Leviathan

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Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates (engl. Leviathan or Matter, Forme and Power of a Commonwealth Ecclesiasticall and Civil, London 1651).
Thomas Hobbes, Neuwied: Luchterhand 1966.

Thomas Hobbes’ Hauptwerk aus dem Jahre 1651, das in einer englischen und einer lateinischen Version vorliegt, gehört zu den bedeutenden Grundlagenwerken der politischen Philosophie überhaupt. Das Buch, dessen deutscher Titel das Gemeinte nicht ganz trifft, gliedert sich in vier Teile. Der erste Teil handelt vom Menschen, der zweite vom Staat, der dritte von der Kirche und der vierte vom Reich der Finsternis. Der Staat erscheint bei Hobbes als »sterblicher Gott« und als künstliches Produkt menschlicher Entscheidungen, nicht als naturgegebene, organisch gewachsene Institution. Der Mensch wird von Hobbes in Abstraktion von gesellschaftlichen Beziehungen als Individuum mit bestimmten Affekten und Trieben betrachtet. Auf der genauen Beschreibung dieser anthropologischen Komponenten erhebt sich das Gerüst der politischen Theorie. So strebt der Mensch einerseits intensiv nach Macht, ist andererseits aber auch stark von Furcht geprägt, die ihn letztlich dazu motiviert, den Naturzustand zu verlassen, weil dort mangels einer Polizeigewalt die ständige Furcht vor dem gewaltsamen Tod anwesend ist.

Hobbes’ Leistung besteht darin, daß er einige grundlegende Kategorien des politischen Denkens einführt, etwa den unhintergehbaren Zusammenhang von Schutz und Gehorsam, der vor allem die zentrale Funktion des Staates, die Friedenssicherung nach innen, betrifft. Hobbes’ bekannter Satz, nicht die Wahrheit, sondern die Autorität (des Staates) mache das Gesetz, zielt (trotz der aus dem zeitgeschichtlichen Kontext heraus klaren anti-römischen und anti-presbyterianischen Tendenz) auf die religionspolitische Neutralisierung von allen konfessionellen Wahrheitsansprüchen. Die säkular begründete Einhegung religiöser Glaubensüberzeugungen und Organisationen ist in nuce in Hobbes’ Theorem enthalten, wonach der (politisch relevante) Unterschied von Religion und Aberglauben einzig und allein auf den politischen Entscheidungswillen des Souveräns zurückgeht. Aus den Ambivalenzen, die mit dieser Position verbunden sind, resultierten auch bis heute nicht abschließend geklärte Kontroversen über Hobbes’ eigene religiöse Überzeugungen. Die umfangreiche zweite Hälfte des Buches, die der Religion gewidmet ist, wurde so von den einen als bloße Maskerade eines zugrundeliegenden Materialismus und Atheismus verstanden, die mit dem Christentum nicht kompatibel sind (Leo Strauss), während andere den Satz »Jesus ist der Christus«, den der Staat nach Hobbes zum Gegenstand öffentlichen Bekenntnisses machen darf, als Kern-und Angelpunkt der Hobbes’schen politischen Theologie betrachteten (Carl Schmitt).

»Verträge ohne Schwert sind nur Worte.«

Weil Hobbes im Bürgerkrieg mit guten Gründen das größte politische Übel erblickte, zog er Sicherheit, verstanden als Schutz vor einem gewaltsamen Tod unter Bedingungen der Willkür, gegenüber einer konfliktorientierten Freiheitsvorstellung vor. Daher legte Hobbes wenig Wert auf Gewaltenteilung, wie er sich auch entschieden gegen die von ihm als Gefahr betrachtete Unterscheidung von idealer (Monarchie) und verderbter (Tyrannis) Regierungsform wandte, weil er in dieser, seiner Auffassung nach bloß verbalen bzw. polemischen Unterscheidung den Keim zum Bürgerkrieg erblickte. Seinem eigenen Verständnis nach richtete sich Hobbes damit entschieden gegen die politische Theorie eines Aristoteles, aber auch gegen die aristotelisch geprägte scholastische Ontologie.

