Heinz Gollwitzer

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Gollwitzer, Heinz,
geb. 30. Januar 1917 Nürnberg,
gest. 26. Dezember 1999 München.

Gollwitzer begann seine akademische Karriere unter den erschwerenden Umständen von Krieg und Nachkrieg. Nach einer Verwundung im Militärdienst war er freigestellt worden und konnte sein Studium der Geschichte und Germanistik in München aufnehmen, wo er 1944 promoviert wurde. 1950 folgte die Habilitation, 1957 die Berufung an die Universität Münster, an der er bis zu seiner Emeritierung 1982 lehrte.

Obwohl Gollwitzer in die Rheinisch- Westfälische sowie die Bayerische Akademie der Wissenschaften aufgenommen wurde und ein anerkannter Universitätslehrer war, zog er sich früh in eine Art innere Emigration zurück. Dieser Entschluß war vor allem auf die Verhärtung der ideologischen Fronten in Westdeutschland zurückzuführen, mit der er sich seit Mitte der sechziger Jahre konfrontiert sah. Als Gollwitzer 1964 für die Historische Zeitschrift den Nachruf auf seinen Lehrer Karl-Alexander von Müller verfaßte, dessen Engagement in der NS-Zeit er zwar nicht verschwieg, aber doch mit einem gewissen Verständnis behandelte, führte das zu massiven Angriffen auf seine Person. Deren Wirkung verdankte sich einer neuen Intoleranz, die damals die Universitäten zu erobern begann und in der Studentenrevolte gipfelte.

Als Konservativer sah Gollwitzer weder die Möglichkeit des Arrangements, noch wollte er die Hochschule verlassen, weil ihm die Arbeit als Historiker nach eigenen Worten »Daseinserfüllung« war. Er hat die Entwicklung vor und nach ’68 sehr aufmerksam beobachtet, neigte aber zu einer durch Temperament und Selbstverständnis als Wissenschaftler bedingten politischen Zurückhaltung. Das hat immerhin dazu geführt, daß Gollwitzer seine Tätigkeit in Lehre und Forschung konzentriert fortsetzen und sich neben der bayerischen Landesgeschichte sowie der Frühen Neuzeit vor allem der Geschichte Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert sowie der Geschichte von Weltpolitik und internationalen Beziehungen widmen konnte.

Hervorzuheben ist in dem Zusammenhang Gollwitzers Hauptwerk, die zweibändige Geschichte des weltpolitischen Denkens (1972/1982), eine vergleichende Untersuchung der Ansätze zur Deutung – und Beeinflussung – des globalen Staatensystems. Flankiert wurde diese meisterhafte Arbeit von einer ganzen Reihe detaillierter Untersuchungen, deren Spektrum von der Analyse des ersten internationalen Schlagworts – »die gelbe Gefahr« – bis zur Untersuchung der Vorgeschichte ideologischer Blockbildung seit dem 19. Jahrhundert und zum Problem der »internationalen Parteigängerschaft« reichte. Dabei hat Gollwitzer in einem großen Aufsatz zu den Weltanschauungsfronten des Ersten Weltkriegs nicht nur auf die vergessene Sympathie für Deutschland seitens der Neutralen hingewiesen und die Differenz zwischen der aggressiven ideologischen Konzeption der Entente und der defensiven des Reiches herausgearbeitet, sondern auch erläutert, warum man »Sonderweg«-Thesen grundsätzlich mit Skepsis betrachten müsse, da sie ein umfassendes Bild der ideologischen Entwicklung in den verschiedenen Ländern behinderten. Es wundert insofern nicht, daß Gollwitzer ganz pointiert davon sprechen konnte, daß »eine deutsche geistesgeschichtliche Priorität … für keine der spezifisch faschistischen Vorstellungen« festzustellen sei.

»Man kennt nicht nur das augenzwinkernde, geheime Einverständnis zwischen den Mächtigen an der Spitze feindlicher Lager, sondern auch den Vorgang des Lernens vom Gegner und der allmählichen Angleichung feindlicher Parteien. Schon aus der Blockbildung des 19. Jahrhunderts läßt sich nachweisen, wie die Begriffe »Rechts« und »Links« fortwährend ihren Inhalt ändern.«

Ähnlich überraschend wie solche Interpretationen dürften die Ausführungen Gollwitzers zum politischen Germanismus sein, die ungewohnte Sachverhalte in den Blick rückten, und die ErwägunErwägungen zur Bedeutung von Kampfbünden und Wehrverbänden in Österreich und Deutschland während der Zwischenkriegsjahre. Im Grunde zeigen sich hier schon Überschneidungen mit einem weiteren Forschungsgebiet Gollwitzers: der komparativen Betrachtung historischer Phänomene, die auch seine Ausführungen zur Geschichte der »Weltpolitik« bestimmte.

Gollwitzers Arbeit blieb nicht ohne öffentliche Anerkennung, sein Buch über die Standesherren fand sogar den Beifall der modischen Sozialgeschichte, und sein letztes großes Werk, die Biographie Ludwigs I. von Bayern, wurde allgemein gelobt. Er hat außerdem eine Reihe von Schülern herangezogen, die – von ihm angeregt – wichtige Untersuchungen vor allem zur Geistes- und Ideologiegeschichte abgefaßt haben. Trotzdem war seine Wirkung eine deutlich begrenzte und harrt vieles von dem, was er geschrieben hat, einer (Wieder-)Entdeckung.

Schriften

  • Europabild und Europagedanke. Beiträge zur deutschen Geistesgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts, München 1951.
  • Die Standesherren. Die politische und gesellschaftliche Stellung der Mediatisierten 1815–1918, Stuttgart 1957.
  • Die gelbe Gefahr. Geschichte eines Schlagworts, Göttingen 1962.
  • Geschichte des weltpolitischen Denkens, 2 Bde., Göttingen 1972/82.
  • Ludwig I. von Bayern. Königtum im Vormärz, München 1986.
  • Ein Staatsmann des Vormärz: Karl von Abel, 1788-1859, Göttingen 1993.
  • Kultur – Konfession – Regionalismus. Gesammelte Aufsätze (hrsg. v. Hans-Christof Kraus), Berlin 2008.
  • Weltpolitik und deutsche Geschichte. Gesammelte Studien (hrsg. v. Hans-Christof Kraus), Göttingen 2008.

Literatur

  • Heinz Dollinger et al. (Hrsg.): Weltpolitik, Europagedanke, Regionalismus. Festschrift für Heinz Gollwitzer zum 65. Geburtstag, Münster 1982.
  • Hans-Christof Kraus: Nekrolog Heinz Gollwitzer 1917–1999, in: Historische Zeitschrift 271 (2000).
Der Artikel wurde von Karlheinz Weißmann verfaßt.