sich viele Dekadenzerscheinungen in der westlichen Welt von der Verkennung der Logik des Opfers ableiten. Das wird oft genug in traditionalen Gesellschaften deutlicher gesehen, für die die Vorstellung vom Opfer noch hinreichend konkret geblieben ist und mit dem Gedanken verknüpft, daß es zur Erhaltung des Lebenszusammenhangs des Verzichts bedarf.

Literatur

  • Roger Caillois: Der Mensch und das Heilige, München 1988:
  • Institut für Staatspolitik (Hrsg.): »Meine Ehre heißt Reue«. Der Schuldstolz der Deutschen, Wissenschaftliche Reihe, Heft 11, Schnellroda 2007.
  • Gerardus van der Leeuw: Einführung in die Phänomenologie der Religion [1925], zuletzt Gütersloh 1961.
  • Joseph de Maistre: Über das Opfer [1821], zuletzt (mit einem Essay von E. M. Cioran) Leipzig und Wien 1997.
  • Botho Strauß: Der Aufstand gegen die sekundäre Welt [1999], zuletzt München 2007.