Hobbes vertrat indes keineswegs die Auffassung, alle Menschen seien radikal böse – dies ist nicht der Sinn des homo homini lupus (der Mensch ist dem Menschen ein Wolf) und des bellum omnium contra omnes (Krieg aller gegen alle). Vielmehr basiert Hobbes’ Kalkül, das die Menschen dazu motivierte, den Naturzustand zu verlassen und sich einem Souverän zu unterwerfen, auf einer plausiblen Annahme: Es genügt die Präsenz einer kleinen Zahl von bösen Menschen, die aber nicht von außen als solche erkennbar sind, um ein methodisches Mißtrauen gegenüber dem Nächsten zu rechtfertigen. Die bloße Möglichkeit, daß sich die Wolfsnatur des Menschen in diesem Sinne durchsetzen kann, ist daher immer in Rechnung zu stellen.

Hobbes’ Theorie des Naturzustands und des Gesellschaftsvertrags (Kontraktualismus) ist komplex und im Detail nicht ohne innere Widerprüche – es darf aber über alle Feinheiten der Diskussion nicht aus dem Auge verloren werden, daß sein Gedankenexperiment auf den elementaren Zusammenhang von Schutz und Gehorsam zielt. Politische Bildung im Sinne Hobbes’ bedeutet Einsicht schaffen in die notwendigen Funktionsbedingungen neuzeitlicher Staatlichkeit – angesichts der vielen Unkenrufe über das »Ende des Staates«, die auf zweifelhaften geschichtsphilosophischen Prämissen beruhen, kann diese Lehre des Thomas Hobbes nicht oft genug wiederholt werden. Die bloße Möglichkeit eines Bürgerkrieges bleibt auch bei scheinbarer Geordnetheit der Verhältnisse immer gegeben.

Hobbes’ Leviathan gehört zu den am intensivsten diskutierten Werken der politischen Philosophie überhaupt, denn Hobbes verknüpft sein politisches Denken mit einem ausgeprägt nüchtern realistischen Menschenbild, das man mit einem guten Schuß Überzeichnung als »schwarze Anthropologie« bezeichnet hat. Hobbes schuf mit dem Buch jedenfalls einen der großen theologisch-politischen Traktate, die aus den religionspolitischen Auseinandersetzungen der frühen Neuzeit hervorgegangen sind. Berühmtheit erlangte das komplexe und mythenschaffende Frontispiz, das bis in die Gegenwart immer wieder Anlaß zur Auslegung und damit unverlierbarer Bestandteil des Bildprogramms der Staatlichkeit wurde. Rudolf Burger hat seine Deutung des Hobbes’schen Titelkupfers mit dem Hinweis auf die fortdauernde Aktualität des Leviathan in einer Zeit verbunden, in der die Gefahr besteht, daß der Staat als friedensstiftende Notwendigkeit aus dem Auge verloren wird.

Hobbes’ am Staat und dem Prinzip der Staatlichkeit orientiertes Denken wurde im 20. Jahrhundert von konservativen Denkern unterschiedlicher Art wieder aufgenommen. Die Tatsache, daß sich Autoren von Rang wie z.B. Leo Strauss, Carl Schmitt, Helmut Schelsky, Michael Oakeshott oder Bernard Willms tiefgründig mit dem Werk des englischen Philosophen befaßten, legt Zeugnis ab von seinem hohen Anregungspotential. Wen die »Aussichten auf den Bürgerkrieg« (Enzensberger) beunruhigen, kann an Hobbes’ Leviathan, der seinerseits bei Thukydides in die Lehre gegangen war, nicht vorbeigehen. Wie schon das Werk des Griechen über den Peloponnesischen Krieg ist auch der Leviathan des englischen Philosophen ein »Besitztum für immer« geworden, das so lange von Bedeutung sein wird, wie es Politik gibt.

Ausgabe

  • Hrsg. v. Hermann Klenner, Hamburg: Meiner 1996 (Philosophische Bibliothek; 491).

Literatur

  • Wolfgang Kersting (Hrsg.): Thomas Hobbes – Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, Berlin 2008.
  • Leo Strauss: Hobbes’ Politische Wissenschaft und zugehörige Schriften – Briefe, Stuttgart 2001.
  • Bernard Willms: Thomas Hobbes. Das Reich des Leviathan, München 1987.
Der Artikel wurde von Till Kinzel verfaßt.