Krieg

Aus Staatspolitisches Handbuch im Netz
Version vom 2. August 2015, 15:50 Uhr von Admin (Diskussion | Beiträge)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Krieg ist nicht zuerst die »Fortsetzung der Politik unter Beimischung anderer Mittel«, wie Clausewitz meinte, sondern in seiner Vor- und Frühform die Anwendung kollektiver Gewalt, ohne daß von »Politik« im eigentlichen Sinn die Rede sein könnte. Der »Urkrieg« war eher jener Gruppenaggression ähnlich, die man an Schimpansen beobachten kann, die Raubzüge gegen andere Horden unternehmen, aber auch einen regelrechten Imperialismus kennen, der neben dem Zweck, sich begehrte Nahrungsquellen anzueignen oder Weibchen zu rauben, auch der bloßen Verdrängung dient.

Zwar reichen unsere Kenntnisse der Anfangsphase der Menschheitsgeschichte nicht, um auf strenge Analogie zu schließen, aber es spricht vieles dafür, daß noch die kriegsartigen Konflikte zwischen homo sapiens und Neandertaler im Paläolithikum diesem Muster glichen. Der Jetztmensch bildete aber durch seine größere intellektuelle und soziale Kompetenz die eindeutig überlegene Partei, so daß es anders als im Tierreich weniger auf Körperkraft und Hordenstärke, sondern darauf ankam, den Rüstungswettlauf zwischen beiden Arten zu bestehen. Die Wechselwirkung zwischen der Differenzierung einer Gesellschaft, dem Grad der technologischen Entwicklung und dem militärischen Erfolg sollte den weiteren Gang der Menschheits- als Kriegsgeschichte (Geschichte) nachhaltig bestimmen.

»Es gibt nur drei respektable Existenzen: der Priester, der Krieger, der Dichter.«

Charles Baudelaire

Das heißt, es kann nicht nur der Schub in der Werkzeug- und Waffenentwicklung am Ende des Paläolithikums aus dem Krieg zwischen den beiden Menschenarten erklärt werden, es spricht auch vieles dafür, daß die dauernde Auseinandersetzung zur Entstehung und Stabilisierung ganz neuer Sozialformen (Institution) führte, die dann auch als politisch betrachtet werden können: der Krieg stärkte jedenfalls die Solidarität des Klans oder des Stamms, in der Vorbereitung des Kampfes, angesichts des errungenen Triumphes oder genährt durch den Wunsch, Rache für eine Niederlage zu nehmen; der Krieg förderte die Zentralisierung der Macht und die Unterscheidung von Herrschaft und Knechtschaft, gab Kriterien für die Gliederung und die Bestimmung von Volljährigkeit und Heiratsfähigkeit durch das Merkmal der Kriegstüchtigkeit an die Hand. Die Bedeutung des Krieges als »integrierender Bestandteil der bisherigen menschlichen Kulturgeschichte« (Wilhelm E. Mühlmann) erklärt auch, warum übermäßige Kultiviertheit regelmäßig zum Verfall der Kriegstüchtigkeit und dann zum Verfall des Staatswesens führte. Primitiveren und besonders kriegerischen Gruppen kann deshalb aber kein prinzipieller Vorrang zugestanden werden. Diese sind nur unter besonders günstigen Umständen in der Lage, ihre Unterlegenheit in bezug auf Ausrüstung und Organisation durch besondere Härte und Ausdauer zu kompensieren.

»Da die Geschichte nicht aufgehört hat, ihre tragischen Dispositionen zu treffen, kann niemand voraussehen, ob unsere Gewaltlosigkeit den Krieg nicht bloß auf unsere Kinder verschleppt.«

Botho Strauß

Der Wahrnehmung eines Zusammenhangs von fehlender Bereitschaft zur Kriegführung und Dekadenz stand in Europa nach der Erfindung des Schießpulvers und anderer immer schrecklicherer Waffen und der Erfahrung der besonders blutigen Konfessionskriege seit dem 16. Jahrhundert der Versuch gegenüber, die Menge der konventionellen Kriegsregeln zu kodifizieren und zu erweitern. Trotz der Bemühungen um ein Kriegsvölkerrecht und trotz der vertraglichen Abmachungen zwischen den Großmächten (Haager Landkriegsordnung, Genfer Konvention, ­Briand-Kellogg-Pakt etc.) ist es aber bis in die Gegenwart nicht gelungen, den Krieg wirklich und dauerhaft zu ächten. Man neigt lediglich zur Verschleierung seiner Wirklichkeit, indem man nicht mehr von Krieg, sondern von »Polizeimaßnahme«, »Intervention« etc. spricht.

Auch wer erwartet hatte, daß die Perfektionierung der Waffe selbst in Gestalt der Atombombe zu einer Art von dauerhafter Selbstblockade des Krieges führen würde, muß sich enttäuscht sehen. Spätestens mit dem Auftreten der »neuen Kriege« (Herfried Münkler), die als »asymmetrische« geführt werden oder schon wieder an klassische Staatenkonflikte erinnern, zeigt sich, daß der Krieg unaufhebbar zum Wesen des Menschen gehört.

Literatur

  • Robert Ardrey: Adam und sein Revier, München 1972.
  • Martin van Creveld: Die Zukunft des Krieges [1998], zuletzt Hamburg 2004.
  • Martin van Creveld: Die Gesichter des Krieges, Berlin 2009.
  • Carl von Clausewitz: Vom Kriege [1832], zuletzt München 2008.
  • Irenäus Eibl-Eibesfeldt: Krieg und Frieden aus Sicht der Verhaltensforschung [1975], zuletzt München 1997.
  • Dirk Husemann: Als der Mensch den Krieg erfand, Ostfildern 2005.
  • John Keegan: Kultur des Krieges [1993/1995], zuletzt Reinbek bei Hamburg 2003.
  • Ernst Nolte: Historische Existenz, München 1998.
  • Franz Uhle-Wettler: Der Krieg. Gestern – heute – morgen?, Hamburg 2001.