Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen

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Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen.
Theodor Lessing, München: C.H. Beck 1919.

Ähnlich wie Spenglers Untergang des Abendlandes entstand Lessings geschichtsphilosophisches Hauptwerk während des Ersten Weltkrieges; es konnte allerdings aufgrund der Militärzensur erst 1919 erscheinen. Lessing war ein entschiedener Gegner des Krieges und des grassierenden Historismus des deutschen Kaiserreichs nach 1871. Wie Spengler geht er von Nietzsches Geschichts- und Wissenschaftskritik aus, kommt aber zu einem völlig anderem Ergebnis: Historische Gesetzmäßigkeiten gibt es nicht, unsere gesamte Betrachtungder Geschichte und die daraus resultierende Wissenschaft operiert mit einem Taschenspielertrick, dem logificatio post festum. Es verwundert daher nicht, daß Lessing die dialektische Geschichtsphilosophie Hegels als einen an Geisteskrankheit grenzenden Unsinn auffaßt.

Sich auf Kants und Schopenhauers Kategorienlehre stützend, verweist Lessing jede Art der historischen Kausalität ins Reich der menschlichen Phantasie, ja der Verfälschung des Vergangenen – Sieger schreiben über Besiegte, Lebende über Tote.

Zur Untermauerung seiner These listet Lessing unzählige Beispiele für Zufälle in der Weltgeschichte auf und fragt dagegen nach dem »Schicksale der bei der Eroberung Brüssels zertretenen Veilchen«. Denn neben der Problematik der konstruierten Logik stellt sich die Frage der nachgeschobenen Moral historischer Ereignisse und ihrer Protagonisten – die Geschichte der Peitsche ist für den Kutscher eine andere als für das Pferd.

»Alles Heil der Zukunft erwarten wir von der Zertrümmerung des Geschichtswahns.«

Und so kann man den Skandal, den das Buch bei Erscheinen in der Historikerzunft zum Teil auslöste, auch heute noch gut nachvollziehen: Jede Gesellschaft, die sich exzessiv, ob positiv oder negativ, über Geschichte und deren Auslegung und Wertung definiert, bekommt von Lessings Thesen letztlich den, vermeintlich konstituierenden, Boden unter den Füßen entzogen.

Ausgabe

  • München: Matthes & Seitz 1983.

Literatur

  • Jörg von Uthmann: Wider die rückwärtsgewandten Propheten. Theodor Lessings »Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen« (1919), in: Günther Rühle (Hrsg.): Bücher, die das Jahrhundert bewegten. Zeitanalysen – wiedergelesen, Frankfurt a. M. 1980.
Der Artikel wurde von Wiggo Mann verfaßt.