Geheimes Deutschland: Unterschied zwischen den Versionen

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* Bruno Pieger/Bertram Schefold (Hrsg.): ''Stefan George. Dichtung – Ethos – Staat. Denkbilder für ein geheimes europäisches Deutschland'', Berlin 2010
 
* Bruno Pieger/Bertram Schefold (Hrsg.): ''Stefan George. Dichtung – Ethos – Staat. Denkbilder für ein geheimes europäisches Deutschland'', Berlin 2010
 
* Harald Seubert: ''Akroamatik und spekulative Hermeneutik. Zum Gedenken an Manfred Riedel (1936–2009)'', in: ''Perspektiven der Philosophie'' 35 (2009).
 
* Harald Seubert: ''Akroamatik und spekulative Hermeneutik. Zum Gedenken an Manfred Riedel (1936–2009)'', in: ''Perspektiven der Philosophie'' 35 (2009).
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Aktuelle Version vom 18. Januar 2017, 19:33 Uhr

Geheimes Deutschland. Stefan George und die Brüder Stauffenberg,
Manfred Riedel, Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2006.

In seinen späteren Lebensjahren wandte sich Manfred Riedel von Nietzsche her dem Zusammenhang von Denken und Dichten und der geistigen und ästhetischen Formung Deutschlands in Europa zu. Dabei trat zunehmend Stefan George in den Mittelpunkt, den Riedel aber, in der Linie seiner eigenen Nietzsche-Deutungen, im Zusammenhang der klassischen deutschen Philosophie und Dichtung zwischen Goethe, Schiller und Hölderlin versteht.

Riedels vorletztes abgeschlossenes Buch verbindet ein tiefdringendes philosophisches Zwiegespräch mit Stefan Georges Dichtung mit der Freilegung des geistigen Horizontes der Brüder Stauffenberg. Der Zusammenhang von Wort, innerem Handeln und politischer Tat steht im Zentrum des subtil komponierten Werkes, das auch neue Quellenfunde erschließt und die Realgeschichte erzählt.

»Es ist die Tragik des deutschen Widerstands, daß die Westmächte Unterstützung auch denjenigen verweigerten, die wie die Stauffenbergs im Hitlerregime jene von Churchill erkannte »ungeheuerliche Tyrannei« zu beseitigen gedachten, deren beispiellose Verbrechen gegen Völker-und Menschenrecht das durchlaufende, denkwürdige Europa-Kapitel in den Annalen deutscher Geschichte für null und nichtig erklärte, – als hätte es nie ein »geheimes europäisches Deutschland« gegeben.«

Riedels zentrale These besagt, daß sich das Ethos eines europäischen Deutschland im Horizont des Reichsgedankens als nationenübergreifender Verankerung in klassisch-humanistischer, antiker und christlicher Überlieferung gegenüber den Zerstörungen einer ökonomistischen globalen Moderne und den Verheerungen des ideologischen Zeitalters neu stiften lasse. Eine Rückkehr zur Religion in ihrer Unmittelbarkeit schien ihm verschlossen. Es ist die Kunst, namentlich die Dichtung, von der diese erinnernde Begründung ausgehen muß.

Manfred Riedel legt im einzelnen das Wort vom »geheimen Deutschland« als das Zentrum des George-Kreises offen. Dabei geht es auch darum, das Heilige und Geheime Deutschland gegen die nach 1945 von den Westmächten beschworene abstrakte Größe des »Anderen Deutschland« in Stellung zu bringen. Die Idee des Geheimen Deutschland verweist auf die Wiederfindung des Eigenen der Deutschen in einem Universalreich. Riedel spricht vom Vaterland (Patria) in der Zeit und erinnert den klassischen, auch bei Kant begegnenden Gedanken des untrennbaren Zusammenhangs von Patriotismus und Universalismus. Dafür steht Hölderlins Kontrapunkt von Hellas und Hesperien ein, der durch die Interpretation Norbert von Hellingraths für George und seinen Kreis von größter inspirierender Bedeutung war.

Riedel rekonstruiert allerdings auch Georges Zwiesprache mit Dilthey und Max Weber, die die Pathologie der Moderne als »Niedrigwerden des Herzens« begreift und ihr das »innere Reich« entgegensetzt, das aber nicht in inneren Kreisen (»Coenakeln«) eingeschlossen bleibt, sondern zu Gestaltung und Handlung fordert. Die Vision eines höheren, schöneren Lebens zeichnet Riedel aus Georges großen Hymnen nach, die er auf ihre Realisierung im George-Kreis hin befragt, im Sinn der George-Zeile: »nur durch den zauber bleibt das leben wach«.

Besonders geht Riedel der Zugehörigkeit der jüdischen Stimmen in dem »inneren Staat« nach, und deutet damit auch Zerbrechen und Entzweiungen im George-Kreis nach dem Tod des Meisters und in der Exilierung. Riedel kann diesen inneren Widerstreit vor dem Hintergrund von Alexander von Stauffenbergs Poem und den Resonanzen der exilierten Mitglieder des Kreises, Ernst Kantorowicz und Karl Wolfskehl, eindrucksvoll sichtbar machen.

Stauffenbergs Weg zum Handeln führte, auch dies zeigt Riedels Buch, zu der preußischen Staatsidee und dem Reformplan Gneisenaus, immer freilich in dem Wissen, daß die »Sicherheit der Throne« auf Poesie gegründet ist. Stauffenbergs Glaubensbekenntnis (»Wir wollen ein Volk, das in der Erde der Heimat verwurzelt den natürlichen Mächten nahe bleibt … Wir wollen Führende, die, aus allen Schichten des Volkes wachsend, verbunden den göttlichen Mächten, durch großen Sinn, Zucht und Opfer den anderen vorangehen …«) und das – nach dem Mißbrauch der Swastika – neue Symbol des Delphins, werden als Schlüssel des Widerstandsaktes gedeutet.

Riedels Buch unterscheidet sich deutlich von den zahlreichen Publikationen zu George und seinem Kreis: Nicht historische Kontextualisierung, Dekonstruktion, Entzauberung ist sein Ziel, sondern ein Hören auf die Stimme der Überlieferung mit dem geistigen Ohr, eine hermeneutische Vergegenwärtigung, die das Erbe des Geheimen Deutschland wachzuhalten sucht. Damit näherte sich Riedel gegen Ende seines Lebens wieder auf einer tieferen Ebene der Frage nach dem Grund und der Stiftung der bürgerlichen Gesellschaft, die ihn schon in seiner Habilitationsschrift beschäftigt hatte.

Das Buch ist vielfach mit Bewunderung aufgenommen worden. Eine Breitenwirkung blieb Riedel indes versagt. Dies muß nicht wundernehmen, angesichts des Mainstreams in Philosophie ebenso wie in Kulturwissenschaften und Germanistik. Die Zeit für diese andere Deutung der Moderne wird noch kommen.

Literatur

  • Bruno Pieger/Bertram Schefold (Hrsg.): Stefan George. Dichtung – Ethos – Staat. Denkbilder für ein geheimes europäisches Deutschland, Berlin 2010
  • Harald Seubert: Akroamatik und spekulative Hermeneutik. Zum Gedenken an Manfred Riedel (1936–2009), in: Perspektiven der Philosophie 35 (2009).
Der Artikel wurde von Harald Seubert verfaßt.